Die Lust auf Kaffeefahrten scheint ungebrochen.
Fünf Millionen Deutsche nehmen jährlich an einer Kaffeefahrt teil. Nicht selten werden die Teilnehmer Opfer von Betrügern. (WAZ Freitag, 31. August 2012 – NRW will Abzocke bei Kaffeefahrten stoppen)
Mein Mann und ich haben 1968 das vermeintlich kostenlose Angebot für einen Ausflug inklusive Kaffee, Kuchen und Abendessen, ebenfalls genutzt, um einen schönen Tag in ländlicher Idylle zu verbringen. Anscheinend hat sich seither nicht viel geändert.
Auf einem Werbeausflug kann man was erleben
(WAZ 9.November 1968 U.Hickmann)
Eine einmalig schöne Ausflugsreise, unterhaltsame Darbietungen, eine große Kaffeetafel, ein reichhaltiges Abendessen, eine Ausstellung von Teppichen und praktischen Tipps versprach die Ankündigung. Vielleicht für eine verregneten Sonntagnachmittag gerade das Richtige, dachten wir uns.
Auf jeden Teller liegen zwei Stückchen Kuchen, eins davon mit Sahne, es hätte größer sein können. Aber für ganze 4,50DM, was soll`s.
Endlich ist es so weit, gesättigt und zufrieden warten wir auf die Ausführungen des jungen Mannes,, der nun im Scheinwerferlicht und mit einem Mikrophon am Jackett die Bühne betritt. Er fordert die meist aus älteren Damen bestehenden Anwesenden auf, ihn beim Vornamen anzureden. R heiße Klaus. Dann fragt er in Kaspertheater-Manier: „Wie heiße ich?“ Und im Chor schallt es zurück: „Klaus.“
Klaus präsentiert uns einen elektrischen Heizofen. Er lässt durchblicken, dass das Gerät einen Nachteil habe, und das sei der nicht geringe Preis. Es sei in wenigen Monaten im Einzelhandel zu einem Preis von 480 DM zu erhalten. Bei ihm koste es jedoch 265 DM. Das Publikum gerührt von so viel Preiswürdigkeit, übersieht, dass der Ofen 100 DM zu teuer ist.
Gerät Nr. 2 ist eine sogenannte Waschkugel, drehbar in einem Ständer gelagert. Nach etwa zwei Minuten Waschvorführung kann unser Künstler der staunenden Umwelt einige blütenweiße Textilien vorzeigen. Die Waschkugel habe ein Fassungsvermögen von 5 kg. Trockenwäsche, werden wir belehrt. Er vermeidet jedoch sorgsam, 5 kg hineinzutun. Die Waschkugel koste in der Schweiz 350 DM, wir aber seien die Glücklichen, die sie für 235 DM erwerben könnten. Es scheint jedoch nicht jeder mit der Waschkugel umgehen zu können, denn eine Nachbarin zur Linken wundert sich: „Seltsam, ich habe genau dieselbe, aber meine Wäsche wird davon nicht so weiß.“ Sie übersieht, dass sie zu Hause keine Hochleistungsscheinwerfer auf ihre gereinigte Wäsche richtet, wie es hier der Fall ist.
Nach dieser Demonstration gesellt sich ein Gerät dazu, das zwar wie eine Schleuder aussieht, aber keine im üblichen Sinne sein soll. Es hat die lobenswerte Eigenschaft, die Wäsche zu spülen und anschließend schrankfertig zu trocknen. Es ist für den beachtlichen Preis von 278 DM zu haben.
Anschließend werden die drei gepriesenen Objekte dekorativ auf dem Tisch aufgebaut. Wir erfahren, es seien nur 18 Anteilscheine vorhanden, und diejenigen, die auf ein Zeichen von ihm zuerst die Hand erhöben, bekämen einen Anteilschein. Auf sein Zeichen gehen tatsächlich einige Hände in die Höhe Ich blicke in die Runde und zähle neun hochgereckte Arme. Der clevere junge Mann ganz vorne verkündet, dass noch zwei Anteilscheine übrig sind. 18 minus neun gleich zwei: Verkaufspsychologen-Arithmetik.
Nach einer guten halben Stunde sind die Geschäfte getätigt. Nun werden die ausgehängten Teppiche einzeln angestrahlt um ihre Wirkung zu unterstreichen. Die Preise werden genannt, und wer will, kann sich sofort eine Perser mit nach Hause nehmen. Einige entscheidungsfreudige Naturen, offensichtlich Teppichkenner von Format, machen von dem Angebot Gebrauch.
Das Abendessen wird serviert: Eine Scheibe Brot mit sechs Scheiben transparenter Discount-Jagdwurst, einem halben Blatt Salat und einem Viertel Tomate. Ich glaube, alle dachten das gleiche wie mein Mann und ich, dass es nach dem lukullischen Abendessen heimwärts geht. Aber die Kellnerin belehrt uns eines Besseren: „ Bis 19.30 Uhr halten wir Sie hier.“
Der junge Mann demonstriert uns alsbald eine elektrische Heizdecke. Heute werde sie letztmalig auf einer Vorführung gezeigt, dann komme sie in den Handel. Er erklärt uns die Vorzüge derselben. Die Decke soll 199 DM kosten. Das Geschäft kommt nicht so recht in Gang. Er sagt: „Diejenige Dame, die bei drei den Arm zuerst hoch hat, bekommt die Decke unter 199 DM. Ein Kollege flüstert ihr den Preis ins Ohr, und dann kann sie sagen, ob sie die Decke nehmen will oder nicht. Er zählt dreimal bis drei. Da, endlich zögernd hebt sich ein Arm, und der Bann ist gebrochen. Es folgen noch einige nach.
Dann wird uns unser Reiseleiter angekündigt, der auch gleichzeitig Kunden-Fachberater sei. Er bringt einen Karton mit, in dem, wie er sagt, eine Überraschung für uns sei. Er entnimmt dem Karton eine Flasche und zeigt sie hoch. Es ist ein Kräuteröl für 10 DM. Alte Mütterchen, die sonst jeden Pfennig beim Gemüsehändler umdrehen, greifen herzhaft zu. Kein Wunder, denn wie man staunend hört, bringt dieses Mittel sogar bei Schädelbasisbruch Linderung.
Anschließend richtet der Ölmensch an die neugewonnenen Heizöfen –und Waschkugelkäufer eine Erklärung mit folgendem abenteuerlichen Inhalt: Es sei für die Firmen zu schwierig, die Geräte per Nachnahme zu schicken, und sie möchten doch so nett sein, im Voraus zu bezahlen, am nächsten Tag an der gleichen Stelle, von der wir mit dem Bus abgefahren seien.
Das Geschäft für den Tag war gemacht. Auf der Rückfahrt begleitet uns wieder der nette Reiseleier, der sich neu mit Witzen eingedeckt hat. Mit Erfolg fordert er die Businsassen auf, zum Schluss noch das schöne Lied zu singen: „So ein Tag so wunderschön wie heute …“
Autor:Ursula Hickmann aus Essen-Süd |
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