Kulturgeschichte der Schafe (und Ziegen)
Vom Opferlamm zum Landschaftspfleger

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Kaum ein Tier ist mit der Kultur des Menschen stärker verbunden als das Schaf und seine ´Schwester`, die Ziege. Seit der Sesshaftwerdung unserer Vorfahren vor rund 10-12 000 Jahren (neolithische Revolution) begleiten die beiden uns als Haustiere und haben unsere kulturelle Entwicklung bis heute in einer Weise beeinflusst, der man sich kaum bewusst ist.

Alle unsere Schafsrassen stammen mit großer Wahrscheinlichkeit vom armenischen Mufflon ab, dessen Domestikation in Anatolien eingeleitet wurde. Zunächst  dienten Schafe nur als Fleischressource. Erst ab 6500 v. Chr. wurden sie auch wegen ihrer Wolle gezüchtet.
Kleinviehherden mit Schafen und Ziegen stellten  das wirtschaftliche Rückgrat ganzer Völker dar.  Dementsprechend kostbar waren sie den Menschen. Diese  Verbundenheit schlug sich in Verehrung, Ritualen  und  Erzählungen nieder.
Folgerichtig spielt das Schaf in den meisten Religionen  eine zentrale  Rolle. Wichtige Protagonisten in der Bibel wie  Abel, Abraham, Isaak , Jakob  und Moses waren  Hirten. Dies war ein so verantwortungsvoller und wichtiger Beruf, dass die Tätigkeit bald auf alle religiösen Führer und ihre Gemeinden übertragen wurde. Noch heute wird diese Metapher von Hirt und Herde auf Pastoren und ihre  Gemeinden angewendet (Hirtenbriefe).
Das Schaf war nicht nur kostbares Herdentier, sondern zugleich auch verehrtes und unschuldiges Opfertier, das sich arglos zur Schlachtbank führen ließ:

Ich aber war wie ein zutrauliches Lamm, das zum Schlachten geführt wird, und ahnte nicht, dass sie gegen mich Böses planten (Jer 11,19)

Damit wurde  das Schaf auch zum Symbol für Jesus Christus, der als "Lamm Gottes" bezeichnet wird, da er  unschuldig sein Leben für uns hingab.

Auch heute noch werden Schafe  wegen des Fleisches gezüchtet (Lämmermast). Als Wollproduzent hat das Schaf jedoch ausgedient. Baumwolle und synthetische Stoffe haben die Schafswolle weitgehend vom Markt verdrängt. 
Stattdessen wächst die Bedeutung von Schafen für die Landschaftspflege. Viele freie Wiesen  würden verbuschen und verwalden, würden sie nicht durch Schafe und Ziegen beweidet. Bereits ab dem Mittelalter halfen Wanderherden vielfach bereits aufgegebene Flächen wiederzubeleben, wobei die Schafe sich um Gräser und Kräuter und die Ziegen sich um Büsche und Bäume "kümmerten".
Im Süden Deutschlands  werden sie heute  zur Pflege der Almen  , im Norden zur Deichpflege eingesetzt und auch die Heidelandschaften wären ohne die Kleinviehherden längst vesteppt.

Zieh'n die Schafe von der Wiese,​
Liegt sie da, ein reines Grün;​
Aber bald zum Paradiese​
Wird sie bunt geblümt erblüh'n.​ ​
(Goethe)

Nicht nur dank Goethe haben die Schafe ihre Spuren auch in unserer Sprache hinterlassen. Viele Bibelzitate  sind sprichwörtlich und auch Redensarten wie "seine Schäfchen ins Trockene bringen“, "das schwarze Schaf der Familie “ oder „der Wolf im Schafspelz“ dürften den meisten bekannt sein. Und wer kennt nicht den "Sündenbock", der früher tatsächlich und heute redensartlich, mit den eigenen  Sünden und Verfehlungen beladen  , in die Wüste geschickt wird.
An dieser letzten Redensart erkennt man allerdings auch, dass sich das Image der Ziegenböcke in die gegenteilige Richtung wie beim Schaf entwickelt hat.  Die agilen Ziegen galten schon früher  als Inbegriff einer verdächtigen  Vitalität, die nach und nach immer mehr mit dem Dämonischen in Verbindung gebracht wurde, was darin gipfelte, dass der Satan häufig mit Bocksbart, Hörnern und Ziegenhufen dargestellt wird.

Tröstlich, dass Ziegen und Schafe sich bis heute der industriellen Massentierhaltung erfolgreich entzogen haben, obwohl es weltweit ca. 1 Milliarde Tiere gibt.

Quellen:

1. )Sanftmütige Großmacht (taz)

2.) Silvia Schroer: Die Tiere in der Bibel- Eine kulturgeschichtliche Reise, Freiburg i. Bsg., 2010

3.)  Carel van Schalk, Kai Michel: Das Tagebuch der Menschheit- Was die Bibel über unsere Evolution verrät, Reinbeck 2016

4. ) Sensibel oder dämlich  (taz)

Autor:

Bernd Dröse aus Essen-West

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