"Ich schäme mich für meine Kirche": Ruhrbistum zieht erste Bilanz der Missbrauchsstudie
Schon vor einigen Wochen hatten Vorabberichte über Ergebnisse der katholischen Missbrauchsstudie („MHG-Studie“) für Aufsehen gesorgt. Aus ihnen ging nicht nur das riesige Ausmaß des sexuellen Missbrauchs in der Kirch hervor, sondern auch die Erkenntnis, dass sich in den letzten Jahren nichts Wesentliches gebessert hat.
Parallel zur Diskussion auf der Bischofsvollversammlung in Fulda hat der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer die Studie mit Blick auf das Ruhrbistum vorgestellt. „Ich schäme mich für meine Kirche und bin unendlich traurig“, sagte Pfeffer dazu.
„Ich schäme mich für meine Kirche"
Die Studie sei ein Dokument „für das dramatische Leid, das unsere Kirche als Organisation – vor allem durch Geistliche – den Opfern sexuellen Missbrauchs angetan hat“. Die Ergebnisse der bei der Bischofsvollversammlung in Fulda diskutierten Studie seien „erschütternd, weil sie das ungeheure Ausmaß des sexuellen Missbrauchs in unserer Kirche seit 1945 offen legen“, sagte Pfeffer.
Auch wenn in den vergangenen Jahren bereits viele Missbrauchsfälle bekannt geworden seien, so eröffne die umfassende MHG-Studie nun „einen schonungslosen Blick auf das furchtbare Leid unzähliger Menschen“. Pfeffer: „Gemeinsam mit Bischof Overbeck werden wir mit unseren Fachleuten konkrete Handlungsschritte erarbeiten, die sich als Konsequenz aus der Studie ergeben.“
Seine Trauer angesichts der Ergebnisse gelte in allererster Linie „den vielen Opfern, die oft ihr Leben lang an den Folgen sexuellen Missbrauchs zu leiden haben“, sagte Pfeffer. Es erfülle ihn jedoch auch „mit Fassungslosigkeit, wozu Menschen fähig sind und was in unserer Kirche möglich war und ist“. Zudem verstehe er den Zorn, der der Kirche seit Bekanntwerden erster Ergebnisse der Studie entgegen schlage: „Gerade in den vergangenen Jahrzehnten haben viele Katholiken insbesondere bei Themen der Sexualität mit den hohen moralischen Ansprüchen unserer Kirche gehadert. Nun wird deutlich, dass sich unter den Vertretern dieser hohen Ansprüche tiefste moralische Abgründe offenbaren“, so Pfeffer.
"Tiefste moralische Abgründe"
In der bundesweiten Untersuchung von Kleriker-Personalakten auf Missbrauchs-Hinweise, an der sich alle 27 deutschen Diözesen in unterschiedlicher Weise beteiligt haben, ist die Situation im Bistum Essen besonders intensiv untersucht worden. Das Ruhrbistum gehörte zu den zehn Diözesen, die die Forscher der MHG-Studie für einer Langzeituntersuchung aller Personalakten von Priestern und Diakonen zwischen den Jahren 1946 und 2014 ausgewählt haben. In den 17 anderen Bistümern umfasst der Untersuchungszeitraum die Jahre 2000 bis 2010.
Schon 2012 hatte das Ruhrbistum die Kölner Anwaltskanzlei Axis beauftragt, alle Personalakten von Priestern und Diakonen mit dem Ziel zu untersuchen, jegliche Anhaltspunkte auf gegebenenfalls in Betracht kommende sexuelle Missbrauchsfälle durch nicht verstorbene Kleriker ohne Anonymisierung zu dokumentieren. Auf die Ergebnisse der Untersuchung dieser insgesamt 1549 Personalakten konnten nun auch die MHG-Forscher zugreifen.
In ihrer Auswertung haben die Forscher für das Bistum Essen im untersuchten Zeitraum Informationen zu insgesamt 85 Opfern von sexuellen Übergriffen durch Kleriker gefunden. 72 dieser Opfer seien männlich, 13 weiblich, heißt es in der Studie. Diesen Opfern stehen 19 Priester gegenüber, die wegen sexuellen Missbrauchs juristisch verurteilt worden sein: sieben von ihnen straf- und kirchenrechtlich, vier nur strafrechtlich und acht nur kirchenrechtlich. 41 weitere Priester sieht das Bistum Essen als Beschuldigte an, bei denen es ernstzunehmende Hinweise auf Missbrauchstaten gibt, die aber juristisch – zum Beispiel auf Grund von Todesfällen der Beschuldigten – nicht zu Verurteilungen geführt haben.
4,5 Prozent der Priester könnten Missbrauchstäter gewesen sein
Bezieht man diese Zahl von 60 wahrscheinlichen Tätern auf die Gesamtzahl der Priester im Bistum Essen seit 1958 ergibt sich ein theoretischer Anteil von 4,5 Prozent aller lebenden und verstorbenen Diözesan- und Ordenspriester im Bistum Essen, die aller Wahrscheinlichkeit nach Missbrauchstäter waren.
Als Anerkennung des Leids hat das Ruhrbistum Missbrauchsopfern von Priestern bislang insgesamt 262.400 Euro gezahlt. Abhängig vom jeweiligen Fall lag die Höhe der individuellen Zahlungen zwischen 1000 und 15.000 Euro.
Neben der bestmöglichen Aufklärung von Missbrauchsfällen durch eine Verfahrensordnung, die in jedem Fall die Einschaltung der Staatsanwaltschaft vorsieht, und der intensiven historischen Aufarbeitung habe das Bistum Essen auch durch den Aufbau einer strukturierten Präventionsarbeit auf die Missbrauchsfälle reagiert, erläuterte Pfeffer. Insgesamt fast 2000 Personen in Diensten des Bistums wurden mittlerweile entsprechend geschult, alle Kleriker im aktiven Dienst sowie Bistums-Mitarbeiter in leitender Verantwortung hätten spezielle Intensiv-Schulungen erhalten, zudem haben zahlreiche Teilnehmer bereits die routinemäßigen Vertiefungsschulungen besucht, zu denen die Beschäftigten mindestens alle fünf Jahre eingeladen werden. Ebenfalls alle fünf Jahre müssen Bistums-Mitarbeiter zudem ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. „Auch im Bereich der Prävention werden wir in den kommenden Wochen überprüfen, ob wir mit Blick auf die detaillierten Ergebnisse der MHG-Studie unser bisheriges Konzept anpassen müssen“, kündigte Generalvikar Pfeffer an.
Autor:Lokalkompass Essen-Süd aus Essen-Süd |
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