Wo kommen denn die Kinder her? Eine Zukunftsfrage

Kinder werden nicht zwangsläufig in Kliniken geboren. Über 800 Geburtshausbabys hat Essen bereits. So wie der kleine Jarek am 17.Februar. | Foto: Foto Privat, Montage Ullmann
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  • Kinder werden nicht zwangsläufig in Kliniken geboren. Über 800 Geburtshausbabys hat Essen bereits. So wie der kleine Jarek am 17.Februar.
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Hebammen kämpfen für einen Ort der Würde in Schwangerschaft und Geburt

Kinder kriegen kann jeder und raus kommt es sowieso irgendwie. Diese Ansicht mögen viele Menschen, auch werdende Eltern, vertreten. Wenn es dann aber soweit ist, kommt es häufig zu traumatischen Zusammenbrüchen.

Die Kaiserschnittrate steigt deutschlandweit stetig an, als seien die Frauen zunehmend unfähiger, zu gebären. In NRW werden im Schnitt 32 % der Kinder im OP geboren. Je nach Krankenhaus können es bis zu 60 % sein. Eine persönliche Begleitung während der Geburt ist in einer Klinik personell kaum möglich.
Auch wenn der Wunsch nach technischer Bestversorgung steigt, so ist der Wunsch nach persönlichen Gesprächen, Intimität und Zeit unter der Geburt stetig vorhanden. Diese Bedürfnisse erfüllen seit jeher die Geburtsbegleiterinnen - die Hebammen.

„Die werdenden Mütter wollen keine Nummer sein und im Eiltempo wie am Fließband im Krankenhaus entbinden. Das ist jedoch unterdessen Alltag“, muss Elli Conrads feststellen. Sie ist seit 18 Jahren Hebamme und Gesellschafterin des Geburtshauses Essen. „Bei 1300 Klinik-Geburten im Jahr kann das beste Hebammenteam im Krankenhaus keine Eins zu Eins Betreuung leisten. Die Frauen wechseln unter der Geburt oft mehrmals die Hebamme, wenn sie nicht aufgrund von Zeiteffizienz und hörerem Entgeld für die Klinik vorsorglich unters Messer gelegt werden.“

Diesem Trend setzt sich die selbstbestimmte Geburtskultur entgegen. Freiberufliche Hebammen entbinden die Frauen zuhause, im Geburtshaus oder als Beleghebamme mit durchgehender Betreuung im Krankenhaus.
Über 800 Geburtshausbabys gibt es in Essen unterdessen, zuzüglich vieler Hausgeburten und den stetigen Beleggeburten in den Krankenhäusern.

Das Geburtshaus Essen gibt es nun seit 15 Jahren. Es bietet den werdenden Eltern eine Alternative zur Klinikgeburt in häuslicher und ruhiger Atmosphäre. Die Eltern lernen ihre Hebamme zuvor kennen und können während der ganzen Schwangerschaft hier zur Vorsorge kommen.
„Die Entwicklung ist wirklich erschreckend“, sagt Conrads. „Die Eltern werden immer unsicherer und vertrauen nicht mehr auf ihr Gefühl. Unsere Klientinnen kommen mit dem Wunsch nach persönlicher Betreuung und Ruhe. Dennoch haben viele die Ängste im Hinterkopf, welche von Frauenärzten und Zeitschriften geschürt werden.“

Das Geburtshausteam aus fünf Hebammen zwischen 22 und 51 Jahren bieten den Frauen die Wahl, im Geburtshaus zu entbinden oder in einer Klinik unter ihrer Begleitung als Beleghebamme. „Wir arbeiten mit der Uniklinik, dem EKO und dem Kruppkrankenhaus zusammen“, erklärt Conrads. Und diese zusammenarbeit funktioniere gut. Ist denn der Wunsch nach einer außerklinischen Geburt oder Eins zu Eins Betreuung eine Frage des Typs? „Unsere Klientinnen sind sehr verschieden. Es kommen nicht allein gut betuchte Familien, sondern auch die Nachbarin von nebenan“, stellt sie fest.
Die erfahrene Hebamme hat in den vergangenen 15 Jahren eine zunehmende Akzeptanz und Interesse für die Geburtshaus-Geburt erlebt. Im Juli vergangenen Jahres wechselte das Team den Standort zum Wolfsbankring 42 in Borbeck.


„Hier werden Kinder geboren, weil die Mütter es wollen. Diesen Willen kann niemand brechen.“
Elli Conrads, Hebamme

„Unsere Kosten können wir minimieren, da wir als Team in einen Topf arbeiten. Allein kann eine Hebamme sich kaum noch finanzieren. Die flächendeckende Geburtshilfe durch Hebammen ist schon lange nicht mehr gewährleistet.“ Hier spricht die langjährige Hebamme ein wichtiges Thema an.
Deutschland verliert seine Hebammen und die Frauen somit ihr Recht auf Geburtsortwahl und Hebammenbetreuung. In den letzten Jahren mussten so viele freiberufliche Hebammen ihren Job aufgeben, dass es an erschreckend vielen Orten in Deutschland keine Geburtshilfe mehr gibt. Die Frauen müssen weite Wege zurücklegen, allein entbinden oder traumatische Erfahrungen machen durch Stress und mangelnde Versorgung.
Die Kosten für individuelle Geburtsbegleitung sind enorm gestiegen. Sowohl für die Hebammen, als auch die Frauen. Wo die Bereitschaftspauschale für die gesicherte Begleitung für die Eltern vor wenigen Jahren noch bei 200 Euro lag, müssen diese unterdessen 500 Euro aufbringen - eine Notwendigkeit der Hebammen, um ihre immer weiter steigenden Kosten zu decken. Viele Krankenkassen übernehmen zum Glück unterdessen die Hälfte dieser Pauschale.

Aber es hat sich rumgesprochen. Im Geburtshaus Essen erfahren die Frauen liebevolle und persönliche Betreuung von erfahrenen Hebammen. Die Notfallausrüstung entspricht dem höchsten Standart. „Natürlich haben wir für den Fall der Fälle eine Reanimationseinheit und Notfallmedikamente hier, können Herztöne und die Wehentätigkeit aufzeichnen und auch der Weg zur Klinik ist kurz“, beruhigt Conrads auf die Frage nach der Sicherheit.
Die Hebammen machen jedoch eine wichtige Beobachtung. Im Geburtshaus und den Hausgeburten ist es noch nie zu gefährlichen Zwischenfällen gekommen, was mit den Todeszahlen und Schäden bei Geburten ohne Hebammenbetreuung in den Kliniken nicht zu vergleichen ist. „Dazu gibt es umfangreiche aktuelle Studien, die den Wert der Hebammenbetreuung sichtlich unter Beweis stellen“, verweist Conrads.

Jetzt der Schock: Zum 1. Juli 2015 wird es voraussichtlich keine Versicherung für freiberufliche Hebammen mehr geben.
Ein deutschlandweites Berufsverbot wird die Folge sein. Somit sind nicht nur jene Hebammen gezwungen, ihre Berufung an den Nagel zu hängen, welche die enormen Kosten nicht mehr tragen können, sondern jede einzelne, da rechtlich ohne Versicherung keine Geburtshilfe, Vor- und Nachsorge geleitet werden darf.

So schlimm die Zukunft für werdende Eltern aussieht, so schön erinnert sich Elli Conrads an die Gegenwart.
Ihr Gesicht beginnt zu leuchten. „Die Frauen kommen und bringen Interesse mit. Hier werden Kinder geboren, weil die Mütter es wollen. Diesen Willen kann niemand brechen.“ Die Hebamme gibt nicht auf. Sie und ihre Kolleginnen kämpfen für ihren Beruf und für die Zukunft der werdenden Eltern.

Autor:

Augustine Gueffroy aus Essen-West

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