Robert Welzel: Mit der Heimatgeschichte eng verbunden
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- Unterwegs in Sachen Heimatgeschichte: Robert Welzel (49) aus Frohnhausen.
- Foto: Sunhild Welzel
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Robert Welzel (49) ist mit dem Stadtteil Frohnhausen eng verbunden. Als Heimatforscher kennt er die Geschichte des Stadtteils wie kein anderer und schafft es seit vielen Jahren, die Menschen mit historischen Stadtteilspaziergängen - nicht nur in Frohnhausen - für die spannende Vergangenheit der Stadt Essen zu begeistern. In wenigen Wochen, am 8. November, erscheint sein neues Buch „Essener Streifzügen 3 - Aufbruch zum Jugendstil“ im Essener Klartext Verlag.
Wann wurde bei Ihnen das Interesse für die Geschichte Ihrer Heimatstadt geweckt?
Das ist lange her. Meine Oma war da sicher nicht ganz unschuldig dran. Sie stammte aus Berlin und ist erst in den 1960er Jahren nach Essen gezogen, genauer nach Frohnhausen. Für ihre neue Heimatstadt hat sie sich sehr interessiert und ist mit mir kleinem Knirps zum Beispiel in der Domschatzkammer gewesen. Den Abriss des alten Essener Rathauses hat sie sehr bedauert. Später habe ich von meinen Eltern Bücher mit historischen Ansichten von Essen zum Geburtstag geschenkt bekommen. Verfasser war der leider schon verstorbene Heimatforscher Hugo Rieth. Die alten Fotografien konnte ich mir stundenlang ansehen. Es war faszinierend sich vorzustellen, wie es in einer bestimmten Straße oder auf einem bestimmten Platz früher ausgesehen hat. Diese Neugierde ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. 1988 war ich dann Preisträger bei einem Schülerwettbewerb des Kommunalverbandes Ruhrgebiet für das Buch „Türme, Tümpel, Abenteuer“. Ich kam ins Buch, in die Zeitung, ins Radio und durfte beim Duisburger Hafenkonzert über meinen Beitrag zur Isenburg berichten. Den ersten Diavortrag habe ich 1983 gehalten. Meine Vorträge über Frohnhausen, über die Kluse, über „Essen im 18. Jahrhundert“ und über die Gruga habe ich dann noch als Schüler produziert und vor allem in Kirchengemeinden vorgeführt.
Die Epoche des Jugendstils an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hat es Ihnen besonders angetan. Warum?
Als Mitglied im VHS-Kurs Frohnhauser Geschichte wurden mir Frohnhausen, seine Geschichte und sein Ortsbild sehr vertraut. An den damals noch überwiegend rußgeschwärzten Stuckfassaden gab es Schätze zu entdecken, darunter sehr vieles, was dem Jugendstil zuzurechnen ist. Es lohnte sich, nach oben zu schauen und den provokanten Humor der Stuckarbeiten auf sich wirken zu lassen. Da tauchten Pflanzen, Frauengesichter oder hässliche Fratzen auf. Allein in Frohnhausen gibt es noch über 500 gut erhaltene Stuckfassaden der Gründerzeit und des Jugendstils. Im Laufe der Zeit habe ich auch alle anderen Stadtteile erwandert und mich intensiver mit den Motiven und der Baugeschichte der Häuser befasst. Für den Historischen Verein für Stadt und Stift Essen durfte ich in den Essener Beiträgen gleich drei größere Aufsätze zum Thema veröffentlichen. Am umfangsreichsten ist meine Arbeit über die Bauunternehmer, die man auch als Essener „Häuserkönige“ bezeichnen kann. Auf ihren Spuren habe ich die Hausakten von über 700 nicht mehr erhaltenen Wohnhäusern ausgewertet. Viele Erkenntnisse sind in die „Essener Streifzüge 2 – Von Haus zu Haus durch neun Jahrhunderte“ eingeflossen, ein Stadtführer auf den Spuren des Wohnens.
Sie haben mit den Jahren ein stattliches Archiv aufbauen können. Wie viele historische Dokumente und Fotos umfasst es?
Eine Zählung vorzunehmen, würde jetzt viel Zeit beanspruchen. Neben meiner eigenen Dokumentation, also der Erfassung von Wohnhäusern, Kirchen, Schulen u.s.w., habe ich viele historische Ansichtskarten gesammelt. Auf den Karten sind die Schokoladenseiten zu sehen, auch die Straßen, Plätze und Kirchen von Frohnhausen. Das Viertel rund um den Frohnhauser Platz und die Apostelkirche war ein mustergültiges Arbeiterquartier mit viel Grün, das von Robert Schmidt gestaltet und auf den damaligen Städtebauausstellungen bewundert wurde. Eine vergleichbare Aufmerksamkeit fanden der Rüttenscheider Haumannshof, das Moltkeviertel und natürlich die Margarethenhöhe. Außer meiner eigenen Sammlung betreue ich noch das Archiv der Frohnhauser Apostelkirche, in dem Dokumente zur Gemeinde- und Stadtteilgeschichte gesammelt werden.
Nicht nur im Stadtteil Frohnhausen sind Sie unterwegs. Welche Stadtteile in Essen finden Sie aus Sicht des Heimatforschers besonders spannend?
Essens und Werdens mittelalterliche Kirchen und Kirchenschätze sind natürlich einzigartig! Die Margarethenhöhe von Georg Metzendorf ist etwas ganz besonderes, ebenso der Grugapark, für den ich eine Jahreskarte habe. Wenn man genau hinschaut, ist auch die Essener Innenstadt ein echter Fundus: Die Alte Synagoge, das Deutschlandhaus oder die Lichtburg, hier gibt es tolle Architektur zu besichtigen. Die Vielfalt der Essener Stadtteile gehört zu den besonderen Stärken der Stadt. Wer liebt nicht die behäbigen Fachwerkgassen in Kettwig oder Werden, das schöne Ruhrtal mit seinen Wandermöglichkeiten oder die idyllischen Waldtäler und den Schlosspark in und rund um Borbeck? Wer ihn noch nicht kennt, sollte auch einmal den Altenessener Kaiser-Wilhelm-Park oder die Zechensiedlung Matthias Stinnes in Karnap besuchen. Wenn es um die Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts geht, dann empfehle ich neben Frohnhausen vor allem Rüttenscheid, Kray, Katernberg, Steele, Kupferdreh oder das Elting-Viertel nördlich des Viehofer Platzes. Zuhause fühle ich mich in der ganzen Stadt. Essen besitzt ein reiches kulturelles Erbe, ohne sich dessen immer bewusst zu sein. Eine solche Bandbreite, Highlights von der Ottonik des frühen Mittelalters bis zum Weltkulturerbe Zollverein, gibt es nicht überall und darauf können wir Essener stolz sein.
Um was wird es in Ihrem neuen Buch „Essener Streifzügen 3 – Aufbruch zum Jugendstil“ gehen?
Erst einmal bin ich sehr dankbar, dass mir der Historische Verein für Stadt und Stift Essen in Kooperation mit der Stadt Essen und unterstützt von der GENO BANK ESSEN auch noch dieses dritte Buchprojekt ermöglicht. Es erscheint rechtzeitig zum 100. Geburtstag der Essener Volkshochschule, der im kommenden Jahr groß gefeiert wird. In diesem Buch steckt viel Herzblut. Auf jeden Fall wird es eine sehr bildgewaltige Publikation. Es gibt hinreißend schöne Jugendstilkunstwerke in Essen, die man hier einmal gebündelt vor sich sieht. Zahlreiche historische Ansichten zeigen, dass es früher noch viel mehr Highlights des Jugendstils gab. Aber der Jugendstil war eine schnelllebige Modeerscheinung. So sind vor allem die Stuckfassaden erhalten geblieben. Essen war niemals ein Zentrum des Jugendstils, die hier tätigen Architekten und Künstler zeigten sich aber beeindruckt von der internationalen Entwicklung und haben sich die neuen Formen und Ideen zu Eigen gemacht. Echte Geheimtipps in Sachen Jugendstil sind die Essener Architekten Ernst Knoblauch, Karl Nordmann, Oskar Kunhenn und Edmund Körner. Nicht zuletzt haben viele heute nicht mehr bekannte Stuckateure und Bildhauer das Essener Stadtbild bereichert. Gebäude wie das „Haus mit den Ginkgoblättern“ an der Aachener Straße in Frohnhausen sind echte „Revoluzzer“, die zu ihrer Entstehungszeit mit allen Traditionen radikal brachen. Wie das Buch zudem zeigt, haben auch herausragende Jugendstilkünstler in Essen gewirkt, bzw. ihre Werke haben ihren Weg in diese Stadt gefunden: Hermann Obrist, der das berühmte „Peitschenschlag-Motiv“ erfunden haben soll, der schwedische Künstlers Alv Wallander, der Jugendstilmaler Fritz Erler, der Berliner Bildhauer Hugo Lederer und viele andere. Der Minne-Brunnen im Museum Folkwang gehört zu den bekanntesten Jugendstilkunstwerken überhaupt. Das Besondere am Essener Jugendstil ist, dass hier schon früher als anderswo über das rein Dekorative hinaus gedacht wurde. Es ging immer auch darum, die Wohn- und Lebensbedingungen der Menschen im Industrierevier zu verbessern. Von den vielen guten Ideen, die damals entwickelt wurden, profitieren wir noch heute, etwa vom vielen Grün in der Stadt.
Welche weiteren Bücher zur Stadtgeschichte sind von Ihnen aktuell erhältlich?
Der erste Band der Streifzüge ist leider schon ausverkauft. Die „Streifzüge 2 – Von Haus zu Haus durch neun Jahrhunderte“ sind noch zu haben, ebenso der Führer „Friedhöfe in Essen Bredeney“, an dem ich an der Seite von Hellmut Holle mitgewirkt habe. Die „Essener Beiträge“ gibt es beim Historischen Verein oder beim Klartext-Verlag.
Wie bereiten Sie sich auf die historischen Stadtteilspaziergänge vor, die regelmäßig von Ihnen angeboten werden?
Vorab habe ich selbstverständlich schon eine Vorstellung davon, welche Gebäude ich gerne zeigen möchte. Ich überlege mir eine mögliche Route und erprobe sie. Wenn ich dann schon ganz außer Puste bin, ist der Weg vielleicht zu lang oder zu anstrengend. Viel Vorbereitungszeit entfällt auf die Recherche. Oft sind meine eigenen Forschungsergebnisse Grundlage, viele hundert Stunden, die ich in der Vergangenheit schon im Essener Stadtarchiv oder in anderen Archiven zugebracht habe. Sie glauben gar nicht, wie aufregend es ist, wenn man eine Entdeckung macht. Und wie schön, wenn man das erlangte Wissen weiter geben kann. Die meisten Führungen biete ich für die Mitglieder des Kunstrings Folkwang und des Historischen Vereins an, es gibt aber auch immer wieder öffentliche Termine, wie etwa für die „Fundstücke im Essener Westen“ der VHS.
Was war das ungewöhnlichste Erlebnis auf einer Ihrer Stadtteilspaziergänge?
Wenn Menschen Teile ihrer Heimatstadt kennenlernen, in denen sie noch nie gewesen sind, ist das wie eine Expedition ins Unbekannte. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind erstaunt, wie schön es in Altendorf, Karnap oder Katernberg ist. Gezielt lenke ich den Blick auf die Architektur und ihren künstlerischen Wert. Als ich vor einigen Jahren am Karnaper Markt ein Schulgebäude aus den späten 1920er Jahren schwärmend vorstellte, hat sich ein Jugendlicher eingemischt: Was erzählt der Mensch da eigentlich? Diese Schule ist die absolute Hölle! Es handelte sich um die Hauptschule Karnap, die bald darauf geschlossen wurde. Wie dies Beispiel zeigt, steht die Baukunst mitten im Leben. Sie ist nicht nur Geschichte und Erinnerung, sondern auch Gegenwart. Meine Aufgabe sehe ich darin, die Aufmerksamkeit auf die schöpferische Idee zu richten, die sich hinter den Gebäuden verbirgt und die wir im Alltag kaum noch wahrnehmen.
An welchen historischen Stadtteilspaziergängen können Interessierte in nächster Zeit teilnehmen?
Am 21. September geht es mit den „Fundstücken im Essener Westen“ in den Norden von Frohnhausen. Natürlich auf den Spuren des Jugendstils. Los geht es um 17 Uhr auf dem Genossenschaftsplatz. Über den „Aufbruch zum Jugendstil“ spreche ich am 8. November um 18 Uhr im Haus der Essener Geschichte. Veranstalter ist der Historische Verein. Zu beiden Veranstaltungen ist der Eintritt frei und jeder ist willkommen, ohne Anmeldung.
Was beschäftigt Sie, wenn Sie nicht gerade in Sachen Stadtgeschichte unterwegs sind?
Ein Leben ohne Architektur könnte ich mir kaum vorstellen. Architektur kann man am besten dreidimensional erleben und ich reise viel, um mir die Gebäude in anderen Städten und Ländern anzusehen. Ich liebe die Natur, höre gerne klassische Musik, lese mich kreuz und quer durch die Weltliteratur, befasse mich mit Philosophie und Theologie. Gott und Kirche haben für mich einen hohen Stellenwert. In Zeiten, in denen gesellschaftliche Normen und moralische Grundsätze ins Wanken geraten, haben wir Kirche nötiger denn je.
Zur Person:
- Robert Welzel lebt in Frohnhausen und arbeitet bei der Volkshochschule Essen.
- Diverse Veröffentlichungen zur Essener Architekturgeschichte (u. a. Essener Beiträge, Essener Streifzüge Bd. 1 und 2).
- Stadt- und architekturgeschichtliche Führungen (u. a. Kunstring Folkwang, Historischer Verein für Stadt und Stift Essen e. V.).
Autor:Frank Blum aus Essen-Süd |
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