Geh nicht ins Licht!!! 9 von 10
Was Geburt und Sterben gemeinsam haben
Artikel 9 von 10
Loslassen, weinen, Abschied nehmen vom Jetzt, achtsam in die vergangene Zeit zurücksehen, Trennung, Familie…
Etwa so kann man eine (humane) Geburt beschreiben…
ebenso wie den (humanen) Tod.
Beide Prozesse sind existenziell und unüberwindbar. Von keinen anderen Erfahrungen kann man sagen, dass sie jeder von uns, der lebend geboren wird, durchlebt, erfährt, erleidet, wie auch immer. Diesen beiden Lebensgrundlagen widmen wir zu wenig Aufmerksamkeit.
Mit erschreckenden Folgen:
Unsere von Technik geprägte Kultur erschwert es, diese natürlichen Prozesse unmittelbar zu erleben. Geburt und Sterben sind überwiegend ins Krankenhaus und Pflegeheim verlagert.
Geburt und Sterben machen vielen Menschen Angst, da sie keinen alltäglichen Bezug dazu haben.
Geburten finden zu 98 Prozent in Kliniken statt, technologisch und uniform überwacht.
Sterbende werden ebenso weitläufig klinisch überwacht. Nur wenige sterben zu hause.
Und sehr häufig wird der Sterbeprozess durch Reanimation oder Lebenserhaltung unterbrochen,
was bedeutet, dass der Sterbende entmündigt wird. Hier bedarf es des Schutzes durch unsere Vertrauten, der Familie, der Freunde, und vor allem deren Verständnis für das, was geschieht.
Dieser Schutz muss auch für Gebärende da sein.
Es gibt Doulas, die ausgebildet sind, Frauen unter der Geburt als Bezugsperson und persönliche Vertraute zu begleiten.
Seit 25 Jahren entwickelt sich endlich wieder eine Kultur für humanes Sterben, was zu einem Netzwerk ehrenamtlicher SterbebegleiterInnen (ähnlich einer Doula zur Geburt) in der Hospizbewegung geführt hat.
Um Vergleichbares für die Geburt zu ermöglichen, müssen wir uns diesem Lebensinhalt mehr öffnen und ihn wieder als natürlichen Vorgang akzeptieren.
Der Verfall der körperlichen und/ oder geistigen Kräfte, die zeigen, dass die Lebenszeit sich dem Ende nähert, kann Jahre dauern. Viele unserer alten Menschen durchleben diese Zeit allein, unter Medikamten, Überwachung durch „Fachpersonal“ und ohne Zuspruch von denen, die ihn wirklich geben könnten.
Die Trennung vom Ungeborenen ist ebenfalls ein langer Prozess.
Über Wochen von Vorwehen, schlaflosen Nächten, Zukunftssorgen begleitet als auch stetigem öffentlichen Druck, eine gutaussehende, funktionierende und glückliche werdende Mama zu sein, laufen unsere Schwangeren Gefahr, sich zu verlieren und zu ergeben… in die Überwachung, die Angst und die Fremdbestimmtheit...
Mit entsprechenden gesellschaftlichen Folgen… ein Teufelskreis.
Seit 40 Jahren entwickelte sich die Geburtsmedizin zu einem Wirtschaftszweig. Schwangere Frauen, die ungeborenen und neugeborenen Kinder sowie die Geburt selbst wurden immer mehr zu einem medizinischen Ereignis mit einem ganz eigenen Wirtschaftskreislauf. Schwangerschaft und Geburt wurden Risiken angeheftet, was zu einem einträglichen Erwerb vieler gynäkologischer Praxen und klinischer Geburtsabteilungen führte.
In Elterheften wird selten auf alternative Möglichkeiten außerhalb dieser Instanzen hingewiesen.
Mich sprachen Mütter auf der Straße an, die erst über diese Columne erfahren hatten, dass Vorsorgen durch Hebammen durchgeführt werden.
Dass die Geburt natürlich und durch nichts zu verbessern ist, dieses Wissen bekommen junge Frauen nicht selbstverständlich vermittelt.
Schreibabysprechstunden in allen Städten zeugen von einem kulturellen Irrweg, den unsere Gesellschaft in den letzten 40 Jahren, nur von wenigen bemerkt, gegangen ist.
Geburt braucht Nähe und Liebe, Halt und Rücksicht, Respekt und Mut. So ist es auch mit dem Prozess des Sterbens. So sollte es zumindest sein, finden Sie nicht?
Wir alle sind Zeugen einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung, weg von achtsamer Geburtsbegleitung und dem täglichen Umgang mit unseren „Alten“.
Menschen im Übergang brauchen behutsame Begleitung. Bei Sterbenden haben wir dazugelernt, wenn auch noch nicht genug. Bei der Begleitung Schwangerer und ihrer Kinder vor der Geburt ist eine Korrektur unserer Einstellungen überfällig.
Doulas sind in den USA weitläufig bekannt, wo es bereits keine geburtshilflich tätigen Hebammen mehr gibt. Ich persönlich hoffe, dass es hier zulande, in meiner Heimat, nicht so weit kommt, doch kann ich die Hinzuziehung einer Doula für Gebärende als Unterstützung der Hebamme, so wie unsere Hebammen selbst, nur von Herzen empfehlen. Sie stärken und schützen, geben Halt und machen Mut. Danke, dass es dieser wundervollen Frauen gibt.
Lesen Sie nächste Woche:
alles auf Anfang!
die Geburt im Wandel unserer Zeit
Artikel in Zusammenarbeit mit www.greenbirth.de
Autor:Augustine Gueffroy aus Essen-West |
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