Tatort Schule: Von der Rauferei bis zum Cybermobbing
Hat Gewaltbereitschaft an Schulen zugenommen oder hat sie sich verändert? Fest steht: In Zeiten sozialer Netzwerke erhält so manche Beleidigung eine völlig neue Dimension. „Cybermobbing“ steht beinahe täglich auf Agenda des Jugendkontaktbeamten der Polizei.
Prügeleien auf dem Schulhof sind keine Seltenheit. Oft gibt es Schüler, die von anderen regelrecht als Opfer auserkoren werden. An einer Essener Realschule hat ein Vater (Name der Redaktion bekannt) sein Kind nun sogar von der Schule genommen, weil er sich von Lehrern und der Schulleitung missverstanden fühlte.
Grund genug für die STADTSPIEGEL-Redaktion, einmal nachzuhaken, was in Essen im Falle eines Falles getan wird, um Schüler, Eltern aber auch Lehrer im Ernstfall zu unterstützen.
Oftmals fängt alles ganz harmlos an, mit einer typischen Rauferei auf dem Schulhof. Die Grenzen sind dann fließend - das kann schon an Grundschulen beginnen. Was ist bloßes Kräftemessen, wann wird der Fall ernst. Auch für Pädagogen oftmals schwer zu entscheiden.
Michael Ebeler ist einer von insgesamt drei Jugendkontaktbeamten der Essener Polizei, die regelmäßig Präsenz an Schulen zeigen. Er kennt sich aus mit den Problemen der Schüler - und damit verbunden auch mit denen der Eltern und Lehrer.
Nahezu täglich ist er vor Ort und setzt sich mit Beleidigungen, aber auch tätlichen Angriffen und Cybermobbing-Fällen auseinander.
Der Kriminalhauptkommissar (KHK) grenzt ab: „Raufen oder Schubsen gehört zur Entwicklung dazu, eine gewisse Schwelle sollte dabei aber nicht überschritten werden.“ Wenn beispielsweise gleich mehrere Kinder auf ein Opfer einwirken, wird es schnell kritisch. Hier sollte - bereits an der Grundschule - aufbereitet werden: Wie fühlt das Opfer sich, um was für einen Strafbestand handelt es sich hier und welche Konsequenzen hat das.
Informieren, bevor
etwas passiert
Das Kriminalkommissariat Kriminalprävention/ Opferschutz - kurz KKKP/O genannt - dem Ebeler als Jugendkontaktbeamter angehört, setzt vor allem auf Prävention. „Natürlich ist es immer besser zu informieren, bevor etwas passiert.“ Mit seinen Kollegen hält er daher regelmäßig Vorträge an Schulen.
Sieht er eine Zunahme des Aggressionspotentials? Die Frage beantwortet Ebeler spontan mit „ja“. „Gewaltdelikte sind angestiegen, das mag am Einfluss durch die Medien liegen, an Erziehungsdefiziten seitens der Eltern, an fehlendem Regelbewusstsein“, mutmaßt der Kommissar.
Vertreter des Jugendamtes und der Polizei stehen im regelmäßigen Austausch mit den Schulen und werden von diesen auch gezielt mit ins Boot geholt, wenn es mal brennt. „Wir bieten monatliche Beratungsstunden für Schüler, Lehrer und Eltern.
Wichtig ist es vor allem auch, den Schülern klar zu machen, was das für Straftaten sind, die sie begehen: Beleidigung, Nötigung, Verleumdung, Bedrohung - und die Folgen daraus. Hier greifen erzieherische Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz. Das können Sozialstunden sein, aber auch Wochenarrest bis hin zur Jugendstrafe im Extremfall“, informiert Ebeler. Strafmündig sind die Jugendlichen vor dem Gesetz ab 14 Jahren.
Ein neues Themenfeld, mit dem Ebeler quasi täglich zu tun hat, ist das Cybermobbing. In den sozialen Netzwerken wie Facebook und Co. wird täglich diskriminiert und auch dort drohen Strafen. Immer früher sind Kinder im Besitz eines Handys und sollten von ihren Eltern möglichst früh darüber informiert werden, dass es nicht klug ist, sorglos jede Art von Foto in den Äther zu senden.
Wissen die örtlichen Grundschulen um die Hilfestellung seitens der Jugendkontaktbeamten? Ursula Dierkes, Direktorin der Grundschule am Krausen Bäumchen, musste deren „Soforthilfe“ bisher noch nicht in Anspruch nehmen: „Wir bemühen uns um eine kinderfreundliche Gestaltung des Unterrichts und in den Pausen geben wir die Möglichkeit zu viel Bewegung.“
Das Gespräch mit
den Eltern suchen
Exkaliert schließlich doch mal ein Streit, gibt es Absprachen unter den Kollegen, wie das Problem zu lösen ist. „Oft hilft es schon, die Kinder aus der Situation herauszuholen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich wieder zu beruhigen“, erklärt Dierkes, „und natürlich hat es sich bewährt, auch das Gespräch mit den Eltern zu suchen.“
Anthea Kuritz-Kaiser von der Schulberatungsstelle der Stadt setzt in der jeweiligen Situation im Unterricht an. Wird sie „eingeschaltet“, absolviert sie zunächst einmal Unterrichtsbesuche, um das Verhalten der Kinder genau beurteilen zu können. Denn ganz wichtig ist es ihr, den jeweiligen Einzelfall zu betrachten.
„Jedes Kind schleppt sein Päckchen mit sich herum und es sind immer ganz viele Räder, die ineinandergreifen.“
Zusammen mit ihren Kollegen will Kuritz-Kaiser Kinder dabei unterstützen, glücklich lernen zu können. Dabei setzt der schulpsychologische Dienst auf drei Bereiche: Prävention, Intervention und Begleitung.
Immer den Einzelfall
genau betrachten
Bei der Prävention wird ermittelt, wo Lehrer Kinder fordern und fördern können. Auch hier ist immer der Einzelfall von Bedeutung: „So schaue ich mir zum Beispiel beim Thema ‚Mobbing‘ in einer Klasse auch immer das Kollegium an, ob es dort eventuell ebenfalls Spannungen gibt“, erklärt die Psychologin. Sie weiß genau: „Sobald Menschen zusammen kommen, gibt es immer Machtspielchen - einer will immer das Alphatier sein. An einer Schule ist es aber wichtig, den Schülern eine Atmosphäre der Achtung und des Respekts vorzuleben.
Im Bereich Intervention findet dann die Fallberatung statt. Stört beispielsweise ein Kind pausenlos oder zeigt distanzloses Verhalten, sollte der Lehrer versuchen, die Stärken des Kindes hervorzuheben, den Blickkontakt zu verstärken und dem Kind so Sicherheit zu geben. „Das hilft vielen Kindern schon dabei, ruhiger zu werden“, erklärt Anthea Kuritz-Kaiser, die selbst Mutter von drei Kindern im Alter zwischen zwei und neun Jahren ist: „Unsere Beratung ist dabei so individuell wie auch die Kinder es sind.“
Selbstbewusstsein
der Kinder stärken
In Sachen mangelnden Selbstbewusstseins coacht die Schulpsychologin Kinder auch in ihrer Körpersprache. Eine aufrechte Haltung und ein fester Händedruck wirken oft kleine Wunder und lassen das Kind ganz andere Signale ausstrahlen. So kann Mobbing oft erst gar nicht entstehen.
Was aber tun, wenn im Einzelfall gar nichts mehr geht? „In schweren Fällen setzen wir uns alle an einen Tisch: Jugendamt, Polizei, Therapeuten, Lehrer ... und gemeinsam erarbeiten wir einen Handlungsplan.“ In Essen sei man untereinander gut vernetzt, betonen die Experten.
Sowohl Anthea Kuritz-Kaiser als auch KHK Michael Ebeler sind sich der Wichtigkeit ihrer Arbeit bewusst und freuen sich über jeden Erfolg: „Man bewegt etwas.“
So resümiert der Jugendkontaktbeamte nach fast 15 Jahren Tätigkeit: „Es ist in unserem Job natürlich schwer zu messen, was man verhindert hat, doch wir verzeichnen eine relativ geringe Zahl an Mehrfachtätern. Und wir werten es auch als Erfolg, wenn die Jugendlichen sich uns von sich aus anvertrauen.“
Anthea Kuritz-Kaiser fügt hinzu: „Wenn Kinder glücklich zur Schule gehen und Lehrer mit Freude unterrichten“, dann sei für sie die Welt in Ordnung.
Autor:Petra de Lanck aus Essen-Süd |
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