Essen hat ein echtes Original weniger: Fredy
Der Tod traf Fredy Meyer, König des Kasperle-Theaters, mitten in der Arbeitsplanung...
Unauffällig, blässliches Gesicht – nicht aufdringlich, so war er. Unverkennbare Frisur: Einseitig lange Haare, die wie gewalzt sein Haupt bedeckten. Von Kindern wurde der nie laute Fredy Meyer wie ein Popstar umjubelt, sobald sich der Bühnen-Vorhang hob. Wenn der Puppen-Perfektionist den Holz-Figuren seine Stimme „einhauchte“ – während er unsichtbar blieb. „Kinder, seid ihr alle da?“ Vorbei! Fredy, der Kinderfreund, hat „ausgehaucht“. Auf ewig tauchte er ab von der Lebensbühne…
Mein Gott – Meyer! Den Namen gibt es in Deutschland ca. 164499 Mal. Er liegt an fünfter Stelle. Doch einmalig ist „Fredy Meyer“. Der Puppenspieler mit seinem „Tri tra trullala – der Kasperle ist wieder da.“ Allerdings sah seine Berufung zunächst ganz anders aus. Wiederum Schwefel, Rauch und mehr zogen ihn ewig an; den ausgebildeten Chemiker.
Aber seine große Liebe zum Gruga-Kasper, den er als Kind erlebte, ließ ihn nie los. Klein-Fredy war infiziert, fasziniert. Der gebürtige Bergeborbecker griff daheim zu eigenen Handpuppen, spielte für Nachbarkinder Kasperletheater. Später schloss sich Fredy den „Naturfreunden“ an. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann sein ehrenamtliches Engagement in der Essener Kulturarbeit, Schwerpunkt zunächst Volkstanz und Musik.
Seine heiße Leidenschaft lebte spontan auf, als er den bekannten Essener Puppenspieler, Gruga-Kasper Erwin Wachtmeister, kennenlernte. Der Puppenbühnengründer „Larifari“ weihte Meyer in alle Geheimnisse des Kasperletheaters ein. Beide spielten zusammen. Fredy verlangte nach mehr. Kann er Kasper? Den ersten eigenen Auftritt wagte er in der Grugahalle. Mit Bravour bestanden. Anfang der 70er Jahre übernahm er die Puppenbühne „Larifari“. Sowie die alten Handpuppen des Essener „Kirmeskaspers“ Hermann Randschmidt.
Stillstand kannte Meyer nie. Die Bühne wurde in das Volkskunststudio Essen des Vereins für soziale Kinder-, Jugend- und Kulturarbeit (ARKU) integriert, Sitz in der Kulturwerkstatt Altendorf, Haskenstraße.
Mit seiner Puppenbühne „Larifari“ blühte Meyer bei den Vorstellungen schillernd auf -wenn er in Kindergärten, Schulen, Vereinen, im Rhein-Ruhr-Zentrum, bei Ferienspatz-Aktionen in der Gruga seine Puppen „tanzen“ ließ. Nö, nicht nur in Essen…
Tja, von der Großstadt für Kinder fühlte der sich sogar sträflich vernachlässigt. In einem Gespräch mit dem Westanzeiger vor 24 Jahren beklagte er sich: „Das erste Ferienwochenende steht ganz im Zeichen der offiziellen Eröffnung der Aktion Ferienspatz 1989 beim 6. Residenzfest im Schlosspark Borbeck. Aber nicht mit Ritterspielen sondern mit Puppenbühnen von nah und fern… Ich wurde erst gar nicht angesprochen. Doch dafür werde ich von Städten wie Gelsenkirchen, Hamm bis nach Hamburg angefordert. Die Stadtverbände kennen uns und laden uns immer wieder ein.“ Traurig, traurig! Verbittert verriet er „Seit elf Jahren haben wir keinen Urlaub gemacht. Der wird dieses Jahr nachgeholt. Unser zwölf-jähriger Sohn war dafür aber auf tausend Ferienaktionen…“
Viel Wärme, Wohlwollen erlebte der Kasper-Könner, Kinder-Kenner allerdings 2008 mit einer Spitzen-Ausstellung - sowie beim Auftritt in der „Alten Cuesterey“ Borbeck. Jürgen Becker, Vorstand kulturhistorischer Verein Borbeck mit Andreas Körner, 2. Vorsitzender, erlebten hautnah die Faszination, die von Meyer mit seinen Handpuppen ausging. Beide schwärmen vom Andrang, von der Fülle. „Die Kinder strömten in Scharen rein. Überfüllung.“ Doch Fredy, mit dem butterweichen Herz, überlegte nicht lange. Kurzerhand wiederholte er nach einer Stunde Pause sein Spiel.“ Jürgen Becker kennt Meyer aus der Arbeitsgruppe der Essener Geschichtsinitiative. „Gegründet 1991 vom Historiker Dr. Schmidt. Fredy Meyer erschien zum Treffen immer regelmäßig.“
Ebenso regelmäßig traf Ingrid Sbrisny, Bürgerverein Altendorf, den betagten Meyer. „Ein Mal monatlich im Altendorfer Geschichtsverein. Dort berichtete er von seiner Arbeit.“ So plante Fredy mit 84 Lenzen eine Kasperle-Veranstaltung im Innenhof der Siemensstraße. Mitten in der Vorarbeit, Sbrisny half ihm, klagte Fredy über Unwohlsein. Obwohl sie sofort den Notarzt anrief – wenige Stunden später, am 6. März, blieb sein ewig für Kinder klopfendes Herz stehen…
Stimmen zum Tod von Fredy Meyer
Petra Hinz, SPD-Bundestagsabgeordnete:„Mit großer Bestürzung und Trauer hat der SPD Ortsverein Essen-Frohnhausen die Nachricht vom Tod seines langjährigen Mitglieds aufgenommen. Seit 1955 in der SPD engagierte er sich Fredy Meyer über viele Jahrzehnte hinweg für die Partei und für die sozialdemokratische Idee. Freddy – wie er von seinen Genossinnen und Genossen stets genannt wurde – war für viele ein Vorbild, was Einstellung und Einsatz betraf.
Neben seinem Engagement in unserer Partei zeichnete er sich insbesondere durch sein unermüdliches Wirken im kulturellen Bereich unseres Stadtteils aus. Viele Kinder sind mit den Geschichten vom Kasperle, Räuber und Wachtmeister aufgewachsen. Mit seinem Handpuppentheater wurde er über die Grenzen Frohnhausens bezirksweit bekannt.
Mit viel Leidenschaft und Hingabe widmete er sich darüber hinaus der Geschichte der Arbeiterbewegung in unserer Stadt. Mit seinem umfassenden Wissen über Zusammenhänge und Entwicklungslinien war er für viele ein Vorbild.“
Horst Burchardt, Ex-Apo-Jugendhausleiter: „Fredy Meyer‘s Tod trifft mich sehr. Fredy war ein Teil der Gemeinde.
Er hat nicht nur geholfen, die Notkirche wieder aufzubauen, er ließ bei Gemeindeveranstaltungen seine Puppen tanzen. Des Weiteren organisierte er kulturelle Veranstaltungen auf dem Frohnhauser Markt, im Westpark. Ich bin oft als howlin horst bei ihm aufgetreten. Er war ein Freund des Aposteljugendhauses und der Konzeption dort zu meinen Zeiten. Ich weiß, dass er oft meine Arbeit in den Kulturausschüssen verteidigt hat. Er wollte ein Arbeitermuseum gestalten, alle Unterlagen der Jugendarbeit meiner Aposteljugendhausarbeit lagern bei ihm. Sie sollten einen Platz in seinem Museum bekommen. Leider fand er zu wenig Unterstützung. So wird wahrscheinlich alles zusammen mit seinen eigenen kulturellen Schätzen auf dem Müll landen. Letztendlich wurde er schon vor einigen Jahren aus Frohnhausen vertrieben, sein Volkskunststudio auf der Berliner Straße wurde ihm gekündigt. In Altendorf hat er dann eine ähnliche Kulturarbeit mit großen Schwierigkeiten betrieben. Seine wöchentlichen Puppenspielveranstalten im Rhein Ruhr Zentrum wurden gekündigt. Eine wesentliche Einnahme brach weg, engte seinen Spielraum immer mehr ein.
Kürzlich wurde im Westpark ein Denkmal für einen unter ermordeten Obdachlosen aufgestellt. Man sollte dasselbe für unseren lieben Fredy machen, denn nur er als hervorragender Exponent der Kultur hat es wirklich verdient! Ob Frohnhausen jemals wieder so einen aus der Arbeiterbewegung stammenden Künstler heimisch werden lässt? Ich bezweifele das, heute weht ein anderer Wind und die ihn machen, haben eine andere Konzeption im Kopf.“
Ingrid Sbrisny, Bürgerverein Altendorf "Fredy Meyer war ein ganz lieber, zurückhaltender Mensch, der aufblühte, wenn er mit seinen Kasperlepuppen spielte. Er faszinierte die Kinder. Die sind bei seinen Vorstellungen so mitgegangen, das war unglaublich."
Waltraud Schöne: „Ich kenne Fredy Meyer noch von meiner Frohnhauser Werbering-Zeit. Er bereitete vielen Kindern großen Spaß mit seinem Kasperle-Theater; war immer bemüht, sich zu engagieren für seinen Stadtteil – bis ins hohe Alter.“
Bert Gille, Ex-Verwaltungsbeauftrager: "Fredy werde ich als ehrliche Haut mit viel echtem sozialen Herzblut in Erinnerung behalten - und - Essen hat ein echtes Original weniger!"
Zum Fundus zählen…über 80 Kasperlefiguren. Viele sind über 100 Jahre alt, stammen zum Teil von einer Sauerländischen Wanderbühne, die bereits im 19. Jahrhundert über die Lande zog. Hauptdarsteller wie Kasper, Gretel, Prinzessin, Hexe, Räuber, Zauberer - aber auch Max und Moritz, haben in der Sammlung ihren Platz. Ebenso wie Sense-Mann, Samurai, Zahnarzt, Stadtstreicher; Zwerge, Feen oder Kaspers Hund Purzel; selbstgemachte, gestrickte Handpuppen sowie Marionetten.
Ferner Schriftstücke über die kulturelle Arbeiterbewegung im Essener Westen, alte Instrumente, Bilder, Kostüme…
Einen Einblick in die Welt des Puppenspiels vermitteln auch die übrigen Exponate. Wie selbstgemalte Kulissen. Ein handgekurbeltes Reisegrammophon brachte in früheren Zeiten Musik ins Spiel. Eine Fahne zu Ehren von „Onkel Albert“ – Spitzname der Puppenspieler. Historische Fotos, Plakate, Handzettel, Originaldokumente zur Geschichte des Puppenspiels in Essen – alles hortete der Leidenschaftliche.
Foto: Kultur-Historischer Verein Borbeck e.V.
Autor:Ingrid Schattberg aus Essen-West |
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