"Datt haben wir früher nicht gebraucht”
Wenn sich Mauermanns Jupp und Blutschuhs Karl unterhalten.
War früher wirklich alles besser? Alles heller? Alles klarer und vor allen Dingen alles einfacher? Natürlich erledigte sich die Aufstellung in einer Fußballmannschaft schneller, wenn nur elf Kicker zur Verfügung standen, doch bringt nicht auch das Warten auf, “Spiel ich, spiel ich nicht” einen gewissen Nervenkitzel?
Doch blenden wir mal von heute nach gestern, von der Vergangenheit in die Zukunft.
Donnerstag, 25. März 2010, Ort: Ruhrkampfbahn, Training der Senioren. Zwei Zaungäste, nennen wir Sie mal “Mauermanns Jupp” und “Blutschuhs Karl”. Nach der allgemeinen Begrüßung (“Der Rücken zwickt, die Beine wollen nicht, Kalk in den Adern, Wasser im Knie”) (fehlt nur noch Zement im Arm, dann können die bauen, Anm. des Verfassers), geht die Aufmerksamkeit auf das Geschehen auf der roten Asche über. “Watt machen die da?”, so Jupp. “Datt nennt sich aufwärmen”, erkennt Karl, als er die rundentrabenden Kicker sieht. “Aufwärmen, wozu?”, kommt prompt die nächste Frage. “Damit die Muckis locker sind und sie sich nich zerren oder so”, hat Kalla schon mal was gehört. “Ne, wa, siehste, mit so was kannste doch keinen Zweikampf gewinnen”, kommt Mauermann, früher der Verteidiger schlechthin (naja, dass ist seine Meinung) langsam auf Touren. “Weißte noch, etwa Anfang der 50er, da sind wir von zuhause aus gelaufen, da warste unter Dampf, wenn de auf dem Platz warst. Da galt nur noch Pocke her, wo ist der Gegner? Aber was willst du von diesen Weichlingen denn erwarten? Kommen mit’m Auto bis vor die Tür, kriegen ja noch die Tasche hinterher getragen.”
“Aber etwas muss ja dran sein an Training und so. Das Spiel ist ja schneller geworden”, wirft Blutschuh zaghaft ein. Da hat er die Rechnung aber ohne Jupp gemacht. “Schneller”, empört sich der mit einer wegwerfenden Handbewegung, “schneller sagst du? Du kannst bloß langsamer kucken und kapiert hast du’s doch bis heute nicht.”
Und dann hebt die Rede wieder davon an, als der grandiose 2:1-Sieg gegen den SV Gehdran 1951 gefeiert wurde, dieser unvergessene Tag, als Jupp gleich alle drei Tore erzielte, das Gegentor natürlich durch ein grobes Foul vom Gegner (“der Schiri, diese hohle Kalkwand”) begünstigt (die Siegtore waren ein Elfmeter und ein Schuss von Stopper Willi, bei dem es Mauermann nicht mehr schaffte, seinen Bierbauch aus der Richtung zu quälen). Eine Geschichte, die Jupps Enkelin Sandra mal zu der Frage veranlasste: “Opa, wofür hat dei Verein eigentlich die anderen Spieler gebraucht?”
Nur mühsam bemerkt Mauermann, dass neben ihm noch einer steht, der mit hochrotem Kopf nach den vier vergeblichen Versuchen zu Wort zu kommen, ihn vor das Schienbein tritt. “Wie früher, du Treter”, stöhnt der doch so eisenharte Verteidiger. “Hör auf, du Angeber”, tönt Karl. “Schau lieber hin. Jetzt dehnen sie sich.” “Watt is datt? Dies verrenken heißt dehnen?” “Klar, damit wird die Muskulatur gedehnt. Das verhindert Verletzungen.”
“Die komischen Bewegungen hamwer doch schon beim Umziehen gemacht, da war gedehnt genug”, knurrt Jupp und reibt sich das Bein. “Und Verletzungen? Die haben’s doch heute an Stellen, von denen wir noch nicht mal im Biologieunterricht gehört haben. Zerrungen, ha, Prellungen, ich lach mich schief, das kannten wir nicht. Selbst neue Namen haben ‘se erfunden. Bluterguss am Oberschenkel, das hieß bei uns noch Pferdekuss.” Und hat auch gleich eine unfehlbare Heilmethode zur Hand: “Flasche Bier auf Ex, das weitet die Adern und außerdem merkste danach sowieso weniger.” “Alkohol gehört heute nicht mehr auf den Sportplatz, mindestens nicht vor dem Spiel”, belehrt Blutschuh. “Ich sach doch, Weicheier”, kommt die Antwort. “Und außerdem, ein Korn vorm Anpfiff, dann konnte der andere Mittelstürmer ruhig einen Kopf größer sein, datt machte dir nix mehr.”
“Heute haben’se aber auch ‘ne bessere Ausbildung”, gibt Karl sein Wissen weiter. “Die Jugenden sind nach Alter gestaffelt, qualifizierte Trainer und so.” Da zieht Mauermanns Jupp die Augenbrauen zusammen: “Was ein Blödsinn. Durch eine harte Schule musst du gehen. Nach Alter? Wenn dich auf’m Schulhof einer aus vier Klassen über dir an die Gurgel ging, wollste ihm dann sagen: Du bist nicht meine Liga? Da gab’s ‘nen Tritt in die Weichteile und ab ging die wilde Fahrt. Und qualifizierte Trainer? Was ein Schmarrn. Wenn du es schaffst, in einer schmalen Hofeinfahrt, der Lederkugel solch einen Schnitt zu geben, dass sie um das Kartoffelbett vom Großvater einen Bogen machte, das war Training genug.”
Jetzt zog Blutschuh seinen größten Pfeil aus dem Köcher: “Und warum haben wir immer nur B-Liga gespielt?” “Mein Gott, hast du gar nichts mitgekriegt? Die Funktionäre war’n es. Wir brachten immer Zuschauer mit, wer sollte denn sonst die anderen sanieren?” Da gab Blutschuhs Karl auf.
Autor:Peter Benedickt aus Fröndenberg/Ruhr |
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