Frohnhausen: Gemeindeversammlung findet am 6. Oktober in der Markuskirche statt
Zukunft der Kirchen ungewiss?

Heimatforscher Robert Welzel. | Foto: Sunhild Welzel
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"Wir müssen unsere Gemeinde für die Zukunft stark machen und für die nachwachsenden Generationen nachhaltig und tragfähig konzipieren." - So ist es im Schaukasten der Evangelischen Kirchengemeinde Essen-Frohnhausen zu lesen. Doch die Ideen des Presbyteriums, für das die Vorsitzende Monika Fränkel verantwortlich zeichnet, darf als Paukenschlag gewertet werden. Denn: Sukzessive sollen die Apostelkirche, die Markuskirche sowie das Markusgemeindehaus aufgegeben werden. Es soll ein neues Gemeindezentrum am Standort Mülheimer Straße gebaut werden und die Notkirche soll perspektivisch die zentrale Predigtstelle werden. Im Gespräch mit dem Frohnhauser Heimatforscher Robert Welzel, der sich intensiv auch mit der Architektur in Frohnhausen beschäftigt hat, wollte der West Anzeiger erfahren, welche Bedeutung die beiden Kirchen für Frohnhausen haben.

Die Informationen aus dem Presbyterium lesen sich wie eine kleine Randnotiz. Dabei scheint zwischen den Zeilen der Abriss von Markuskirche und Apostelkirche schon beschlossene Sache zu sein. Kann Frohnhausen aus Ihrer Sicht auf ein Bauwerk wie die Apostelkirche verzichten?

Ich wage mir kaum vorzustellen, wie eine Kirchengemeinde dieser Größe (aktuell 6.200 Gemeindeglieder) auf einen großen Kirchraum verzichten soll. Man denke etwa an die Konfirmationen oder großen Feiertage. In gleicher Weise würde auch der Stadtteil einen schweren Verlust erleiden. Die Apostelkirche ist eine anerkannte Sehenswürdigkeit, ein beliebter Konzertort und Treffpunkt. Mit ihrem fast 50 Meter hohen Turm ist sie eine Landmarke im Essener Westen. Man würde ja auch nicht auf die Idee kommen, das Schloß Borbeck abzureißen, nur weil es alt ist und das Dach mal neu gedeckt werden muss.

Was sind die Besonderheiten von Markuskirche und Apostelkirche?

Wenn Kirchen aus dem Ortsbild verschwinden, leidet nicht nur das Stadtbild, sondern es geht auch die Selbstverständlichkeit unserer christlichen Prägung mehr und mehr verloren. Deutschlandweit werden daher nur vergleichsweise selten Kirchen abgerissen. Sie stellen einen ideellen Wert dar, auch jenseits aller Wirtschaftlichkeitsüberlegungen. Die Markuskirche ist ein typisches Kind ihrer Zeit. Hier wurde mit Beton und großen Fensterflächen gearbeitet. Die wunderbaren Bleiglasfenster von Ursula Hirsch, die über den Köpfen der Gemeinde den Raum wie ein Zelt in alle vier Himmelsrichtungen öffnen, sind schon ein echtes Highlight. Kunstgeschichtlich eine Rarität ist die Apostelkirche, da sie am Wendepunkt vom dekorativen Zeitalter zur Moderne steht. Sie hat ihren festen Platz in der Kirchenbaugeschichte des Rheinlands. Gerade jetzt, im Bauhaus-Jahr, sollten wir uns daran erinnern. Einen solchen Schatz sollte man hegen und pflegen.

Sie haben die Geschichte der Apostelkirche erforscht wie kein anderer und führen seit über 30 Jahren Besucherinnen und Besucher durch die Kirche und auf den Turm. Selbst der Historische Verein für Stadt und Stift Essen e. V. hat die Apostelkirche wiederholt gewürdigt. Aktuell hat die VHS die Kirche im Programm. Warum ist das Interesse an Frohnhausen und an der Apostelkirche so groß?
Das hat zunächst mal einen historischen Grund: 1913, also in dem Jahr der Einweihung der Apostelkirche, war alles neu und revolutionär, was es hier im Umfeld des Frohnhauser Platzes zu sehen gab. Vielen war es zu modern und anderen nicht modern genug. Darüber wurde kontrovers diskutiert. Essen gehörte damals zu den treibenden Kräften im Deutschen Werkbund und viele Bauvorhaben hatten experimentellen Charakter. Die hier angestoßenen Reformen im Städtebau und der Landesplanung wirkten im In- und Ausland nach, angeblich sogar in den USA. Fakt ist, dass Bauvorhaben wie die Margarethenhöhe oder die Apostelkirche auf den internationalen Städtebauausstellungen präsentiert und wahrgenommen wurden. Zu danken ist das vor allem dem genialen Stadtplaner Robert Schmidt. Früher als anderswo erprobte er in Essen einen menschenfreundlichen Städtebau, mit viel Grün und gehobener Ästhetik. Auch Aspekte wie Hygiene und Wirtschaftlichkeit spielten eine große Rolle. Private Bauherren sollten hier investieren. So entstand ab 1906 in Frohnhausen ein Arbeiterquartiert nach modernsten städtebaulichen Gesichtspunkten. Gute Villenviertel gab es auch in anderen Städten. Aber ein gutes Arbeiterviertel, das nicht vom Fabrikherrn, sondern von privaten Investoren finanziert wurde, war damals eine große Seltenheit. Die Apostelkirche bildete den krönenden Abschluss der Bautätigkeit. Der Kirchturm erhielt sogar eine Aussichtsplattform, damit das neu entstandene Reformviertel „Pollerbergshof“ auch aus der Vogelperspektive betrachtet werden konnte. Robert Schmidt begleitete die Planung der Kirche und auch des Gänsereiterbrunnens bis ins kleinste Detail. Viele Reformideen, wie etwa die öffentlich zugänglichen Außenanlagen oder die sorgfältige Einbindung der Baugruppe in ihr Umfeld, gehen auf seinen Einfluss zurück. Wenn heute die Menschen auf dem Kirchplatz auf der Bank und in der Sonne Entspannung finden, oder wenn sie am Gänsereiterbrunnen auf einer der Steinbänke Platz nehmen, dann kann Robert Schmidt noch immer auf seiner Wolke sitzen und sich freuen.

Es gibt eine Initiative, die direkt an der Apostelkirche ansässige Notkirche, die auch über die Stadtgrenzen hinaus als Kunstraum Notkirche bekannt ist, als UNESCO-Weltkulturerbe anzuerkennen. Dies gilt auch für die 48 weiteren Gotteshäuser dieser Art, die in der Nachkriegszeit einst als „Übergangslösung“ vom Architekten Otto Bartning entworfen wurden. Wären nicht auch die Markuskirche oder die Apostelkirche aus Ihrer Sicht schützenswert?
Es kann niemand ernsthaft auf die Idee kommen, einen so wichtigen Bau wie die Apostelkirche abreißen zu wollen. Die Gemeinde und ihr Presbyterium zeigten sich besonders mutig, als sie 1911 einen Architektenwettbewerb ausschrieben, der sich vom historistischen Kirchenbau bewusst absetzte. In Frohnhausen wollte die Gemeinde etwas Neues und Innovatives schaffen und holte sich dafür den bedeutenden Kirchenspezialisten Professor Friedrich Pützer aus Darmstadt mit ins Boot. Die Kirchbaukommission machte unter Anleitung von Pützer viele Vorgaben, die so geballt aus damaliger Sicht revolutionär waren: Man wünschte sich einen liturgisch hoch modernen, funktionalen Einheitsraum nach den Vorgaben des Wiesbadener Programms. Dass man dabei auf einen Mittelgang verzichtete und die äußeren Banksegmente abwinkelte, war ungewöhnlich. Für das Äußere wollte die Gemeinde einen Gruppenbau nach amerikanischem Vorbild haben, also alle Gebäude unter einem Dach vereinen. Auch dieses Konzept war im Rheinland eine Besonderheit. Für die Außenfassaden waren Kieselputz und Begrünung vorgesehen. Größten Wert legte man auf die städtebauliche Qualität des Entwurfs, die bis heute zu überzeugen weiß. Erstmals in Essen wurde für eine Kirche „ein vom Städtebaulichen ausgehender Entwurf als lokale Dominante“ (Eckehard Sons) geschaffen. Nicht umsonst ist die Kirche so etwas wie ein Wahrzeichen für den einstigen Krupp-Stadtteil Frohnhausen. Die Firma und Familie Krupp unterstützte das Bauvorhaben 1913 in vielfältiger Weise. Als Monument der Krupp-Geschichte ist die Apostelkirche übrigens auch Station auf der Route der Industriekultur. Auf das Jugendstilzentrum Darmstadt verweist nicht nur die Mitwirkung von Friedrich Pützer. Künstler, die der Mathildenhöhe nahe standen, waren an der Ausstattung beteiligt. Es ist sicher kaum übertrieben zu sagen, dass die Apostelkirche „Darmstädter Architektur“ ist. Ohne die künstlerischen Impulse aus Hessen wäre ein solch zukunftsweisendes Gebäude kaum möglich geworden. Die Apostelkirche wurde zur Entstehungszeit weit über Essen hinaus wahrgenommen und hat andere Bauten beeinflusst. Ohne Zweifel gehört die Kirche zu den wichtigsten Bauten der Reformarchitektur in Essen.

Was schätzen Sie an der Apostelkirche besonders?
Nehmen wir Bartnings Notkirche hinzu, so stehen hier gleich zwei wichtige Zeugnisse der Architektur-Moderne direkt nebeneinander. Man kann Beginn und Entwicklung der Moderne im Kirchenbau im direkten Vergleich erleben. Das hat Seltenheitswert. Als Nutzer schätze ich das geniale Raumkonzept. Ich kann immer noch spüren, dass hier eine Bauaufgabe mit Bravour gelöst wurde. Alle Gottesdienstbesucherinnen und -besucher können gleich gut sehen. Kein Pfeiler versperrt die Sicht. Mit einer Faltwand kann der Raum vergrößert werden, z. B. am Heiligen Abend. Das Raumkonzept von 1913 war so überzeugend, dass man sich beim Nachkriegswiederaufbau der Kirche penibel an die Anordnung der Kirchenbänke, der Kanzel und des Abendmahltisches hielt. Aber ich sehe noch einen dritten Aspekt: Das Apostelzentrum war immer ein Ort, an dem die Kirche mit beiden Beinen mitten in der Welt steht. Hier gab und gibt es Konzerte, Theater, Friedensgebete und politische Diskussionsveranstaltungen. Die offene Jugendarbeit wurde hier quasi erfunden und wirkt bis heute weit über den Stadtteil hinaus. Als „verlässlich offene“ Kirche mit dem Café Forum bietet die Apostelkirche ein Begegnungsangebot für alle Menschen, das mit viel ehrenamtlichem Herzblut betrieben wird. Zudem hat sich hier in den letzten Jahrzehnten ein hochkarätiges Zentrum für zeitgenössische Kunst etabliert. In Essen gibt es kaum etwas Vergleichbares so konzentriert an einem Ort.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Pläne des Presbyteriums noch zu verhindern?
Ganz sicher ist da noch nicht das letzte Wort gesprochen. Ich hoffe natürlich, dass sich im kreativen Austausch mit der Gemeinde und allen Fachleuten eine vernünftige Lösung finden wird, mit der alle zufrieden sind.

Versammlung

Am 6. Oktober lädt die Evangelische Kirchengemeinde Essen-Frohnhausen um 13 Uhr zu einer Gemeindeversammlung in der Markuskirche, Postreitweg 84, ein.

Kommentar: Erschreckend phantasielos

In anderen Kirchengemeinden des Landes kämpft das örtliche Presbyterium geschlossen wie ein Löwe um den Erhalt seiner traditionsreichen Kirche, mit der Menschen aller Generationen ganz eng verbunden sind.
Doch in Frohnhausen ist das offensichtlich anders: Hier hängt das Presbyterium mal eben einen unscheinbaren Zettel in den Schaukasten und verkündet ernsthaft mal so nebenbei das Ende der Markuskirche und der Apostelkirche. Ich höre schon die Abrissbagger kommen.
Mal im Ernst: Es ist doch erschreckend phantasielos, die Gemeinde "für die Zukunft stark zu machen", indem einfach das Aus der beiden Kirchen beschlossen wird.
Ich frage mich: Dürfen die das überhaupt? Welche Macht hat eigentlich ein Presbyterium, um sich so weit mit kruden Ideen aus dem Fenster zu lehnen?
Bislang dachte ich noch, dass ein Presbyterium so etwas wie ein Vorstand ist, der nur die Interessen seiner Mitglieder umsetzen soll. Und sonst nichts.
Da mag es dann gerne eine muntere Diskussion in der Gemeinde geben: darüber wie ein Erhalt der Kirchen gelingen mag, ob Teile davon vielleicht vermietet und anders genutzt werden können.
Doch die Entscheidung darüber muss die Gesamtheit der Gläubigen fällen. Und nicht nur einige "Auserwählte", die sich hier zu Höherem berufen fühlen. Und eindeutig nicht die Grenzen ihres Amtes erkennen.
Auch die Notkirche als "zentrale Predigtstelle" nutzen zu wollen, ist mehr als schräg. Sollen zum Weihnachtsgottesdienst dann externe Räume angemietet werden? Oder wo sollen all die noch verbliebenen Menschen dann den Gottesdienst feiern?
Die Gemeindeversammlung am 6. Oktober sollte dringend dazu genutzt werden, die vorliegenden Pläne ganz schnell wieder in der Schublade verschwinden zu lassen. Um dann echte Lösungen zu finden. Und dem "Vorstand" mal eine klare Ansage zu machen.

Autor:

Frank Blum aus Essen-Süd

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