Benefizkonzert für Mordopfer
Sonst schläft der Westpark einen Dornröschenschlaf. Ab jetzt ist alles anders. Menschen strömen in die Grünanlage am Frohnhauser Markt. Der Mord an Berthold, sein grauenvoller Flammentod, erschüttert die Essener. Ein 68-jähriger Frohnhauser Rentner überschüttete den Obdachlosen mit Benzin, zündete ihn an. Wir berichteten. Längst sind die Rußspuren von der Kehrmaschine beseitigt, aber der Tote hinterlässt eine riesige Anteilnahme-Spur…
„Genau wo Sie jetzt stehen, verbrannte Berthold.“ Impulsiv zucke ich zurück. Jutta Motzek, schwarz gekleidet, zeigt auf ein Bild im Blumen- und Lichtermeer vor dem Streugut-Container, in dem Berthold häufig nächtigte. „So sah Berthold vor Jahren aus. Ich versteh das alles nicht…“ Ihre Augen füllen sich mit Tränen. „23 Jahre kenne ich ihn. Nach dem Tod seiner Frau fiel er in ein tiefes Loch. „Wir sind Freunde. Beste Freunde. Auch wenn die Nachbarn über mich tuscheln, „die mit dem Penner…“.
Denn immer wieder bietet Jutta Motzek dem Obdachlosen an, nachdem er bewusst auf Stütze von den Ämtern verzichtete, „komm zu mir, wärm Dich auf.“ Sie führt an: „Ich habe für ihn gesorgt, seine Kleidung gewaschen. Im Winter bin ich in Herrgottsfrühe zu dem Container gelaufen, mit warmer Suppe, habe gerufen: „Berthold, bisse wach?“ Ich hatte Angst, dass er erfriert.“ Eine gefütterte Mütze, dicke Jacke brachte ihm die Hartz IV-Empfängerin. „Oft war sein Gesicht, seine Hände bei tiefen Minusgraden blau gefroren. Den Containerschlüssel besaß er, weil er den Park säuberte.“
Die Frohnhauserin übereicht mir ihre Visitenkarte. Handschriftlich steht darauf „Angelkönigin“. „Ja, Angelkönigin aus Heisingen. Vor ca. vier Jahren schenkte mir Berthold eine Angelausrüstung, einen Computer, weil ich immer davon schwärmte. Er war so großzügig. Wir besuchten auch mal in der Gruga ein Russisches Konzert.“ Woher hatte er das Geld? „Geerbt, nach dem Tod seines Vaters. Aus Angst, dass es gestohlen wird, kaufte er eine Kassette. Die gab er einem Verwandten in Kettwig zur Verwaltung. Stets musste aber Berthold um sein Geld betteln...“
Wieder werden ihre Augen feucht. „Jedes Jahr fuhr er nach Bayern, weil er seine Kinder, Sohn und Tochter, sehen wollte; obwohl die sich von ihm abwandten, weil er ein Obdachloser war.“ Dann hat sie es eilig. „Ich muss wieder neue Kerzen für ihn kaufen. Die leeren Behälter wegräumen. Immer werde ich hier diese Stelle in Ordnung halten. Gucken Sie mal, die Figur ist von mir; er nannte mich „Engel“ oder „meine Kleene“…
Auch Floristin Edda van der Meer mit ihrem Mann kümmerten sich um Berthold. Die Marktbeschicker kommen aus Haminkeln. „Vor ca. 15 Jahren wohnte er bei uns ca. 1 ½ Jahre. Wie ein Familienmitglied. Er fragte wegen Arbeit; half dann mit auf dem Markt. Zimmer, Kost,Taschengeld gaben wir ihm. Dann ging er plötzlich weg. Er wollte unabhängig sein, lebte fortan wieder auf der Straße.“ Allerdings, immer wenn Johannes van der Meer ihn sah, steckte er ihm was zu. „Er hat niemandem was getan. War still, unauffällig, hilfsbereit, höflich. Doch er wollte sich nicht einfügen. Trotzdem war er ein patenter Kerl.“
An der Gedenkstelle im Westpark liest Heidi Beifzel Abschiedsgrüße wie: „Im Gedenken an Berthold – vom Frohnhauser Wochenmarkt.“ Oder: „Lass Dich nicht vom Bösen überwinden sondern überwinde das Böse mit Gutem - Römer 12.21. Wir sind unendlich traurig. Deine Freunde aus der Apostelkirche…“Auch Beifzel erzählt: „Vor kurzem unterhielt ich mich noch mit Berthold. Er war nett, bescheiden, hatte keine großen Ansprüche, wollte von den Ämtern kein Geld sondern ganz frei sein. Mit seinem Wägelchen zog er daher, sammelte Leergutflaschen.
Beipflichtung von Franziska Dost: „Er tat keinem Menschen was Böses. Hielt den Park sauber. Ein lieber, nie randalierender, nie aggressiver Mensch.“
Immer wieder bildet sich ein Pulk von Personen vor dem geschmückten Wiesenstück. Sie sind geschockt von der qualvollen Gräueltat. Sie müssen darüber reden. Tja, der tote Berthold wird in den Köpfen der Bürger noch unendlich lange weiterleben.
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Das Konzert:
Als Udo Marx vom Verbrennungstod des Frohnhauser Obdachlosen im Westpark hörte, stand für ihn sofort fest: „Berthold soll wenigstens würdig beerdigt werden.“ Marx ist Musiker und befasst sich mit Internetseiten. Er hat eine mitziehende Emphathie für die Schwachen, Obdachlosen. Impulsiv organisierte er ein Benefizkonzert, Samstag, auf dem Markt. Das war de luxe! Bravissimo!
Immer wieder wurde nach dem Namen der Band gefragt. Die gibt es aber in der Konstellation nicht. „Das waren „bloß“ musikalische Freunde von mir, die sich freundlicherweise bereit erklärt haben, dieses Konzert zu spielen. Nennen wir sie FMK - Frohnhauser Markt Kapelle.“ Vier davon düsten extra aus Warendorf nach Essen.
Hut ab vor Achim (Pappa) Göbel - Gesang, Moderation; Robin Göbel – Keyboards; Thorsten Frerk – Gitarre; Milton de Groad – Gesang, Gitarre; Christoph Urbanik - Gitarre; Peter Berlau – Saxophon; Frank Mellies und Bodo Jödicke – Schlagzeug; Udo Marx – Bass. Sie spielten Blues und Jazz sehr anrührend. Verstanden es, in virtuosen Facetten genauso glaubhaft und überzeugend zu klingen wie in leisen, reduzierten Tönen. Sie rissen ihr Publikum mit, so dass in 90 Minuten die Essener 1060 Euro spendeten.
Was wird damit gemacht? Über seine guten Kontakte kann mit großer wahrscheinlich Udo Marx den Steinmetz Jan Bormann, Castrop-Rauxel, für die Gestaltung des Gedenksteins gewinnen. Außerdem sollen zehn Schlafsäcke für die Obdachlosenhilfe gekauft werden.
Wann und wo die Beerdigung stattfindet, auch darum kümmert sich rührend Udo Marx. Wir werden Näheres berichten.
Fotos: Uwe Schattberg
Autor:Ingrid Schattberg aus Essen-West |
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