Ein Pfarrer bringt die Kunst nach Frohnhausen
Seit 30 Jahren ist er mit dem Stadtteil Frohnhausen eng verbunden: Pfarrer Werner Sonnenberg. Er hat das Frohnhauser Apostelzentrum zum Treffpunkt der Menschen in Frohnhausen verwandelt, den Stadtteil mit über 100 Ausstellungen im Kunstraum Frohnhausen über die Stadtgrenzen hinaus bekannt gemacht. Lokalkompass.de hat er zum Jubiläum eine ganze Reihe von Fragen beantwortet.
Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Arbeitstag in Frohnhausen?
Als junger Pfarrer wollte ich eigentlich nicht nach Essen ziehen. Düsseldorf interessierte mich damals mehr, allein wegen der Kunst- und Kulturszene. Doch wie es so kam, wählte mich das damalige Presbyterium mit einer Kollegin aus Düsseldorf in die beiden freien Pfarrstellen am Apostelzentrum. Offizieller Dienstbeginn war tatsächlich der 8. August 1988, also der 8.8.88. Dass sich in diesem Jahr dieses Datum zum 30. Mal jährt, macht mich dankbar und zufrieden. Essen ist zu meiner Heimatstadt geworden.
Verraten Sie uns doch einmal etwas Privates zu Ihrer Person.
Als Ältester von sieben Geschwistern bin ich 1958 in Uruguay geboren. In diesem Jahr habe ich meinen 60. Geburtstag in New York mit meiner Frau feiern dürfen. Meine Kindheit und die ersten Schuljahre verbrachte ich in Paysandú (Uruguay), bevor die Familie Ende der 60iger Jahre nach Deutschland zog. In Solingen machte ich mein Abitur an dem humanistischen Geschwister-Scholl-Gymnasium. Ich entschied mich für das Theologiestudium und meine Studienaufenthalte waren Wuppertal und Göttingen. Das zweijährige Vikariat habe ich in der hessischen Landgemeinde Ehringshausen absolviert. Danach fand ich eine Stelle als Pfarrer im Probedienst in Düsseldorf. Zu dieser Zeit gab es eine sogenannte „Pfarrerschwemme“. Auf eine Pfarrstelle haben sich damals bis zu 30 Interessenten beworben. So auch in Frohnhausen.
In Essen gründete ich meine eigene Familie. Meine Frau Martina ist mir in vielen Belangen eine Ratgeberin, außerdem gibt es die nun erwachsenen Kinder Sarah und Joel. Mit der sieben Monate alten Enkelin Paulin und Stefan, ihrem Vater, hat sich die Familie erweitert.
Zeitlebens ist die Musik mein Hobby gewesen. Schon als Kinder haben wir zu Hause Klavier spielen gelernt, später kam das Orgelspiel noch hinzu. Bis heute pflege ich die Hausmusik, und sie hilft mir in der Gemeindearbeit bei den unterschiedlichsten Veranstaltungen. Neben der Musik interessieren mich natürlich Kunstausstellungen, Kulturreisen und die tägliche Lektüre der lokalen und überregionalen Pressenachrichten.
An welche Ereignisse in Ihren 30 Jahren in Frohnhausen erinnern Sie sich am liebsten?
Schon wenige Monate nach meinem Dienstbeginn konnten wir den Kunstraum Notkirche eröffnen. Das damalige Leitungsgremium war fortschrittlich. Es stellte sich hinter das Kunstkonzept und finanzierte dafür die Lichtanlage, die es für eine professionelle Ausstellungsarbeit brauchte. Dennoch fragten sich in den ersten Jahren viele Leute, was denn Kunst mit Kirche zu tun hat. Viele Jahre war der Kunstraum die einzige öffentliche Galerie im ganzen Essener Westen. Vor zwei Jahren konnten wir die 100. Ausstellung mit vielen dort ausgestellten Künstlerinnen und Künstlern feiern.
Ein weiteres Ereignis war die Eröffnung des neuen Forums der Apostelkirche. Seit 2011 ist das Apostelzentrum „Verlässlich Offene Kirche“. Es hat sich mittlerweile zu einem Christen- und Bürgerzentrum entwickelt. Das Café Forum, in dem man überraschend Gott treffen kann, wird rege für kleine Feierlichkeiten und allgemeine Treffs genutzt. Das Café bildet die Verbindung zwischen dem Kunstraum Notkirche und der Apostelkirche, in der regelmäßig Veranstaltungen wie Gottesdienste und Konzerte stattfinden. Seit einem Jahr führen wir Buch, wie viele Gäste uns aus nah und fern besuchen. Durchschnittlich sind es im Monat um die zweitausend Personen. Ist das nicht fantastisch? Die Leute kommen wieder zur „Kirche“.
Ein schönes Ereignis war die Kunstaktion mit dem Aktions-Künstler Gigo Propaganda an der Außenwand der Apostel-Notkirche vor zwei Jahren. Die bunt besprühte Kirchenwand mit gesprochenen Sprüchen und Aussagen von Gemeindemitgliedern und Bürgern hat so manchen Polizeieinsatz hervorgebracht, den besorgte Nachbarn meldeten. Am Ende sind die Sprüche übermalt worden. Zu sehen sind nun reduzierte, bunte und abstrakte Bäume. Wer die Kunstaktion in einem kleinen Trailer sehen möchte, der schaue auf die Homepage www.ekef.de.
Wie hat sich die Gemeinde und der Stadtteil Frohnhausen in den letzten Jahrzehnten - positiv und negativ - verändert?
In den zurückliegenden drei Jahrzehnten ist Frohnhausen von der Einwohnerzahl nach wie vor konstant der Stadtteil Essens, der am dichtesten besiedelt ist. Doch das Quartier ist von seinen Bewohnern bunter geworden. Die unterschiedlichsten Nationalitäten wohnen friedlich mit- und nebeneinander. Die Geschäftslandschaft hat sich mit der Zeit verändert. Früher gab es mehr kleinere geführte Fachgeschäfte, die heute verschwunden sind. Der Frohnhauser Markt war während der Woche und am Wochenende das Geschäftszentrum und eine Austauschbörse für Gespräche und gute Nachbarschaft. Mit dem europäischen Kulturhauptstadtjahr RUHR2010 kam ein kulturelles Interesse auch nach Frohnhausen. Seitdem finden die Stadtteilführungen immer mehr Zulauf. Jüngst konnten wir, das heißt der „Frohnhauser Denkmäler und Kulturwerte e.V.“, die dreißig Jahre alten Skulpturen am Frohnhauser Markt mit dem Künstler Johannes Brus restaurieren und in neuer Pracht der Öffentlichkeit zurückgeben.
Die Ev. Kirchengemeinde Frohnhausen hat sich in dieser Zeit von 12.000 auf gut 6.000 Gemeindemitglieder reduziert. Von damals 5 Pfarrstellen sind heute noch 2,25 Pfarrstellen existent. Die Arbeit hat sich auch für Pfarrerinnen und Pfarrer weiter verdichtet. In den ganzen Jahren musste sich die Gemeinde an die veränderten Bedingungen anpassen. So sind heute unser Familienzentrum am Postreitweg und unsere Kindertagesstätte in der Grevelstraße in die Kitagesellschaft des Diakoniewerkes Essen gewechselt. Das Aposteljugendhaus steht noch in gemeindlicher Trägerschaft. Überlegungen stehen im Raum, ob wir langfristig zwei Kirchen halten können. Vieles ist im Augenblick im Umbruch. Bewährtes sollte erhalten bleiben. Gemeindliche Arbeit soll konzentriert und damit verbunden auch immer weiter qualifiziert werden.
Wie klappt es mit der Ökumene, also der Zusammenarbeit der verschiedenen Konfessionen im Stadtteil?
An der Basis lebt die Ökumene mit aller Selbstverständlichkeit. Ich erlebe es, dass aus der katholischen Gemeinde regelmäßig Leute an unseren Gottesdiensten, an Freizeit- und Studienfahrten und an Kulturveranstaltungen teilnehmen. Das trifft auch auf die Menschen zu, die keiner Konfession angehören. Im letzten Jahr haben wir gemeinsam ein großes Fest zum 500jährigen Reformationsgedenken in der Apostelkirche gefeiert. Dieses Jahr lud uns die katholische Gemeinde zu einem gemeinsamen Open-Air-Pfingstgottesdienst ein. Die Pfarrkollegien beider großer Kirchen treffen sich dabei zu den Vorbereitungen und weiteren Überlegungen der Zusammenarbeit.
So wichtig es ist, ökumenisch aufeinander zuzugehen, so sehr fehlt mir in diesem multiethnisch geprägten Stadtteil das interreligiöse Gespräch. Eigentlich braucht es den regelmäßigen Dialog der großen Religionen, des Christentums und des Islams. Erste Versuche mit Schülerinnen und Schülern der Realschule hat es gegeben. Doch das liegt lange zurück. Allerdings ist “Multikulti“ in unseren Kindertagesstätten und im Aposteljugendhaus gelebter Alltag und bereichert das Zusammenleben im Stadtteil.
Welche Auswirkungen hatte der Zuzug von zahlreichen Flüchtlingen in den letzten Jahren auf das Gemeindeleben in Frohnhausen?
Seit 2015 lebt eine siebenköpfige syrische Familie in einer gemeindeeigenen Wohnung. Die Familie hat sich gut eingelebt. Hier und da braucht die Familie unsere Unterstützung bei den Ämtern. Der Wille zur Integration mit dem Erlernen der deutschen Sprache, dem Zugang zu Bildung und Arbeitsmöglichkeiten ist gegeben. Sorgen bereiten mir die Flüchtlinge, die einen Religionswechsel mit der Taufe vollzogen haben. Nach der Asylgesetzgebung haben sie kaum Chancen für ein Bleiberecht in Deutschland.
Der Kunstraum Notkirche und die 107 Ausstellungen in fast 30 Jahren ist Ihr Kind und ein über Essen hinaus bekannter Leuchtturm der Evangelischen Kirchengemeinde Essen-Frohnhausen. Wie kam es zu dieser Verbindung zwischen Kunst und Kirche?
Von Jugend an pflege ich den Kontakt und die Freundschaft zu Kunstschaffenden. Die Gespräche mit ihnen kreisen immer über gesellschaftliche Themen und über die Bedeutung der Religion in unserer Welt. Die Kunstwerke sind dabei oft ein Medium der Verständigung und geben mitunter Auskunft über den Sinn unserer Welt. Manchmal berühren Kunstwerke auch Sphären des nicht mehr Erklärbaren.
Es war deshalb ein Glücksfall, dass der besonders geprägte Raum der Apostel-Notkirche wie geschaffen für diesen Dialog zwischen „Kirche und Kunst“ gewesen ist. Sicherlich war es anfangs ein Feldversuch, das Gespräch von Kirche und Kunst zu führen. Dabei geht es bis heute nicht darum, die Kunst für die Anliegen der Kirche zu vereinnahmen. Es geht um ein autonomes Gespräch auf Augenhöhe, wo beide voneinander ihre Sicht auf Gott und die Welt austauschen. Diese Spannung macht das Gespräch erst echt und fruchtbringend.
Im Kunstraum Notkirche ist auch die „KinderKunstKirche“ in Kooperation mit dem Familienzentrum Postreitweg entstanden. Es finden Begegnungen und Workshops mit Kindern, Künstlerinnen und Künstlern statt, die Horizonte erweitern und alle bereichern können.
Auf welche Ausstellungen dürfen sich Freunde der Kunst in der nächsten Zeit freuen?
Am 13. September dieses Jahres erzählen 11 Emscherfotografen in ihren Bildern Geschichten über Menschen im Emschergebiet. Der Emscher-Umbau und die fortschreitende Veränderung der Region durch neue, saubere Gewässer bieten auch für Fotografen eine Fülle von Möglichkeiten, interessante Themen im Emschertal zu entdecken.
Mit der Ev. Kirche im Rheinland bereiten wir in einem landeskirchlichen Beirat, dem ich angehöre, eine neue Wanderausstellung mit sechs Lichtkünstlern zum Thema „LICHT“ vor. Neben sieben weiteren Kirchen in der rheinischen Kirche wird diese Ausstellung auch im Kunstraum Notkirche im September nächsten Jahres zu sehen sein.
Welche Ziele möchten Sie in Ihrer Zeit als Pfarrer in Frohnhausen noch erreichen?
Ich möchte weiter an dem Veränderungsprozess, dem sich unsere Kirchengemeinde in den nächsten Jahren stellen muss, mitgestalten. Darüber hinaus engagiere ich mich bürgerschaftlich für diesen Stadtteil. Nachdem die Skulpturen auf dem Frohnhauser Markt wieder zum Leuchten gekommen sind, überlege ich, wie der flächenmäßig große Frohnhauser Marktplatz auch für weitere Kulturveranstaltungen genutzt werden könnte. Es wäre doch schön, mobile Stühle und Bänke für diese Veranstaltungen vor Ort zu haben. Deshalb suche ich nach Kooperationspartnern.
Welche Pläne haben Sie für die Zeit "danach", also für Ihren Ruhestand?
So viele Gedanken habe ich mir darüber noch nicht gemacht. Wenn ich gesund bleibe, werde ich bis zum Ruhestand mit 66 Jahren meinen Dienst versehen. Danach werde ich mit der Familie die Dienstwohnung an der Apostelkirche verlassen müssen. D.h. wir suchen nach einem Haus, in dem wir danach leben können. Essen wird unser Wohnort bleiben. Für Überraschungen bleibe ich also offen. Seit 30 Jahren als Pfarrer in Frohnhausen tätig: Werner Sonnenberg. Foto: privat Kinder-Kunst-Kirche: Besuch der Kids des Familienzentrums Postreitweg im März 2018 in der Skulpturenausstellung von Dina Nur. Foto: privat
Autor:Frank Blum aus Essen-Süd |
1 Kommentar
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.