Beobachtungen am Futtersilo
Die kluge Ringeltaube Martha
Verdammt!! Wo sind denn die fünf Hände voll Sonnenblumenkerne hin, die ich erst vor 2 Tagen im Futtersilo für die Singvögel in unserem Garten nachgefüllt hatte? Unmöglich, dass die Meisen, Rotkehlchen und Braunellen das gefressen haben konnten. Und auch die gefräßigen Dompfaffe hätten diese Menge nie geschafft. Ich hatte zwar beobachtet, dass Elstern mit wilden Flügelschlägen versucht hatten, an die Kerne zu kommen. Doch sie scheiterten kläglich.
Das Rätsel konnte ich morgens kurz vor 6 Uhr lösen, als ich mit dem Hund die Kühle des Morgens für einen Spaziergang nutzen wollte.
Im Kirschbaum saß eine Ringeltaube. War das die gleiche Taube, über die ich mich schon im Frühjahr geärgert hatte, weil sie fast alle Blüten und Blütenknospen abgefressen hatte? Die Kirschernte kann ich dieses Jahr jedenfalls abschreiben.
Kaum hatte ich dem Baum und der Taube den Rücken zugedreht, hörte ich ein Flattern und drehte mich noch einmal um.
Ich sah die Taube mit ihrem eher plumpen Körper kopfüber an einem Zweig hängen und wie sie offensichtlich versuchte, an die Kerne zu gelangen. Der enttäuschte Hund musste noch einmal ins Haus und aus sicherer Entfernung beobachtete ich mit der Kamera, mit welcher cleveren Taktik die Taube an die Kerne gelangte. Wie die Fotos dokumentieren, schaffte die "doofe" Taube, was für die cleveren Elstern unmöglich war. Und was sie an Kernen nicht direkt aufnehmen konnte, warf sie auf den Boden , um es dann mühelos dort zu fressen.
Mein Ärger über die ausgefallene Kirschernte schlug um in Bewunderung für die Ringeltaube. Offensichtlich beherrscht nur eine der Ringeltauben aus der Umgebung die abgebildete Technik.
Und als ich am Nachmittag sah, dass die gleiche Taube Nistmaterial sammelte, konnte ich ihr gar nicht mehr böse sein. Zum Glück konzentriert sich der Appetit auf die Kirschen und die Sonnenblumenkerne. Pflaumen, Birnen, Äpfel, Pfirsiche und ein zweiter Kirschbaum blieben bis jetzt unbehelligt.
Ich gab der "Kirschbaumtaube" den Namen Martha, weil ich gerade ein Buch lese, das von der berühmten Wandertaube Martha handelt. s.u. Ein Fall von Synchronizität? :-))
Martha war die letzte der einst 5 Milliarden(!) Wandertauben in Amerika. Sie starb im Jahre 1914 im Alter von 29 Jahren im Zoo von Cincinnati. Der Mensch hatte es geschafft, 5 Milliarden Tiere innerhalb einer Menschengeneration auszurotten. Die Wandertaube, die einst eine der zahlenmäßig häufigsten Vogelarten auf der Welt war, wurde, wie der Bison, ein Symbol für den Raubbau der Menschen an der Natur.
Auch im Deutschen spricht man von einer Ringeltaube, wenn man meint, etwas Seltenes gesehen oder erworben zu haben. Dabei ist meine Martha mit ihrem Partner nur eines von 3 Millionen Ringeltaubenpaaren in Deutschland. Weltweit gibt es geschätzte 30 bis 70 Millionen Tiere.Der Ringeltaubenbestand ist also wirklich zur Zeit ungefährdet. Wie das Beispiel der Wandertauben zeigt, kann sich das aber schnell ändern. Ringeltauben sind viel mehr als die "Ratten der Lüfte". Sie sind viel cleverer als man gemeinhin denkt.
Quelle: Nathaniel Rich: Die zweite Schöpfung - Wie der Mensch die Natur für immer verändert, Berlin 2022
Autor:Bernd Dröse aus Essen-West |
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