Fluch und Segen der Digitalisierung
Botanisiertrommel und Herbarium

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Wenn selbst Google auf die Suchanfrage nach einer Botanisiertrommel nur wenige Ergebnisse liefert, kann man getrost davon ausgehen, dass sie , zumindest jüngeren Menschen, gänzlich unbekannt ist. Und auch mit einem  Herbarium dürfte kaum einer noch etwas verbinden. Beide Gegenstände gehören nämlich in die gute(?) alte Zeit der Botanik, die viele Jahrzehnte vor dem Siegeszug der  Digitalisierung liegt.

Eine Botanisiertrommel ist ein länglich-zylindrisches verschließbares Blechgefäß,  das man beim Wandern mit einem Gurt über die Schulter tragen kann. Sie dient dazu, Pflanzen , die man am Wegesrand gefunden hat, unzerdrückt und frisch nach Hause zu tragen, um sie dort zu bestimmen, eventuell zu zeichnen und zu herbarisieren. Die Botaniesiertrommeln, die man heute für viel Geld noch auf Versteigerungsplattformen erwerben kann, stammen meist aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Danach gab es Botanisiertrommeln in der Regel  nur noch für naturbegeisterte Kinder als Spielzeug. Spätestens mit der Fotografie kam die Botanisierbüchse ganz aus der Mode.

Kaum einer kommt  heute noch auf die Idee, Pflanzen auszugraben, zu Hause mühsam mit dem Bestimmungsbuch einer Art zuzuordnen, sie als Ganzes oder im Detail zu zeichnen und dann zu trocknen, zu pressen und sie schließlich auf einer Herbarseite aufzukleben. Lange  war das,zumindest  für angehende Biologen und Apotheker, gängige Praxis. Viel zu umständlich erscheint uns dieses zeitaufwendige Verfahren heute.

Denn auch für botanisch Interessierte gibt es heute zahlreiche digitale Helferlein.  Die Pflanze wird an Ort und Stelle fotografiert und dank eingebautem GPS, werden die Koordinaten  des Fundortes dabei  direkt mit gespeichert. Mit der Makrofunktion, die die meisten Digitalkameras heute besitzen, entgeht einem auch nicht mehr das kleinste Detail.
Und auch das genaue Bestimmen des Artnamens einer unbekannten Pflanze ist heute dank vieler kostenloser Apps   mit dem   Smartphone kein Problem mehr. So gelingt das Bestimmen zum Beispiel mit der App "Flora inkognita"  der TU Ilmenau quasi im Vorübergehen und ist kein Vorrecht botanischer Nerds mehr, sondern jedem Naturnteressierten möglich.  Die Kenntnis botnischer Fachtermini und der Besitz teurer Bestimmungsbücher ist dabei überflüssig. Auf diese digitalen Hilfswmittel möchte ich deshalb nicht mehr verzichten.

Dennoch schaue ich manchmal etwas wehmütig auf die alte Botanisiertrommel und das Jahrzehnte alte Herbarium. Auch wenn ich mich z.T. ungern  an das zeitraubende und mühsame Bestimmen, Zeichnen und Herbarisieren erinnere, verbinde ich auch nach langer Zeit noch etwas mit diesen Funden und erinnere mich an Schwierigkeiten und Fallstricke beim Bestimmen und Archivieren meiner  Pflanzenfunde.

Und wie bei vielen anderen Kulturtechniken frage ich mich, ob man ersatzlos darauf verzichten kann. Denn man sollte sich bewusst sein, dass wir uns davon auch abhängig gemacht haben.  Was passiert, wenn unsere vielen elektronischen Helfer einmal ausfallen. Wer ist dann z.Bsp. noch in der Lage, die Mehrwertsteuer einer Ware handschriftlich oder gar im Kopf zu errechnen? Wer findet noch ohne NAVI von A nach B? Wie sähen unsere Mitteilungen ohne die Rechtschreibkorrektur des Computers aus?...  Die Kette der Beispiele kann jeder aus eigener Erfahrung sicher beliebig fortsetzen.

Das heißt nicht, dass wir die Vorteile der Digitalisierung ablehnen sollten. Sie ermöglichen neue Möglichkeiten und Geschwindigkeiten im Ablauf von Arbeitsprozessen.  Auf  diese Entlastungen können  wir nicht mehr  verzichten.
Dennoch sollten wir die Prozesse, die ihnen zugrunde liegen, grundsätzlich verstehen, um sie bei Bedarf noch analogen  ersetzen und kritisch hinterfragen zu können.

Botanisiertrommel und Herbarium aus der analogen Zeit der Botanik werde ich deshalb weiter in Ehren halten und bewahren.

Autor:

Bernd Dröse aus Essen-West

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