Kloster St. Trudpert /Südschwarzwald
Warum Jesus weint
"Bis nachher!" Ohne Zeitangabe und einen Treffpunkt verabschiede ich mich auf dem Parkplatz im Münstertal von meiner Frau, die dann die Straße zum Kloster St, Trudpert hoch läuft und das Innere der Kirche aufsucht. Mit dem Hund wandere ich unterdessen großräumig um das Kloster und bewundere abschließend den herrlichen Klostergarten. Unser unausgesprochener Treffpunkt nach ein bis zwei Stunden ist immer der gleiche: die Bänke vor der Skulptur des weinenden Jesus.
Dieser eindrucksvolle Brunnen, den Prof. Franz Gutmann vor über 40 Jahren geschaffen hat, hat über die Jahrzehnte nichts von seiner Faszination und Aktualität verloren. Das beliebte Fotomotiv, vor dem ich schon Stunden verbracht habe, beschäftigt mich schon so lange (ich habe in einem alten Fotoalbum noch Analogfotos gefunden), dass ich mir in diesem Jahr endlich die Frage beantworten wollte, warum Jesus weint.
Das Nachschlagen im Neuen Testament führt zu 3 Textstellen, in denen geschildert wird, dass Jesus in Tränen ausbricht: Am Grab seines Freundes Lazarus, im Garten Gethsemane und bei seinem Blick auf Jerusalem. Besonders die dritte Textstelle zog mich in den Bann:
41 Und als er nahe hinzukam und die Stadt sah, weinte er über sie
42 und sprach: Wenn doch auch du erkenntest an diesem Tag, was zum Frieden dient! Aber nun ist's vor deinen Augen verborgen.
43 Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen
44 und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du besucht worden bist.
(Lucas 19: 41-44)
Geht es bitteschön aktueller? Haben die Menschen in den letzten 2000 Jahren irgendetwas dazu gelernt? Noch immer sind die Menschen unfähig, Frieden zu halten. Jeder möchte sein vermeintliches Recht durchsetzen, hat Angst, benachteiligt zu werden und meint, sich verteidigen zu müssen.
Interessant ist, dass Jesus hier keinem Vorwürfe macht. Er ist einfach nur unsagbar traurig.
Wieviel Gründe mehr hätte Jesus heute, Tränen zu vergießen. Denke ich an das Artensterben, das große Teile der Schöpfung mit unvorstellbarer Geschwindigkeit für immer verschwinden lässt und an den irreversiblen Klimawandel, kann man nur traurig sein.
Einen kleinen Trost habe ich bei dem weinenden Jesus dieses Jahr aber doch gefunden. Zwei Spatzen fanden in den aufgefangenen Tränen der Skulptur Abkühlung. Zumindest sie waren in seinen Händen geborgen.
Autor:Bernd Dröse aus Essen-West |
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