Helden und Engel im Alltag
Das Gewohnte als Außergewöhnliches
Die wahren „Helden“ – und oft auch „Engel“ – sind jene Menschen, die man schon nicht mehr bemerkt. Menschen, die auftauchen und verschwinden wie altbekannte Selbstverständlichkeiten. Menschen, um die man weiß, dass es sie gibt, an die man jedoch im Alltagstrott nicht denkt. Man „sieht“ sie schon nicht mehr, nimmt sie wahr wie Mobiliar des modernen Gesellschaftslebens.
Aber dann: Freitags war das Auto in der Markenwerkstatt zur Inspektion. Alles Wichtige wurde geprüft. Ein Regenwasserabfluss wurde durchgepustet. Achsmanschetten und Bremsen waren nicht zu beanstanden. Das Getriebeöl war in Ordnung. Motoröl und Ölfilter wurden gewechselt.
Alles okay, bestens in Ordnung.
Wirklich?
Nach dem Werkstattbesuch wurde das Auto abgestellt. Am Montagmorgen sollte es zu einer Beerdigung gehen. Wie viele Jahre, Monate, Wochen und Tage zuvor wurde der Zündschlüssel eingesteckt und gedreht… – und nichts. Absolut nichts. Zum allerersten Mal in seinem Autoleben spielte das Fahrzeug nicht mit, gab keinen Mucks von sich.
Krause Gedanken machten sich unter der Frisur breit: Inspektion in einer Markenwerkstatt, um das vorwinterliche Gewissen abzuarbeiten, alles geprüft und gemacht, Heimfahrt, Auto wie immer abgestellt, Totalversagen beim nächsten Start. – Wie geht das? Hat da jemand Murks gebaut?
Anruf bei der Werkstatt, Ratlosigkeit. Was tun? – Man wollte überlegen und sich dann wieder melden. So geschah es auch, aber mit unverhofftem Resultat: ADAC-Mitglied? – Ja. – Man solle doch den ADAC-Pannendienst anrufen – 0180-2222222 – und um Starthilfe bitten. Dafür bezahle man ja auch die Beiträge…
Aha. Kopfschütteln. Aber jetzt mischten sich anscheinend Engel ein und übernahmen die Regie. Anruf beim ADAC, Fall geschildert, Auto springt nicht an, Beerdigungstermin, Werkstatt zuckt die Schultern… – Tja, man wolle sehen, was sich nach Möglichkeit tun lässt. Das könne jedoch bis zu zwei Stunden dauern. – Oh je! – Ja, aber man werde alles versuchen und dann anrufen.
Die Engel waren wohl fleißig. Nach zehn Minuten rührte sich das Telefon. Ein ADAC-Helfer vergewisserte sich der Zieladresse und kündigte sein baldiges Eintreffen an. Welch ein Wunder! Nach dem Eintreffen wurde zu einem Hilfsakku überbrückt, und das Auto sprang sofort an.
War’s das nun? – Nein, war es nicht. Der ADAC-Mann ließ den Motor eine Weile laufen, während er sich am und im Fahrzeug zu schaffen machte, um nach etwaigen heimlichen Verbrauchern zu fahnden, die der Batterie den Saft geraubt haben könnten. Er suchte auch in Ecken, an die ein Normalsterblicher niemals gedacht hätte, und prüfte auch die Leistung der Lichtmaschine. Doch es war offensichtlich alles in Ordnung, so dass nur der Schluss blieb, dass die Batterie „von jetzt auf gleich“ ihr Zeitliches gesegnet hatte.
Wie bitte? – Ja, so ist es, das gibt es und kommt immer wieder vor: „Von jetzt auf gleich.“ Man startet mehrmals am Tage, fährt von hier nach da, geht schnell noch etwas besorgen, kommt zum Auto zurück… – und nichts geht mehr. Das trägt sich zu wie eine Art Akku-Infarkt. Der Pannenhelfer vom ADAC begnügte sich immer noch nicht damit, dass das Auto wieder lief. Er stellte den Motor ab und unterzog den Akku mithilfe eines rätselhaften Gerätes einer Diagnose. Die fiel dann betrüblich aus: Der Akku lag „im Sterben“; er würde nach einiger Fahrt sich so weit aufladen, dass er etwas später noch den Anlasser versorgen könnte, doch nach einer kalten Nacht zum Beispiel würde er den Dienst wieder verweigern.
Und das bei einer erst 32 Monate alten und sorgfältig gewarteten Batterie aus edlem Hause. Naja. Immerhin verflüchtigten sich die krausen Gedanken, weil die Werkstatt nun völlig aus dem Schneider war. Wenn moderne Akkus solche Spielchen treiben, dann tun sie das eben. Man muss es nur wissen und sich darauf einrichten, schnell einen Ersatz zu finden.
Immerhin, jetzt lief das Auto wenigstens und tat wie vorgesehen wieder seine Pflicht. Aber während der Fahrt musste es sich aus seinem Innern Gespräche darüber anhören, mit welch unverhofften Tücken man heute rechnen muss, mit welcher Hilfe man heute jedoch auch rechnen kann, wenn man durch entsprechende Maßnahmen vorgesorgt hat. ADAC? Klar. Telefon? Klar. Und unterwegs? Handy. Schlechtwetter? Warme Kleidung. Treibstoff? Möglichst voller Tank.
Doch ist da noch etwas mehr?
Ja: MENSCHEN!
Wie würde „unsere moderne Welt“ funktionieren, wenn es nicht Menschen gäbe wie den „Gelben Engel“ F. Ewers vom ADAC-Pannendienst, der ständig durch Straßen kurvt, drahtlos zu erreichen ist und zu Notfällen dirigiert wird, denen er nach besten Kräften abhilft. Wie würde es uns ergehen, wenn nicht auch andere Menschen darauf verzichteten, von 6 bis 14 oder von 8 bis 16 Uhr ihren Job herunter zu reißen, sondern stattdessen zu allen erdenklichen Zeiten oder gar rund um die Uhr bereit sind, anderen Menschen zu helfen oder das organisatorische Getriebe unserer Gesellschaft auch technisch auf Trab zu halten.
Polizisten – ob man sie mag oder nicht – sind die Fingerspitzen unseres Ordnungs-, Sicherheits- und Rechtssystems. Sie können auch Kralle oder Faust sein, wenn die Rechtsordnung dieses erzwingt. Ärzte und Krankenschwestern, die zu jeder Tages- und Nachtzeit ihren oft schweren Dienst tun, würden manches Leben nicht retten, wenn sie nur von morgens bis nachmittags verfügbar wären. Regale in Supermärkten und auch im „Tante Emma-Laden“ wären oft leer, wenn nicht zigtausende Gütertonnen von Lokführern und Brummifahrern auch nächtens über Gleise und Straßen bewegt würden. Versandhändler könnten nicht von einem Tag auf den anderen liefern, wenn die Fahrer bei Paketdiensten nicht während der Nacht ihre Sammelfrachten über die Autobahnen lenken würden. Auch die oft beneideten Kapitäne in der Luft haben alles andere als einen geregelten Arbeitstag; sie sind mal hier, mal da überall auf diesem Globus, sehen die ganze Welt von oben, doch kaum etwas von unten, weil sie dringend ihren Schlaf tanken müssen.
Noch jemand? – Ja, sehr viele Menschen. Selbst die Zeitungsausträger gehören dazu, die noch im Dunkeln dafür sorgen, dass zum Frühstück eine Zeitung neben dem Kaffee liegen kann. Oder die Bergungskräfte, die jederzeit die Verkehrsadern freiräumen müssen, falls sie durch einen Unfall verstopft wurden, egal ob bei Nacht, beim Sturm oder bei Schnee. Der ADAC-Pannenhelfer steht hier stellvertretend für viele Menschen, an die man nur denkt, wenn man sie braucht. Diese Menschen sind die wahren Helden und Engel in unserer Zeit, denn wenn nur einer von ihnen ausfällt, knirscht oft schon Sand im Getriebe. Wenn freilich in irgendwelchen Büros irgendwelche Leute mal nicht zur Arbeit erscheinen, mag das – oft – kaum auffallen, und zwar besonders dort, wo „Produktivität“ nicht gemessen wird, wo nur Bürokratie wuchert.
Mehr? – Zum Beispiel die Feuerwehrleute, die Fahrer von Krankenwagen, die Nothelfer bei Wasserrohrbrüchen, die Spezialisten bei Stromausfällen… – und nicht zu vergessen: die Hebammen.
M.S.
Autor:Manfred Schuermann aus Essen-Ruhr |
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