Kirchen-"Anschlag" schlug wie Bombe ein
Kirchen-"Anschlag" - eingeschlagen wie Bombe
Riesenresonanz, Aufregung über bunte Buchstaben auf der gräulichen 66-jährigen Kirchenwand in Frohnhausen. Polizeieinsätze, heiße Debatten. Emotionen schlagen Pfarrer Werner Sonnenberg entgegen; auch Gigo, dem „Sprayer“. „Ich bin kein Sprayer. Wenn einer mit dem Hammer arbeitet, ist er auch kein Hammerer.“ Peng! Was ist er denn…?
„Überall im Stadtteil werde ich über das Sprühen an der Kirchenwand angesprochen“, bestätigt der Pfarrer. Ist das gar Sünde? Nö, gewollt. Er fühlt sich himmlisch. Auch Gigo. „Ich bin Konzeptkünstler.“
Er bunkert. Freier Kurator, Straßenkünstler, Nomade. Mit seiner Kunst u. a. an Autobahnwänden, am Ruhrschnellweg, am Apo-Haus.
Übrigens, am 21. Juli Storpstraße 9, 13 Uhr (!) passiert wieder etwas. Seine Kunst soll wachrütteln….
Werner Sonnenberg zählt auf: „Die einen schauen zur Wand, schütteln den Kopf, gehen am Portrait vorbei. Dann gibt‘ die Ahnungslosen, die mich direkt ansprechen: Was ist das?“ „Haben sie ein Smartphone? Tippen sie Otto Bartning ein.“ Dann geht ein Licht auf. Ach ja, der Otto, Architekt, konzipierte einen Kirchen-Typ an 43 Orten in Deutschland. Die Notkirche in Essen-Frohnhausen zählt dazu. Und – im Sinne des Architekten gehört auch das Konzept, sie der Zeit anzupassen. Menschen sollen sich dort begegnen. „Das geschieht seit über 25 Jahren im Kunstraum unserer Notkirche.“
Fakt ist, die Buchstaben werden auf der Fläche immer mehr. Wildes Wirrwarr? „I wo. Sobald die Menschen einen Sinn in manchen Zitaten entdecken, werden gerne offene Diskussionen geführt. Das finde ich äußerst spannend.“
Gigo weiß: „Jedes Wort assoziiert wieder neue Blickwinkel. Das ist hier im Stadtteil voll aufgegangen.“ Beispiele? Über der Rosette auf der Wand funkeln Buchstaben: Wer schaffen will - muss fröhlich sein. Gigo erinnert: „Auf meine Frage an die Welt, wenn es um einen Appell geht, den ich in Frohnhausen senden kann, erzählte mir eine Frau von ihrer Freundin, die jetzt nach einem Schlaganfall im Krankenhaus liegt. Wenn etwas schwerer wurde, sagte sie immer diesen Satz.“
Oder: Kinder nach‘m Krieg – in Ruinen – Kirmes – 10 Pfennig – sammeln – der Stein…Dabei entstehen blitzartig im Kopf über sechs Jahrzehnte-Bilder. „Zeitzeugen schilderten, dass sie in den Trümmern Steine suchten, diese vom Putz frei klopften, für zehn Pfennige verkauften, das Geld auf der Kirmes ausgaben. Von den Eltern nachher Schelte hagelte“, weiß Sonnenberg.
Als Dipl.-Ing. Klaus-Jerzy Salomon Fahrt im Auto die schillernde Wand, Mülheimer Straße, im husch sieht, hält er an, steigt aus. „Das ist wunderbar gemacht. Farbenfroh. Man muss sich die Mühe nehmen, den Text zu lesen. Ich finde es gut, dass Trümmerfrauen nicht in Vergessenheit geraten. Sie sind keine Legende.“
Zum Hintergrund: Gigo sprüht ja nicht nur. Sondern er unterhält sich mit Menschen vor Ort. Die Gespräche werden dokumentiert von Filmemachern, Regisseuren, Praktikanten.
Der Hammer kommt. „Es wäre zu schade, wenn wir mit den Löscharbeiten bereits Ende der Woche beginnen. So war es mit Gigo vorgesehen.“ Der Pfarrer strahlt wie befreit: „Das Werk bleibt noch Wochen.“ Tja, dann wartet das nächste Highlight!
Autor:Ingrid Schattberg aus Essen-West |
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