Graugans, Dohle, Meise und Co.
Beziehungsmodelle bei Vögeln (und Menschen)

Weißstorch: Die gemeinsame Immobilie "schweißt" zusammen.
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  • Weißstorch: Die gemeinsame Immobilie "schweißt" zusammen.
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Wir Menschen tun uns oft schwer damit anzuerkennen, dass wir viele Eigenschaften mit anderen Tierarten gemeinsam haben.
Auch bei den Formen des Zusammenlebens gibt es kaum eine Spielart, die uns die Vögel nicht schon lange vorgelebt haben.Bewusst geworden ist mir dies u.a. bei der Lektüre des sehr lesenswerten  Buches von Ernst Paul Dörfler: NESTWÄRME-Was wir von Vögeln lernen können, so dass ich dem Thema noch einmal nachgegangen bin.
99% der Säugetiere leben polygam. Eine dauerhafte monogame Beziehung führen nur wenige Arten, wie z.B. Biber und Fischotter.  Die Vögel stehen uns da viel näher. 90% von ihnen bevorzugen eine mehr oder weniger feste Partnerschaft. Für ziehende Vogelarten hat sich das Modell Saisonehe  bewährt, weil es für viele Gefiederte leider nur eine begrenzte Rückkehrwahrscheinlichkeit aus dem Winterquartier  gibt.
Das Pendant bei Menschen, freilich meist aus anderen Gründen, ist die Lebensabschnittspartnerschaft.
Bei den meist kleineren Singvögeln stehen auch Seitensprünge hoch im Kurs.  Biologischer Hintergrund: Eine fruchtbare Affäre steigert die genetische Variabilität und  damit die Anpassungsfähigkeit an eine sich immer schneller verändernde Umwelt. Außerdem vermindern sie die Gefahr des Inzests, wie man bei Blaumeisen im Wienerwald nachwies. In jedem dritten Kohlmeisennest liegen ein oder mehrere Eier, die nicht von dem Männchen stammen, das das Futter für die Küken heranschafft. Bei Menschen spricht man von Kuckuckskindern.
Ein Modell der Polygamie, nämlich das Haremsmodell, findet man bei Hühnervögeln, z.B. den Fasanen. In unserem Kulturkreis ist diese Form der Polygamie bei Menschen  weniger verbreitet.
Eine Prostituierte hat man früher als "Schnepfe" bezeichnet. Bei den gleichnamigen Vögeln spricht man sogar vom Schnepfenstrich, weil die Männchen dieser Vogelgattung  morgens immer wieder die gleiche Strecke abfliegen und ihren Balzgesang ertönen lassen, in der Hoffnung, dass es zu einem Kontakt mit dem anderen Geschlecht kommt.
Für den Übergang von der Poly- zur Monogamie mag hier der Zaunkönig stehen, der in Vielehe lebt, wenn genügend Nahrung vorhanden ist, allerdings bei begrenzter Nahrung monogam.
Eine echte monogame Dauerehe führen z,B. Dohlen und Graugänse. Dieses Modell hat den Vorteil, dass die häufige zeit- und energieaufwendige Partnersuche entfallen kann. (Never change a winning team!). Dohlen bleiben auch während des Winters, selbst wenn sie sich Schwärmen anschließen, mit ihrem Partner zusammen. Nur nach dem Tod des Partners kann es sein, dass der/die Überlebende sich einen neuen Partner sucht. Noch konsequenter ist diesbezüglich die Graugans, die in diesem Fall keine neue Bindung eingeht.
Es kommt im Vogelreich gar nicht so selten auch zu homosozialen und homosexuellen Beziehungen, die nur zur Fortpflanzung das andere Geschlecht aufsuchen, deren Junge dann aber vom gleichgeschlechtlichen Paar aufgezogen werden. Viele Enten und Gänse führen auch eine Ehe zu dritt.
So manche monogam erscheinende Beziehung ist nur über die Ortstreue zu erklären. Fischadler und Storch werden nur über ihren Horst (bei Menschen Immobilie genannt) zusammengehalten.
Eine typische Patchworkfamilie habe ich bei den Vögeln zwar nicht beschrieben gefunden, immerhin konnte aber bei Schwanzmeisen nachgewiesen werrden, dass sich bis zu 6 Altvögel an der Aufzucht der Jungen eines Nestes beteiligen.
Wir haben also keinen Grund über die verschiedenen Spielarten der Beziehungen beim Menschen  die Nase zu rümpfen. Alles hat es bei den Vögeln immer schon gegeben und wurde von der Evolution zumindest toleriert. Beim Menschen vereint sich all dies allerdings  in einer Art und unterliegt nur noch den Bedingungen der kulturellen Evolution.

Autor:

Bernd Dröse aus Essen-West

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