Straßennamen haben nicht nur eine Lokalisierungsfunktion, sondern auch einen Erinnerungsauftrag: Es ist uns in Deutschland und in Essen nicht egal, mit welchem Namen eine Straße bezeichnet wird. Und natürlich soll die so geehrte Person für das nachbarschaftliche Zusammenleben in unserer Stadt ein Vorbild sein.
Geschichtliche Verantwortung
Auch die Nationalsozialisten vergaben auf diese Weise Straßennamen: So trug etwa die Kettwiger Straße während der Nazizeit den Namen des "Führers", die Rüttenscheider Straße widmete man damals Hermann Göring und die heutige Klarastraße führte den Namen Horst Wessel. Und am 20. November 1937 ehrten Essener Nazis die beiden gerade verstorbenen Generäle Hans von Seeckt und Karl von Einem, in dem sie sie zu Patronen der damaligen Irmgardstraße (die nicht nach der gleichnamigen Krupp-Tochter benannt war!) und Ortrudstraße machten. Wer sich mit dem Nationalsozialismus näher beschäftigt hat, weiß, dass es bei solchen Straßenbenennungen immer auch um die Verehrung von Gesinnungsgenossen ging.
Ohne Zweifel handelt es sich bei Hans von Seeckt und Karl von Einem um antidemokratische Feinde der Weimarer Republik, die durch ihr Tun die Machtübernahme der Nazis befördert hatten. Dies ist in der Geschichtswissenschaft unumstritten. Ohne Zweifel taugen diese beiden Herren deshalb nicht mehr als Vorbilder für unser heutiges freiheitlich-demokratisches System, das mit Blick auf die ungeheuerlichen zehn NSU-Morde weiter wachsam gegenüber Neonazismus sein muss. Und ohne Zweifel gibt es derzeit in Deutschland viele Städte, die ihre Straßen und Plätze aus diesen Gründen umbenennen. Bemerkenswertes Beispiel war jüngst die Umbenennung des Hindenburgplatzes im westfälischen Münster.
Vertretbare Umstellungsaufwände
Bemerkenswert ist auch Münsters Umgang mit den praktischen Folgen der Umbenennung. Wesentliche Schritte übernimmt dabei die Stadt von Amts wegen: Das Katasteramt verschickt einen Übersichtsplan mit den Straßennamenänderungen per Mail an Polizei, Feuerwehr, Stadtwerke, Deutscher Rentenversicherung, Brief- und Zeitungszusteller, Telefonanbieter und sogar an Hersteller von Navigationssystemen. Für eine einjährige Übergangszeit bleiben nicht nur beide Straßenbezeichnungen gültig, sondern werden an den betroffenen Straßen und Plätzen auch Doppelbeschilderungen montiert. Dies oder auch Ummeldungen der Adressen im Personalausweis und Fahrzeugschein sind für alle betroffenen Anwohner und Gründstückseigentümer "selbstverständlich" kostenfrei, woran sich auch die Stadt Essen ein Beispiel nehmen sollte.
Selbstverständlich bleiben aber Aufwände für jeden Anwohner übrig. So sehr wir uns auch im Laufe der Zeit an unsere Straßennamen gewöhnt haben, so sehr lohnt sich der vertretbare Restaufwand für die Übernahme geschichtlicher Verantwortung, die den genannten beiden Straßen ihre traditionellen Mädchennamen zurückgibt - ein wahrhaft bürgerschaftlicher Akt der Mündigkeit!
Günter Hinken, Von-Einem-Str. 37, Anwohnerinitiative "Irmgard und Ortrud"
Autor:Günter Hinken aus Essen-Süd |
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