Sie haben die Besetzer wie Terroristen behandelt!

Arndt Sauer war bei der Räumung vor Ort.
  • Arndt Sauer war bei der Räumung vor Ort.
  • hochgeladen von Silvia Decker

„Ich kann es nicht verstehen! Das sind ja Zustände wie unter Putin“, entrüstet sich der Leiter des Mehrgenerationenhauses St. Anna, Arndt Sauer, über die Räumung der besetzen Bärendelle.

In den Tagen zuvor habe dort eine so tolle Stimmung geherrscht, sogar die Nachbarn hätten sich gekümmert. „Die Nachbarn haben den Jugendlichen Strom in die Bärendelle gelegt, Getränke vorbeigebracht und den Kontakt zu den Leuten in der Bärendelle gesucht. Es gab Reggae-Musik und es wurde sogar getanzt“, berichtet Sauer.
Seiner Meinung nach waren ca. 250 Sympathisanten der Besetzer vor Ort, völlig friedlich, völlig ruhig, ging alles von Statten.
„Dass die Stadt dann die Polizei veranlasst, mit einem Panzerwagen vorzufahren ist doch völlig lächerlich.“ Sauers Ansicht nach sei die Stadt völlig falsch mit der ganzen Situation umgegangen.
So sei das gute Anliegen der Jugendlichen, die Bärendelle als Jugendzentrum nutzen zu wollen, in dem ganzen Trubel, der bei der Räumung entstand, völlig untergegangen. Denn die Jugendlichen und Erwachsenen bemängelten- auch in der später geführten Demo am Westbahnhof-, dass die Stadt leerstehende Immobilien verkommen ließe.
„Eigentlich können wir froh sein, dass sich nach 25 Jahren endlich einmal Jugendliche und junge Erwachsen politisch interessieren. Und man sieht ja auch: Der Bedarf an Jugendhäusern ist da,“ so Sauer.
Das gute Anliegen der Jugendlichen sei von der Stadt einfach so vom Tisch gewischt worden.
„Man hätte ja auch durchaus mit den Jugendlichen sprechen können“, bemerkt Sauer aufgebracht. „Wenn nicht in der Bärendelle, dann an einem anderen Ort!“
Sauer hat nun Angst, dass sich durch die verhältnismäßig übertriebene Räumung eine Zelle auftut, die zu noch viel schlimmeren Dingen fähig ist, weil sie kein Gehör bekommt.
„Die Stadt Essen hat sich auf keinen Kompromiss eingelassen“, ist Sauer empört. Dabei sollte, seiner Meinung nach, doch genau das das Ziel sein: Die Jugendlichen weg zu bekommen von der Straße, eine Perspektive, auch für junge Erwachsene zu schaffen.
„Das Viertel wurde ja komplett abgeriegelt. Ich kam nicht mit dem Auto zur Arbeit, musste zu Fuß weiter gehen und habe dann den Einsatz an der Bärendelle selbst miterlebt. Da stellt sich mir die Frage: Mit welcher Methode wurde hier vorgegangen und auf welcher Rechtsgrundlage? Passanten wurden auf radikale Weise vom Platz entfernt, überall waren kampfbereite Polizisten“, schildert Arndt Sauer seine Eindrücke. Wie ein Kriegszustand sei das gewesen, beschreibt er die sich abgespielten Szenen weiter.
„Die Polizei hat ja ein zwei Tage vorher an der Bärendelle patrouilliert, auch mit Diensthunden. Da fand offenbar auch kein Gespräch statt. Jetzt werden die Eingänge der Bärendelle komplett dichtgemacht und die Patrouillen sind im ganzen Viertel verstärkt worden. Das stößt auf reines Unverständnis meinerseits. Man hätte doch alles gütlich lösen können, aber von der Stadt hat sich keiner gerührt!“
Foto: Gohl

----------------------------------------------------------------------------------------------------------------

„Wir sind für Vorschläge offen“

Jeanette Kern, stellv. Pressesprecherin der Stadt Essen verwundert über fehlende Kontaktaufnahme

Verwundert über die Äußerung, dass sich die Stadt Essen zu keiner Zeit um die Besetzer gekümmert hätten, zeigt sich Jeanette Kern, stellvertretende Pressesprecherin.

WEST ANZEIGER: Schildern sie uns bitte aus Ihrer Sicht die Situation an der Bärendelle.
Jeanette Kern: Als von der Stadt festgestellt wurde, dass die Bärendelle besetzt wurde, sind wir am Montag direkt mit Vertretern der Immobilienwirtschaft, des Ordnungsamtes, der Polizei und der Gebäudemanagerin der Bärendelle vor Ort gewesen. Dort haben wir versucht, Kontakt aufzunehmen, sind mehrmals um das Gebäude gelaufen. Die Objektmanagerin hat mehrfach in die kaputten Fenster gerufen und wir haben die Besetzer darauf aufmerksam gemacht, dass sie sich in Gefahr begeben, denn das Gebäude ist baufällig. Außerdem haben wir schon hier betont, dass wir zu Gesprächen bereit sind und gerne mit einer Kontaktperson reden würden. Bis auf eine vermummte Gestalt am Fenster zeigte sich niemand, auch die Leute vor der Bärendelle wussten von nichts. Am Dienstag war dann Kulturdezernent Bromheuer auch nochmal vergeblich vor Ort. Dann musste Mittwoch geräumt werden, schon wegen der gefährlichen Gebäudesituation.

Mehrere Stimmen von den Besetzern sind laut geworden, dass die Stadt Essen nicht in der Lage ist, per E-Mail mit ihnen in Kontakt zu treten. Schließlich stand die Mailadresse auf dem Plakat, was aus einem Fenster der Bärendelle hing. Was sagen Sie dazu?
Ganz ehrlich, als wir am Montag da waren- und ich war ja auch dabei- hing dort kein Plakat.

Sehen Sie die Maßnahme der Polizei als gerechtfertigt an?
Die Polizei hat den Besetzern am Tag der Räumung über eine halbe Stunde Zeit gegeben, das Gebäude freiwillig zu verlassen. Das haben diese verweigert, so musste die Räumung schließlich durchgezogen werden. Die Polizei hat uns damit Amtshilfe geleistet, denn für eine Räumung oder dergleichen hat die Stadt kein Personal. Eine Räumung ist für niemanden schön, für die Polizei nicht, für die Stadt nicht und sicher auch nicht für die Besetzer. Und es sieht auch nicht schön aus, vielleicht sogar martialisch, wenn Leute aus dem Gebäude getragen werden, aber wir konnten nicht mehr länger warten. Es war nämlich nicht klar, wie viele Leute sich in der Bärendelle aufhielten. Stellen Sie sich einmal vor, was passiert wäre, wenn die Decke von der zweiten Etage eingestürzt wäre (Anm. der Red.: dies wäre möglich, da eben die dritte Etage einsturzgefährdet ist). Nicht auszudenken!

Was geschieht nun mit den 37 Leuten?
Sie erhalten eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch. Denn man darf nicht vergessen: Das ist ja nun mal keine legale Sache, einfach in ein leerstehendes Haus einzubrechen. Trotzdem kann ich die jungen Erwachsenen verstehen, Jugendhäuser kann es nicht genug geben. Da sind Verwaltungs- und Jugendbereich der Stadt Essen gerne Ansprechpartner. Was ich allerdings nicht verstehe ist, dass es zu keiner Zeit eine konkrete Forderung der Besetzer gab. Zu sagen: Wir möchten ein autonomes Jugendhaus, ist ein bisschen zu dürftig. Und wenn alles so friedlich ablaufen sollte, warum schmeißt man dann mit Stühlen und Farbbeuteln?

Was passiert nun mit dem Gebäude?
Interesse zum Kauf haben drei private Investoren. Somit entsteht in der Bärendelle kein neues Jugendhaus. Trotzdem kann man über ein solches nachdenken. Dann müsste man sich an einen Tisch setzen und überlegen wer das Jugendhaus besucht, welcher Raum und welcher Stadtteil sich eignet. Nur zu! Wir sind für Vorschläge offen!

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------

„Friedliche Räumung der Bärendelle“

Tanja Hagelüken, Pressesprecherin der Polizei, über die Ereignisse

Zum Einsatz an der Bärendelle hat der WEST ANZEIGER mit Pressesprecherin Tanja Hagelüken gesprochen.

WEST ANZEIGER: Wieso haben Sie die Bärendelle geräumt?
Tanja Hagelüken: Es wurde Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch gestellt und die Stadt Essen hat um Amtshilfe gebeten. Dieser Weisung sind wir nachgekommen, denn die Polizei ist nur für die Durchführung der Räumung zuständig, ausschließlich ausführend.

Wie sieht es aus mit den Kosten? Wie teuer war der Einsatz, sowohl für die Räumung als auch für das Ausrücken für die danach stattfindende Demo?
Dazu dürfen wir, so Leid es mir tut, keine Auskunft geben, aus taktischen Gründen.

Ist die Anzahl der Einsatzkräfte denn verhältnismäßig gegenüber den 37 Personen in der Bärendelle? Wie viele Einsatzkräfte waren genau vor Ort?
Auch bei der genauen Personenzahl der Einsatzkräfte dürfen keine Angaben gemacht werden. Außerdem war bei Einsatzbeginn nicht klar, wie viele Personen sich in der Bärendelle verschanzt hatten und ob diese das Gebäude friedlich verlassen. Es kann vorkommen, dass man eine Person, die sich mit Händen und Füßen wehrt, zu viert wegtragen muss. Auch die Ausrüstung der Einsatzkräfte hat gezeigt: Sie war durchaus notwendig. Denn es wurde ein Stuhl aus dem Gebäude geworfen, mehrere kleinere Gegenstände und viele Farbbeutel.

Aber muss man deswegen direkt mit einem Panzerwagen vorfahren?
Der Einsatz des Panzerwagens gehört ebenfalls zur Routine. Man wusste ja nicht, wie die Türen verbarrikadiert sind, eventuell hätte er dann zum Öffnen zum Einsatz kommen können. Und erst nach dem Panzerwagen schicken, wenn man merkt, man kommt nicht ins Gebäude wäre vertaene Zeit gewesen. Man wusste ja nicht genau, was einen vor Ort erwartet. Der Einsatz sollte schnell von Statten gehen, um die Kosten nicht unnötig in die Höhe zu treiben. So waren zur Sicherheit auch zwei Polizeihunde vor Ort. Doch die Türen konnten so geöffnet werden.

Wie lief die Räumung genau ab?
Im Prinzip lief alles völlig friedlich ab. Die Besetzer wurden über Megafon aufgefordert die Bärendelle zu räumen, einige Personen, die vor dem Gebäude saßen, verließen dann auch ihren Standort. Doch die Personen in der Bärendelle machten zunächst keine Anstalten, diese aus eigenem Antrieb zu verlassen. Die Beamten kamen in das Gebäude, indem die Barrikaden aufgebrochen wurden, machten die Besetzer ausfindig und geleiteten sie nach draußen. Dort wurden ihre Personalien aufgenommen. Lediglich eine Person leistete aktiven Wiederstand, einige mussten aus dem Gebäude getragen werden, der Rest verließ die Bärendelle freiwillig.

Wie viele Personen waren zu diesem Zeitpunkt in der Bärendelle?
Insgesamt waren es 37 Personen, davon waren 36 Erwachsene und eine 16-Jährige dort. Die 16-Jährige wurde von der Polizei nach Hause gebracht. Das Alter der Personen lag somit zwischen 16 und maximal 30 Jahren. Der Großteil der Bestzer war aber zwischen 18 bis 25 Jahren alt. Es lief aber alles glatt über die Bühne, wir haben dann auch Getränke an die Besetzer verteilt.

Wir haben gehört, dass das komplette Viertel abgeriegelt wurde. Ist das richtig?
Nein, das komplette Viertel wurde nicht abgesperrt. Es gab lediglich ein hohes Personenaufkommen vor der Bärendelle und damit sich Besetzer nicht mit Zuschauern mischen konnten, haben wir rund um die Bärendelle und den Spielplatz dort abgesperrt. Auch zur Sicherheit der Passanten, denn diese sollten nicht von Dingen oder den Farbbeuteln getroffen oder verletzt werden.

Ist bei dem Einsatz aufgefallen, dass etwas an der Bärendelle im Innen- oder Außenraum beschädigt wurde?
Ob und in welchem Umfang eine Beschädigung vorliegt, lässt sich von unserer Seite nicht sagen. Es waren einige Fensterscheiben eingeschmissen, Wände im Inneren verschmiert und es lag Müll in den Räumen. Was davon aber schon vorher so gewesen ist, weiß ich persönlich nicht.

Was haben Sie von der Demonstration am Abend am Westbahnhof mitbekommen?
Wir haben davon mitbekommen durch das soziale Netzwerk Facebook. Und waren dann auch zur Sicherung vor Ort. Zu Beginn waren es erst einige Personen, schließlich dann mehrere 100 Personen. Auch hier verlief alles friedlich, es gab keine Ausschreitungen.

Sicher waren unter den Demonstranten auch die Besetzer der Bärendelle, oder?
Wir haben keine Personenkontrollen bei der Demo durchgeführt, somit können wir dies nicht beantworten, ich gehe aber schon davon aus, dass sie ebenfalls dabei waren.

Autor:

Silvia Decker aus Emmerich am Rhein

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

4 folgen diesem Profil

3 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.