Offener Brief der Jusos im Kreis Unna
Steht die Brandmauer nach rechts, Herr Abgeordneter Hüppe?

Sehr geehrter Herr Bundestagsabgeordneter Hüppe,

als Vertreter:innen der Jungsozialist:innen möchten wir Ihre jüngsten Äußerungen im Zusammenhang mit der Bundesregierung und der AfD kritisch reflektieren. Wir beziehen uns dabei auf Ihr Interview im Hellweger Anzeiger mit Marcus Land vom 13. Juli 2023. Dabei sind durch den gewählten Stil nicht immer Frage, Moderation und eigene Gedanken von Autor und Interviewpartner klar zu trennen, weswegen wir nicht die Möglichkeit eines Fehlverständnisses Ihrer Aussagen ausschließen können. Klar ist jedoch, dass Sie häufig zitierte Gefühle haben. Diesen wollen wir im folgenden einige Fakten gegenüberstellen, da Fakten unserer Meinung nach die Basis einer lebendigen demokratischen Diskussion sein sollten.

Wir wollen dabei Rücksicht nehmen auf Ihr Problem mit Gendersternchen in Texten. Dabei ist die Angst vor einem ,,Genderzwang“ im Übrigen unbegründet. Das Gendern ist freiwillig. Wir empfinden eine integrative Sprache als Zeichen von Respekt. Wenn sich deswegen zum Beispiel Ministerien als Teil der vollziehenden Gewalt unserer Demokratie dazu entscheiden, diese Form verwenden zu wollen, um möglichst die gesamte Bevölkerung anzusprechen, begrüßen wir dies und bedauern es, wenn Ihre Partei in Thüringen zusammen mit der AfD der Regierung vorschreibt, wie sie sich an ihre Bürger:innen sprachlich zu wenden habe. Nicht die progressiv-linken und liberalen Kräfte in diesem Lande, sondern Sie und die AfD sind es, die den Bürger:innen ihren Sprachstil aufzwingen möchten.

Betrachten wir nun Ihre Kritik am Bürgergeld, das Ihrem Gefühl nach den „Berufswunsch“ vieler Mitbürger:innen darstelle – eine haltlose Unterstellung. Bei Betrachtung der Arbeitslosenquote im Juni 2023 fällt auf, dass diese gerade mal 0,3 Prozentpunkte über der im Juni des Vorjahres lag. Bei Ihrer Darstellung der Bürgergeldempfänger:innen als „faul“ wird natürlich auch unterschlagen, dass ca. 20 % aller Empfänger:innen in Arbeit sind und mithilfe des Bürgergelds ihr Gehalt aufstocken müssen. Leider ist Ihre Kritik am Bürgergeld wenig ausformuliert. Wir fragen uns aber, was Sie meinen, wenn Sie davon sprechen, dass Arbeitssuchende zu wenig gefordert würden. Ist es für Sie ein No-Go, dass jetzt nicht mehr im Vordergrund steht, den Empfänger:innen irgendeinen Job zu vermitteln, sondern, dass nun mehr Anreize für Aus- und Weiterbildung gesetzt werden, um Arbeitsverhältnisse mit Langzeitperspektive zu ermöglichen? Oder, dass ab diesem Jahr nicht mehr das von Kindern der Empfänger:innen in Nebenjobs für sich selbst erarbeitete Geld von Sanktionen betroffen wird? Wollen Sie eine Knüppelpolitik, die die möglichen Sanktionen von 10 % bis 30 % noch weiter verschärft? Wollen Sie die Sanktionspolitik, die vom Bundesverfassungsgericht als teilweise verfassungswidrig befunden wurde zurück (mit Sanktionen von 60 % bis 100 %)? Wir würden uns freuen, wenn Sie Ihre Kritik am Bürgergeld weiter ausführen könnten, um Ihnen eine genauere Aufklärung über den Sozialstaat in unserem Land zu ermöglichen. Bis dahin müssen wir annehmen, dass es sich bei Ihren klischeehaften Ausführungen vom „faulen Arbeitssuchenden“ nur um die gewohnte Aufwiegelung der Armen gegen die Ärmsten handelt.

Dieses gewohnte „Argumentationsmuster“ hat uns weniger befremdet als der traurige Versuch, die queere Minderheit gegen die der Behinderten auszuspielen. Denn die reine Existenz eines lokalen Forums, das alle zwei Wochen jungen Menschen die Möglichkeit gibt, sich in einer sicheren Umgebung zu treffen, um sich über ihre Identität auszutauschen oder einfach nur etwas miteinander zu unternehmen, steht nicht der Existenz eines ähnlichen Treffs für Mitmenschen mit einer Behinderung im Weg. Befremdlich finden wir vielmehr, dass wir hier nun kein Plädoyer für mehr Treffs für Minderheiten, sondern einen Whataboutism vorfinden. Sehen Sie dann nicht auch die regelmäßigen Treffen der CDU in Holzwickede als problematisch an, weil es keinen Treff für Behinderte gibt? Leider wird aus Ihrem Interview nicht ganz klar, wie sich Ihre Kritik an der queerfreundlichen Politik der Bundesregierung begründet. Wir beschränken uns daher in unseren Ausführungen nur auf die Aspekte, die uns aus Ihrem Interview zugänglich sind.

Darunter fällt Ihre Vermutung, dass das Selbstbestimmungsgesetz dazu führen könnte, dass Personen jedes Jahr ihr Geschlecht “wandeln” würden, nur weil sie es könnten. Was dieses Gesetz bezweckt, ist die notwendigen Hürden für eine Namensänderung und eine Änderung des Geschlechtseintrags beim Standesamt auf ein erforderliches und menschenwürdiges Minimum zu reduzieren. Derzeit bestimmten Richter:innen und Gutachter:innen über die Identität von trans*-Personen. Sie entscheiden, ob Vorname und Geschlechtseintrag geändert werden dürfen. Für das Gerichtsverfahren müssen trans*-Personen zwei Gutachten vorlegen, die ihnen bescheinigen, wirklich trans* zu sein. Diese Gutachten werden am Ende einer langwierigen und demütigenden Begutachtung erstellt. Die Kosten von durchschnittlich knapp 2.000 Euro für dieses Gerichtsverfahren müssen die betroffenen Personen in der Regel selbst tragen.

Nun ist die Kritik der Opposition an der Regierung – so fadenscheinig, wie sie auch sein mag – nichts außergewöhnliches. Was uns jedoch ernsthaft besorgt, sind Ihre Einlassungen zu der sogenannten „Alternative für Deutschland“ (AfD). In Ihrem Interview betonen Sie, dass die „Ausgrenzung“ der AfD nicht funktioniert habe. Es stellt sich die Frage, was Sie unter einer Ausgrenzung verstehen. AfD-Vertreter:innen können ihre politischen Ansichten u.a. in Interviews, über Social Media und dergleichen kundtun, wenngleich diese außer billiger Propaganda gegen das politische System nicht viel versprechen oder wie im Falle von Björn Höcke und dem abgebrochenen ZDF-Interview sich dem öffentlichen Diskurs verschließen. Auch im Bundestag haben AfD-Bundestagsabgeordnete wie alle anderen Abgeordneten ein Rederecht zu Gesetzesentwürfen, Anträgen usw. Dies zeigt, dass die parlamentarischen Rechte der AfD gewährleistet sind. Weiterhin genießt die AfD die Vorteile der staatlichen Parteienfinanzierung. Statt von einer Ausgrenzung der AfD zu sprechen und der AfD damit eine Opferrolle zu vermitteln, sollten Sie die Tatsachen zur Kenntnis nehmen.

Sie äußern ferner, dass es in der AfD „vernünftige“ Personen und damit verbunden auch „vernünftige“ Positionen gäbe. Unklar bleibt, welche Personen bzw. Positionen in der AfD konkret vernünftig sein sollen. Die menschenfeindlichen, rechtspopulistischen Positionen der AfD sollten Ihnen bekannt sein. Welche dieser Positionen meinen Sie also, wenn Sie davon sprechen, Sie würden mit der AfD stimmen, wenn Sie das „für richtig“ hielten? Vielleicht um eine genderfreie Sprache zu oktroyieren? Um die Menschen auszuweisen, die seit 2015 unverschuldet wegen Verfolgung und Krieg in ihrer Heimat bei uns schutzsuchen? Um die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare rückgängig zu machen? Wie stehen Sie zu den islamfeindlichen und antisemitischen Positionen in der AfD?

Ihr Parteifreund Hans-Georg Maaßen verbreitet antisemitische Stereotype und rechtsextreme Codes, wenn er von „Globalisten“ und „jüdischen Kräften“ spricht, die angeblich sowohl hinter dem Kapitalismus als auch hinter dem Bolschewismus steckten und für die „Auflösung von Volk und Nation“ verantwortlich seien. Diese Beobachtung wird auch von Stephan Kramer, dem Präsidenten des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz, geteilt. Wo endet also die Vernunft, wenn Sie bei Maaßen als Ihrem Parteifreund, von dem Sie sich in einer öffentlichen Diskussionsrunde vor der Bundestagswahl nicht distanzieren wollten, noch gegeben sein muss? Insbesondere anhand mehrerer Äußerungen von Björn Höcke wird deutlich, dass von Vernunft in der AfD keine Rede sein kann. Die Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ und die Bezeichnung des Holocaust-Mahnmals als ein „Denkmal der Schande“ zeigen, welch antisemitische und in höchstem Maße menschenfeindliche Ansichten die AfD vertritt. Nicht zuletzt aufgrund dieser Äußerungen darf Björn Höcke gemäß einem Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen als Faschist bezeichnet werden. Dass es AfD-Bundestagsmitglieder wie Matthias Helferich gibt, die sich in Chats als „freundliches Gesicht des NS“ und „demokratischen Freisler“ bezeichnen, verdeutlichen, wie verbreitet antisemitisches Gedankengut in der AfD ist. Diese Tatsachen sollten einem CDU-Vertreter zu denken geben. Auch der Sturm auf den Reichstag, an dem AfD-Mitglieder beteiligt waren und Nazisymbole und Reichskriegsflaggen gezeigt wurden, können nicht von einem CDU-Bundestagsabgeordneten toleriert werden.

In jedem Fall ist es nicht akzeptabel, dass eine demokratische Partei wie die CDU bzw. ihre Vertreter:innen die AfD normalisiert und deren Positionen dadurch legitimiert. Die AfD ist eine Partei, die offenen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und antidemokratische Ideologien verbreitet und gerichtsfest als Faschisten bezeichnete Menschen in ihren Reihen duldet. Mit solchen Positionen und Menschen darf es keinen politischen Kompromiss geben. Mit ihnen ist kein Staat zu machen!

Ihre Kritik an der Bundesregierung und der Fortschrittskoalition schlägt in dieselbe Kerbe der Angst und Furcht vor Fortschritt und Wandel, in die auch die Vertreter:innen der AfD schlagen. Ihre Äußerung, eventuell mit der AfD zu stimmen, macht diese Partei salonfähig. Wer die Folgen einer Salonfähigkeit rechtspopulistischer Ansichten abschätzen möchte, muss sich nicht der Geschichte bedienen. Es genügt ein Blick in unsere europäische Nachbarschaft. Eine Regierungsverantwortung der AfD lehnen Sie immerhin ab. Eine AfD-tolerierte Minderheitsregierung der CDU wäre Ihnen vielleicht genehm?

Hierzulande besteht die Brandmauer gegen rechts noch. Werden Sie und die CDU es sein, die eine der Bestandsgarantien unserer wehrhaften Demokratie zu Fall bringen werden? Ihre Äußerungen vom 13. Juli 2023 begründen jedenfalls unsere höchste Sorge davor.

Hochachtungsvoll

für die Jungsozialist:innen im Kreis Unna

gezeichnet:

Fatih Asıl, Vorsitzender

Matteo Elias Weitner, stellvertretender Vorsitzender der RuhrJusos

Alexander Höll, Antifaschismus-Beauftragter

Burak Çakanoğlu, Vorsitzender der Jusos Schwerte

Maximilian Philipp Born, stellvertretender Vorsitzender der Jusos Holzwickede

Jan-Niklas Blaschke, Jusos Unna

Autor:

Klaus Böning aus Fröndenberg/Ruhr

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