"Wir leben bereits im atomaren Chaos"

Ein brutales Szenario tischt auf Kinderarzt Werner Strahl, IPPNW---!

Auf wie vielen Demos gegen Atomkraft Werner Strahl war? „Weiß ich nicht. Weit über hundert.“ Vor kurzem stand er deshalb auf dem Willy-Brandt-Platz, Essen. „Ich ergreife nicht gern das Mikrofon. Aber es muss sein.“ Seit über 25 Jahren steht der Kinderarzt für IPPNW ein. Hier ein Einblick auf seinen Atom-Ausblick: Ein brutales Szenario.

Anfangs wurden Atomkraftgegner noch milde belächelt. Doch dem Essener Dr. med. Werner Strahl, Kinder- und Jugendarzt, war es immer grell klar, welch eine „Zeitbombe“ da tickt. „Meine Fröhlichkeit ist mir jetzt nach Japan restlos verhagelt“. Er gehört der IPPNW an; Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. Deutschlandweit sind es 7000; international 90000 Ärzte. 1985 erhielt die Organisation den Friedensnobelpreis.

Bitter führt Strahl an: „1986 kam die Katastrophe Tschernobyl. Die hat uns gezeigt, dass nicht nur die Rüstung sondern auch die zivile Atomwirtschaft eine sehr gefährliche Einrichtung ist. Wir sprechen von einem militärischen-zivilen Komplex. Seit genau 25 Jahren machen wir darauf aufmerksam, dass die Nutzung ziviler Atomkraft außerordentlich gefährlich ist. Wir sehen sie als Krankheit an. Als Ärzte müssen wir normalerweise an der Prävention arbeiten; Vorbeugen heißt, keine weitere Erhöhung der radioaktiven Belastung der Biosphäre.“

Er erinnert an die jungen Soldaten in Tschernobyl. „600000 junge Soldaten wurden da verheizt. Sie fuhren dort hin, um den Müll wegzuräumen, arbeiteten im Kraftwerk; an heißen Stellen jeweils bis zu einer Minute. Ohne Messgeräte, ohne vernünftige Kleidung. Inzwischen sind von ihnen 150000 tot, Durchschnittsalter 47 Jahre. Wir betreuten von Tschernobyl Kinder im Uni-Klinikum; bei 300 Kleinen mussten die Schilddrüse entfernt werden. Krebs!“ Wohlgemerkt, wir sprechen nur von einer Stadt. „Die Strahlengefahr liegt für die Japaner in Fukushima 20 Mal höher als Tschernobyl“, so der Arzt.

„Doch die Hauptgefahr sehe ich darin, dass viele Länder weitere Atomreaktoren bauen. Es ist noch so viel atomare Planung in der Welt! Jeder Reaktor fördert wiederum Unmengen radioaktiven Müll. Der erste Reaktor in Deutschland, vor 60 Jahren, enthielt die Notwendigkeit, ein Endlager zur Verfügung zu stellen. Wir haben heute noch keine Idee, wo das sein soll. Wenn jetzt alle Reaktoren abgestellt würden, müssten wir wiederum für den Abbau der Kraftwerke, deren Müll, hunderte von Castor-Transporten füllen. Menschen müssten sie dann erdulden. Aber wohin sollen die fahren…? Fakt, der Müll muss im eigenen Land bleiben. Wir leben also jetzt schon im atomaren Chaos; das überlassen wir unseren Kindern für 100000 Jahre! “
Bildlich zeichnet er auf: „Hätten die Neandertaler für Heizung in der Eiszeit Atomkraft benutzt, hätten wir jetzt ihren Müll herumzuschleppen.“ Ich hege große Zweifel in den Fähigkeiten der Menschen, kontinuierlich mit den atomaren Gefahren umzugehen.“ Der 66-Jährige, Großvater von vier Enkeln, führt den Meiler Harrisburg an. „Der konnte erst sechs Jahre nach dem Unfall geöffnet werden, er ist jetzt noch nicht abgebaut.“ Und - Plutonium hat eine Halbwertzeit von 24000 Jahren.
Aber Dr. Strahl sieht auch für die Deutschen Positives. „Jetzt haben wir die Möglichkeit des Umsteigens auf andere Energiequellen statt Kernenergie. Wir können den anderen Nationen das vormachen. Doch danach müssen wir uns auf ewige Zeiten um den Müll kümmern. Würden die Atomkraftbetreiber realistische Versicherungssummen für die Risiken ihrer Atommeiler zahlen, wären die Kosten für den Atomstrom gleich unbezahlbar.“

Werner Strahl weiß wovon er redet. Gesehenes kann er nie vergessen, deshalb die Eindringlichkeit, „dass Kinder und Schwangere im Umkreis von 100 Kilometern um das havarierte Atomkraftwerk von Fukushima schnellstens in Japan oder im Ausland aufgenommen werden, da höchste gesundheitliche Gefahr droht.“

Vier Forderungen stellt der Kinderarzt sofort: Umschalten auf alternative Energiequellen und alternative Anbieter. Rascher Ausstieg aus der gesamten Atomenergie. Hilfe für die Opfer in Japan. Wachsamkeit der Öffentlichkeit vor politisch kurzfristigen Versprechungen…

Autor:

Ingrid Schattberg aus Essen-West

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