Mensch Burchardt - lebendes Denkmal

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80 Jahre – Howlin‘ Horst – ältester aktive Bluesmusiker Deutschlands

Horst Burchardt fällt auf: Der große, schmale Mann mit dem markanten Gesicht, Drei-Tage-Bart, blankem Schädel. Dessen „Stübchen“ täglich – seit acht Jahrzehnten – auf Hochtouren heizt. Er ist bekannt wie ein bunter Hund. Nicht nur in Frohnhausen sondern weit über die Grenzen hinaus. In Bergisch-Gladbach steht er schon als Denkmal auf einem Kinderspielplatz. Und als Howlin‘ Horst wird der dienstälteste Bluesman aus dem Kohlenpott bei seinen Auftritten als lebende Legende bejubelt…!

Wie, was - acht Jahrzehnte alt? Ja, am 7. Juni „rundet“ sich Howlin‘ Horst. Bürgerlich Horst Burchardt; seinen Künstlernamen leitete er ab von der Blues-Legende Howlin‘ Wolf. Die Sonnenseiten seines Lebens werden dann - klar - noch stärker beleuchtet. Aber es gab auch Schattenseiten. Gerade in Frohnhausen. Die er nie vergisst. Dafür steht er zu verwurzelt gerade in diesem Stadtteil. Der Reihe nach…
Burchardt ist gelernter Kaufmann. Wie kommt man da zum Heimleiter? Denn mit seinem Namen verbindet sich eine sehr lange und intensive Frohnhauser Geschichte, vor allem mit der ev. Kirchengemeinde Aposteljugendhaus. Der gebürtige Bochumer erklärt – als wär’s das Normalste auf der Welt: „Beim Schwimmen lernte ich unter der Dusche Pfarrer Gerstenberger kennen. Der fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, in Frohnhausen mitzuarbeiten!“ Das war 1967. Er wurde ehrenamtlicher Presbyter, dann Finanzkirchenmeister. Weil ihn aber die Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen so faszinierte, machte er 1975 in Radevormwald seine Heimleiterausbildung. Mit 58 schaffte er an der Uni Bochum mit Semestererlass den Diplom-Schein als Sozial-Pädagoge. 25 Jahre war er Heimleiter des Aposteljugendhauses – ein Haus der offenen Tür unter der Regie der evangelischen Kirche.
Die Zeit und Arbeit im Apostelhaus steht noch glasklar vor seinen Augen: „Unsere Hauptaufgabe war eine sozialpädagogische Arbeit für Außenseiter, Drogenkonsumierende, Gewalttätige… Wir hatten damals einen Besucherdurchschnitt pro Woche von bis zu 1200 Kindern und Jugendlichen. Bis zu vier Tanzveranstaltungen für verschiedene Jugendkulturen pro Woche und noch eine Live-Veranstaltung am Wochenende.
Dazu kamen Theatergruppen, drei Fußballteam, Turnhallenbenutzer der Adelkamp- und Berliner Schule, Stockfechten, Kickboxen, Judo, durchschnittlich zehn Bands, die da probten, Antifa und die ganze Junkie-Szene, internationale Türkenteestube, Türken-, Kurden-, Libanesen-Hochzeiten, Albaner-, Tamilenfeste und mehr. Eine herrliche Zeit, keinen Tag möchte ich missen. Na klar, da kam es auch zu unangenehmen Ausfällen. Wir hatten aber immer genug ehrenamtliche jugendliche Mitarbeiter, die dazwischen gingen. Unsere Hausordnung hieß Frieden und alle Konflikte verbal lösen; den Verstand einschalten! Eine Schlägerei dauerte höchsten 30 Sekunden; danach wurde nur diskutiert, bis der Konflikt aus der Welt war.“
Dann kam Pfarrer Kessen als neuer Jugendpfarrer. „Alle Problemtypen flogen raus, starke Begrenzungen in allen Bereichen folgten. Keine Integration, keine Friedensarbeit. Ruhe, Friede, Eierkuchen. Es gab eine Demonstration fürs Konzept. Ein Stein flog ins Fenster von Kessen und der neue Heimleiter bekam ein Ei mit. Mir wurden Schlüssel abgenommen und
meine Kollegen suchten das Weite. Ich wurde pensioniert. Egal, ich war ja schon 65. So waren die Ereignisse…“
Heute noch erntet Burchardt den Lohn seiner damaligen Arbeit. „Fast jeden Tag treffe ich junge oder schon ältere Männer, die mich erkennen, mich äußerst erfreut begrüßen. Viele sagen mir, es wäre die schönste Zeit damals im Apohaus ihres Lebens gewesen. Ich wäre ihr Vater gewesen. Ich werde dann eingeladen. Das tut ungemein gut!!! Nie werde ich aus Frohnhausen wegziehen. Kürzlich hatte ich im Rahmen meiner Jugendarbeit „Kids in Trouble“ eine Auseinandersetzung mit einer aggressiven Type auf der Berliner Straße. Der wollte auf mich los. Plötzlich stand ein stämmiger Türke neben mir, sagte: Horst, hast du Probleme? Schon war Ruhe im Karton.“ Übrigens, alle Einkünfte aus seiner künstlerischen Tätigkeit stellt er dem Projekt „Kids in Trouble“ zur Verfügung; für Kinder und Jugendliche, die in schwierigen sozialen Verhältnissen leben.
Lebensabend-Ruhe kennt der „unruhige“ Burchardt nicht. „Da ich immer noch schwierige Jugendliche über den ASD betreue, suche ich Freizeitgestaltungsmöglichkeiten. Aber das Apohaus wird leider von ihnen nicht angenommen. Okay, sollen die heutigen Mitarbeiter so arbeiten. Sie machen es in ihren Bereichen super gut. Nur die Gefahr ist, dass sie zu sehr den schwierigen, sozialen Bereich verlassen und dadurch verstärkt von finanziellen Kürzungen bedroht werden. Da hatte ich nie Probleme. Polizei, Politiker und die anderen Jugendeinrichtungen wussten, dass ich ihnen die Problemjugend abnahm.“
Unvergessen bleibt: „Der verstorbene Ulli Zimmermann, ein Junkie, sagte mir mal: Horst, gestern spielte in der Apo-Disko eine Spitzenband. Die wirkte so intensiv auf mich, dass ich heute erstaunlicher Weise meine Dröhnung an meinem Bett wiederfand; ich hatte sie vergessen mir zu spritzen…Das ist Kultur als Drogenprävention.“
Langeweile? „Der ehemalige Jugendpfarrer Thomas Werner holte mich jetzt in seine Gemeinde nach Bergisch-Gladbach. Dort arbeite ich ein- bis zwei Mal in der Woche an einem Drogenpräventionsprojekt. Ich schreibe mit einer Theaterpädagogin ein Theaterstück, entwickel Plakate, Broschüren und Veranstaltungen zum Thema. Schon habe ich dort ein Denkmal bekommen. Es steht auf dem Spielplatz des Kindergartens – ein großes Spielgerät zum Klettern – ein Glücksschwein und heißt Horst…“
Schwein hat der noch 79-Jährige jahrzehntelang in der Musikszene. Er singt ebenso schöne wie böse Lieder. 1980 entdeckte nämlich Howin‘ Horst die Bluesharp. Seitdem sind dieses handliche Instrument und der Blues seine großen Lieben. Mit seinem Spiel und Gesang lässt er die Endorphine seiner Zuhörer Moonwalk tanzen…
Ach ja, am 7 Juni wird natürlich fetzig gefeiert im Kreis seiner Familie mit Gattin Elke, seinen drei Kindern und vier Enkeln, Freunde – die geben für Howlin‘ Horst ein Fest am 18. Juni, 20 Uhr, Cafe Nova, Borbeck. Glückwunsch Horst!

Fotos: Michael Gohl / West Anzeiger

Autor:

Ingrid Schattberg aus Essen-West

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