Essens "Allerbeste"...
Sonja Schwolgin ist zwar nicht Essens Beste – aber die Allerbeste für viele Menschen! Gespannt bin ich auf die junge Frau. Was ist das für ein Persönchen – Sonja Schwolgin? Die Altendorferin ist keine konfektionierte sondern eine spezielle Schönheit. Auf Sofortblick sympathisch. Und nach einem Gespräch mit der Kunst- und Germanistik-Studentin kommt man sich mausgrau mickrig vor. Denn die 24-Jährige hat einen über 24-Stunden-Tag…
Die Wohnung von Sonja liegt im Dachgeschoss. In jeder Ritze von Schrankecken, Nischen stecken gerollte Zeichnungen, Plakate. Die Wände gleichen Galerien. Kein Wunder. Sie studiert an der TU Dortmund Sonderpädagogik für die Förderschule; Fächer Germanistik und Kunst. Die Malerei, Fotos geben ihre Beobachtungen, Empfindungen aus ihrem Arbeitsumfeld wieder. Klartext: Die blutjunge Frau führt kein Luxus-Studentenleben mit Luxusschlitten, Laumachen, Shoppen, lange Schlafen; sondern nebenher „schuftet“ sie seit 2005 im Franz-Sales Haus. Sonja betreut dort Menschen mit unterschiedlich schwersten Behinderungen beim „Familien-Unterstützenden Dienst“.
Warum lädt sie sich so etwas Schwergewichtiges auf? Prompt folgt Lächeln. „Darüber führe ist oft Debatten, über die Belastung. Doch für mich ist das etwas ganz Normales. Natürlich lastet es einen psychisch und physisch ungemein aus. Aber es gibt einem das Gefühl, nichts Sinnloses zu leisten.“ Aha. „Für mich ist es eine selbstverständliche Sache; weil ich praktisch da hinein gewachsen bin. Meine Mutter ist Lehrerin an einer Förderschule für geistig behinderte Kinder.“
Es klingt wie ein fröhlicher Spaziergang, wenn Sonja weitererzählt: „Mutter nahm meine Schwester und mich immer mit auf Freizeiten. Wir hatten mit den Behinderten viele Berührungspunkte. Das alles gehört in mein Leben.“
Jammern? Von wegen. Mächtig serviert sie weiter wie ein Vier-Gänge-Menü. Zum Studium: „Mein Master steckt in den letzten Zügen; Thema Autismus.“ Berufswunsch? „Nach dem Referendariat an einer Förderschule zu unterrichten, Schwerpunkt geistige Entwicklung.“
Gibt’s bei den Schwerkranken überhaupt Fortschritte? „Unser Ziel ist, das Optimum für den Menschen zu erreichen.“ Sonja bleibt auf dem Teppich. „Da geht nichts von jetzt auf gleich; oft drei Schritte vor, fünf zurück. Aber kleine Fortschritte zu sehen bei Klienten, die nicht sprechen können, ein Grinsen im Gesicht, das macht sehr glücklich.“
Sonja strahlt. Sie weiß, wovon sie berichtet. „Ich betreue eine 16-Jährige seit 2005. Julia leidet an tuberöse Sklerose; immer wieder bilden sich Tumore (gutartige) im Gehirn, ja im ganzen Körper. Die Krankheit ist zusätzlich verbunden mit epileptischen Anfällen.“ Sonja kümmert sich rührend liebevoll quasi um eine Todgeweihte. Die Ärzte gaben Julia nur wenig Lebenszeit. Erst Wochen. Dann Monate. „Doch das Mädchen ist unglaublich zäh. Zwei Jahre länger überlistet sie bereits den Tod. Früher war sie sehr schlapp, abwesend, jammerte.“ Eine Wende scheint eingetreten zu sein. „Sie erkennt mich immer. Legt häufig ihren Kopf auf meinen Schoß. Lacht manchmal. Jetzt kann sie besser laufen, isst wieder gut, hat zugenommen.“ Fügt hinzu: „Sie ist nicht mein Kind. Aber, mein Gott, man fühlt sich für sie verantwortlich.“
Julia wohnt in Altenessen. Bei ihrer Mutter mit sieben Kindern…Fahrtkosten zahlt Sonja selbst. Seit einem Jahr besitzt sie einen Wagen, besucht die 16-Jährige noch häufiger. „Wenn sie nach mir verlangte, es ihr gesundheitlich schlechter ging, übernachtete ich dort. Oder holte sie zu mir.“ Sonja erwähnt Julias Kopf-Notoperation. Silvester. Wo sie die Nacht auf dem Flur im Krankenhausverbrachte. Julia mit Glatze in den OP-Raum geschoben wurde. Ihre Eltern sich dort stritten, die Mutter ohnmächtig wurde…Wie wird man damit fertig? „Gespräche mit meiner Mutter, mit Freunden, meinem Freund.“
Stillstand kennt sie nicht. Zumal sie in den Jahren viele unterschiedliche Personen zusätzlich betreute. Die Jüngste war vier Jahre alt – der Älteste 50. Freitags ist immer Disco im Franz Sales Haus terminiert. Da kümmert sie sich seit vier Jahren um eine autistische 25-Jährige.
Der Ausgleich ist die Kunst. „Ich war immer ein sehr kreativer Mensch.“ Während andere auf ihre Penne schimpfen, zog sie daraus wiederum neue Schaffenskraft. „In der Gesamtschule Bockmühle hatte ich eine gute Kunstlehrerin, die mich sehr förderte.“ Die Liebe zur Schule blieb. „Früher war es die Flöten AG, jetzt – zusammen mit Kollegin – eine Töpfer AG.“
Tja, in der ARKA, Zeche Zollverein, werkelte Sonja bei Workshops mit. So kam sie zur Zeche Königin Elisabeth, Elisenstraße. Belegte mit ihrer Kunst mehrmals den ersten Platz bei Wettbewerben. Sie beteiligte sich mit eigenen Exponaten an den Jugendkunstausstellungen von 2006 bis 2009, stellte im Rahmen der „Extraschicht“ auf Zeche Zollverein und mit verschiedenen Einzelausstellungen bei den Stadtwerken Essen aus.
Sonjas 24-Stunden-Tag neigt sich noch nicht dem Ende. „Bei der Jugendhilfe arbeite ich auch. Begleite punktuell Freizeitprojekte.“ Heißt, dass sie beispielsweise im Sommer zwei Jugendgruppen (8-15-jährig) nach Holland betreute; sie bekochte die Kids. Renner und Rein-Beißer waren Sonjas Apfelpfannkuchen.
Noch versagt ihre Stimme nicht. Na klar, stimmlich ist die 24-Jährige ebenfalls geschult. Sie jubeliert im Chor der Christuskirchgemeinde.
Halleluja! Welch ein kolossaler Kraft-Tank ist Sonja Schwolgin
Essens Beste - Gala
Bei der Gala in der Philharmonie, 10. März, wurden junge Menschen im Alter zwischen 14 bis 17 Jahren geehrt, die durch Engagement für die Gemeinschaft, durch Zivilcourage auffallen. Essens Beste ist eine Initiative des Jugendamtes der Stadt Essen. Eine Jury aus Vertretern der Wirtschaft, Politik, Prominenten, Medien, Fachleuten zusammensetzt, wählte aus 432 Bewerbern für jede der sieben Kategorien jeweils vier Talente aus. Mit dabei: Sonja Schwolgin (Ehrenamt) aus Essen-Altendorf.
Kommentar von Sonja Schwolgin nach der Gala:
„Ich bekam den 1. Preis (5000 €) leider nicht. Aber wir haben eine abwechslungsreiche Gala erleben dürfen und ein Tablett von Sony bekommen – sowas wie einen kleinen Laptop. Das Bühnenprogramm war toll; besonders der gehörlose Tänzer beeindruckte mich sehr. Leider war nur das gesamte Programm etwas langwierig (2,5 Stunden ohne Pause). Und – das Sitzen auf der Bühne, auf den Stufen, war sehr anstrengend.“
Fotos: Michael Gohl / West Anzeiger
Autor:Ingrid Schattberg aus Essen-West |
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