Die Eichengallwespe und die Eisengallustinte
Ein Insekt "schreibt" Geschichte
Ohne dass wir uns dessen bewusst sind, haben Tiere, Pflanzen und Mikroben den Fortgang unserer Kultur und Geschichte desöfteren entscheidend beeinflusst. So wäre zum Beispiel die Entstehung und Blüte des Ruhrgebiets ohne die "Kohlewälder" aus Baumfarnen und Schachtelhalmen im Karbon undenkbar.
Nicht ganz so offensichtlich, aber vermutlich noch weitreichender ist der Einfluss, den Gallwespen und Eichen auf die kulturelle Evolution der Menschheit hatten,
Auf der Unterseite von Eichenblättern findet man häufig 2cm große Galläpfel. Diese bestehen aus pflanzlichem Gewebe, das als Antwort auf die Eiablage des Eichengallwespenweibchens ausgebildet wird. In diesen Pflanzengallen entwickeln sich die Larven der Gallwespen.
Zur Herstellung der Tinte werden die getrockneten Galläpfel zerstampft und gekocht und die Gallussäure extrahiert. Diesem Extrakt wird dann Wasser, Eisensulfat und Gummi Arabicum zugefügt.
Seit dem 3. Jahrhundert vor Christus hat man Eisengallustinte hergestellt. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden mit dieser Tinte bedeutende Werke der Menscheit aus allen Bereichen festgehalten und überliefert, auch wenn die handschriftlichen Werke schon 1450 durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Metalllettern und ab 1869 mit der ersten Schreibmaschine Konkurrenz bekamen.
Mit Gallustinte wurden nicht nur die Schriften aus der Römerzeit, sondern z,B. auch die Magna Charta, die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten und die Theorien Newtons u.v.m. geschrieben. Bedeutende Künstler wie da Vinci, Rembrandt und van Gogh haben damit weltberühmte Zeichnungen zu Papier gebracht. Und Johann Sebastian Bach hinterließ uns seine Partituren mit Eisengallustinte.Auch aktuell werden Staatsverträge und wichtige Dokumente mit dieser Tinte unterzeichnet, da sie über Jahrhunderte licht- und luftbeständig ist.
Heute werden Tinten allerdings für die verschiedensten Bedürfnisse auf unterschiedliche Weise hergestellt, Gallustinte kann man nur noch bei ganz wenigen Herstellern beziehen. Dennoch mögen die oben angeführten Beispiele einen kleinen Einblick geben, welche Bedeutung die Tinte für die Weitergabe von wichtigen Gedanken, Werken und Verträgen hatte.
Auch im Alltag der Menschen nahm die Tinte bei der Kommunikation einen wichtigen Stellenwert ein. Derzeit befindet sich diese handschriftliche Form der Mitteilungen allerdings auf dem Rückzug. Unsere Schreibkultur befindet sich im Umbruch.
Mit der Digitalisierung bestimmen andere Formen der Nachrichtenübermittlung unseren Kontakt zu Mitmenschen.
Welche Auswirkungen dies auf die Entwicklung der Sprache haben wird, bleibt abzuwarten. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Sprache unter diesen modernen Medien u.a. formal leidet. Groß- und Kleinschreibung werden oft aufgehoben und auch Grammatik und Rechtschreibung werden den Inhalten, die häufig wie Sprechblasen in Comics formuliert werden (Grins! Lach! Autsch!), untergeordnet.
Davon abgesehen geht bei der digitalen Schreibweise der individuelle Schreibstil mit der persönlich ausgeprägten Handschrift verloren.
Auch wenn man die Vorteile der "digitalen Tinte" nicht von der Hand weisen kann, hoffe ich, dass die gute alte alte gewachsene analoge Schreibkultur, die wir letztlich der Eichengallwespe zu einem großen Teil verdanken, nicht ganz verloren geht.
Anmerkung: Die Gedanken zur Bedeutung der Eisengallustinte für die Entwicklung unserer Schreibkultur wurden auf einem botanischen Spaziergang durch das Kamptal von den beiden NABU-Experten Thomas Kalveram und Bernhard Demel angestoßen.
Autor:Bernd Dröse aus Essen-West |
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