Helden des Alltags: "Herr Mittnacht, ich liebe dich"

Der heiße Tipp kommt vom Alfred Krupp Gymnasium. „Mit Herrn Mittnacht muss die Redaktion mal sprechen. Er ist unser Held des Alltags“, meint Bernd Dröse, Studiendirektor. Telefon, wählen, Glück gehabt. „Mittnacht“. Etwas atemlos. „Ich komme soeben von einer Uni-Vorlesung…“ Na denn, Luft holen, Mantel ausziehen. Doch nach dem Gespräch bin ich atemlos, sprachlos…

Zur Erinnerung: In Zusammenarbeit mit der RWE Rheinland Westfalen Netz AG sucht der STADTSPIEGEL „Helden des Alltags“. Nie und nimmer hätte Franz-Josef Mittnacht mit uns gesprochen, sich fotografieren lassen, wenn Schüler wie Lehrer den 80-Jährigen (!) jawohl, nicht so bedrängt hätten.
„Nach dem Tod meiner Frau 2008 fiel ich in ein Riesenloch. Leere. Ablenkung suchte ich zunächst durch Computerspiele, Puzzles.“ Dann Aufrappeln. Franz-Josef Mittnacht, eh und je ideenreich, klopfte bei der Ehrenamtsagentur in Rüttenscheid an: „Können Sie mit einem alten Mann auch was anfangen?“ Und? „Die waren total begeistert und überreichten mir sofort eine Liste mit Aufgaben, die ich mir aussuchen konnte.“

Helden sind Menschen, die etwas riskieren

Tja, seitdem besucht der Ex-Beamte (im höheren Dienst bei der Bundesanstalt für Arbeit) zwei Kindergärten regelmäßig wöchentlich in Essen-Heisingen und Essen-Ost. „Von 42 Kindern sind nur zwei, die keinen Migrationshintergrund haben. Ich lese ihnen Geschichten vor, erzähle ihnen Begebenheiten. Manchmal komme ich gar nicht mehr zum Vorlesen. O ja, die rufen mittlerweile: Ich habe auch was zu erzählen…“ Pause. Seine Augen leuchten. „Für meinen Begriff sind Helden, die etwas riskieren - bis hin zum eigenen Leben. Aber die KiTa-Besuche bereiten mir doch Riesenspaß. Ich erhalte so viel Freude von den Kleinen zurück.“ Dickes Strahlen huscht über sein Gesicht als er von einem Kind berichtet, das zu ihm kam, sagte: „Ich liebe dich.“ Und zwei Tage später ihn aufforderte: „Du kannst mich heiraten…“
Schon zu Berufszeiten machte es sich Franz-Josef Mittnacht nie bequem. „Ich war kein guter Beamter, denn soweit es erlaubt war – also nicht verboten – entschied ich mich immer zum Positiven.“ Woher der gute Draht zur Jugend? „Ich komme aus der Pfadfinderei; war Gruppenführer. Habe Erfahrung mit Kindern und Jugendlichen.“ Noch Sehnsucht nach der alten Schulzeit? „Keinesfalls. Ich wollte nichts mehr davon sehen und hören. Jetzt hat sich ja der Unterricht total verändert. Damals hießt es: Daumen drauf aufs Pult, wenn nicht – Strafarbeit, Nachsitzen – diese Strafen waren noch das Harmloseste.“ Mittnacht, gebürtig in Kassel, Vater von zwei erwachsenen Kindern, liebender Opa von zwei Enkeln, denkt nicht gerne an seine Schulzeit zurück. „Ich war als Einziger das Arbeiterkind, bei den anderen waren die Väter Rechtsanwälte, Ärzte.“ Trotzdem studierte er Philosophie, Psychologie und noch ein paar Nebenfächer wie Soziologie, Pädagogik. Ebenfalls absolvierte er ein dreijähriges Praktikum in einem Jugendheim.

"Ich ziehe mich nicht aufs Altenteil zurück"

Mittnacht, der Mann mit der ansteckenden guten Laune hat acht Jahrzehnte auf dem Rücken? Unglaublich. Denn neben Kindergärten fährt er zusätzlich zwei Mal wöchentlich zur Alfred Krupp Schule, macht Hausaufgabenbetreuung seit gut einem Jahr. Lehrer Bernd Dröse rückblickend: „Anfangs hatte ich Bedenken, ob die Kinder ihm auch genügend Respekt entgegen bringen, und er sich bei den 10- bis 12-jährigen Schülern durchsetzen kann. Meine Befürchtungen erwiesen sich als völlig unbegründet. Die Kinder mögen ihn, hören ihm aufmerksam zu, wenn er etwas – sehr geduldig – erklärt. Sie bewundern sein breit gefächertes Wissen und haben begriffen, dass er ihnen kompetent helfen kann, den Alltag am Gymnasium zu bewältigen. Gerade auch Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund und die,
denen zu Hause nicht geholfen werden kann, schätzen ihn deshalb. Ich finde es bewundernswert, dass Herr Mittnacht sich nicht aufs „Altenteil“ zurückzieht, sondern die Herausforderung an unserer Schule mit Bravour meistert. Da ihm das Ganze ebenfalls Spaß macht, hoffe ich auf eine langfristige Zusammenarbeit und würde mich freuen, wenn sein außergewöhnliches Engagement neben dem Dank der Kinder auch öffentlich geehrt würde.“
Mittnacht, der Gentleman, gibt das Lob prompt zurück. „Die Schüler sind so offen, natürlich, halten Disziplin. Das läuft alles normal. Wir sind immer zu zweit, es gibt keine Probleme. Falls der Stoff mir nicht so präsent ist, stehen mir immer ein Student oder eine Ex-Lehrerin zur Seite.“

Komplimente flattern von den Schülern flugs zurück. Benjamin (12), Gizem (12) sind begeistert von seiner Ruhe, Gelassenheit. „Wir verstehen es schneller. Er erklärt so verständlich und nett. Ist sehr witzig.“ Die elfjährige Ipek hakt nach: „Er sagt uns beileibe nicht alles vor; nur ein bisschen – dann versuchen wir, den Rest zu lösen.“ Kleines Geständnis: „Wir sind manchmal auch laut. Trotzdem kommt er am besten mit der Klasse klar. Andere Lehrer schreien schon mal, wenn es zu wild wird. Wir brauchen, verehren ihn. Wie einen Popstar!“
Huch, das ist längst noch nicht alles. Seit dem Sommer-Semester 2010 zieht es den heißgeliebten Mann noch zur Uni Essen/Duisburg. „Anfangs setzte ich mich nur rein, habe zugehört, ob mir die Vorlesungen gefallen. Inzwischen mache ich im Seminar mit; mittelalterliche Geschichte interessiert mich sehr – will ich jetzt noch studieren. Meine Kinder sind damit einverstanden. Und die Professoren sind alle ganz von meinem Wunsch angetan. Keiner erklärt mich für verrückt…“

Achtung - Mitmachen - Gewinnen!!!!!

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