Wie erlebt die ältere Generation die letzten Wochen und Monate?
Pandemie persönlich – als Senior durch die Corona-Zeit
Besonders für ältere Menschen ist eine Infektion mit Covid-19 gefährlich - in der Altersgruppe zwischen 65 und 74 Jahren steigt die Infektionssterblichkeit bereits auf 2,2 Prozent an. „Die Zahlen für die noch höheren Altersgruppen sind eindeutig: Bei den 75- bis 84-Jährigen liegt die Sterblichkeit bei 7,3 Prozent – und bei denjenigen über 85 Jahren stirbt fast jeder Dritte. Das ist dann so viel wie bei den Pocken im Mittelalter“, stellte Virologe Christian Drosten erst Anfang Oktober klar. Wie gehen sie damit um die Essener Senioren? Wir haben nachgefragt…
VON JULIA COLMSEE
„Ach wissen Sie, mir tun die jungen Leute leid – für mich ist es nicht mehr so wichtig… ich habe mein Leben gelebt!“, meint Gisela Bartelt bescheiden. Und mit „junge Leute“ meint sie alle, die jünger sind als sie! „Mit 80 hat man ja noch ganz andere Träume als ich jetzt!“ Auf sage und schreibe 95 Jahre kann sie zurückblicken – aber etwas ähnliches wie 2020 war nicht dabei. Viel hat sie erlebt – die Hitler-Zeit, den II. Weltkrieg - ihre große Liebe! „Ich stamme ursprünglich von der Mosel – nur der Liebe wegen bin ich nach Essen gekommen!“ Die Seniorin lebt seit knapp zwei Jahren im Katholischen Altenpflegeheim St. Georg in Heisingen – allein – ihr Mann verstarb bereits 2008. Als im Frühjahr die erste Corona-Welle Deutschland erreichte änderte sich ihr Leben schlagartig. „Ich muss schon sagen, dass ich am Anfang auch viel geweint habe. Kein Besuch, nach Möglichkeit keine gemeinsamen Mahlzeiten, keine Aktivitäten hier im Haus… das war für mich wirklich schlimm!“ Sicherheit geht vor – das galt im Frühjahr genauso wie heute. „Wir haben hier im Haus mit ‚Klein-Quarantänen‘ gearbeitet – die Kontakte innerhalb des Hauses auf sechs Menschen begrenzt“, erklärt Dennis Küper, Leiter des Altenpflegeheims. Für 110 Bewohner, die zur Zeit in dem Haus am Fährenkotten leben, galt es von heute auf morgen neue Sicherheitsbestimmungen umzusetzen. „Wir wurden am Freitag in Kenntnis gesetzt und am Sonntag bereits kontrolliert. Aber ich denke, wir haben trotzdem alles gut umgesetzt.“
"Mir tun die jungen Leute leid!"
Für Giesela Bartelt eine schwierige Zeit. „Ich war immer sehr aktiv in meinem Leben – war berufstätig als Buchhalterin, habe über 30 Jahre Yoga gemacht und war Statistin am Aalto Theater – ich kann zwar nicht mehr so gut laufen… aber so gar nichts zu machen und nicht mehr andere Menschen um sich zu haben, das fand und finde ich schrecklich“, beschreibt die Seniorin traurig ihre Situation. „Ich weiß – es geht um unsere Sicherheit! Aber ich bin jetzt 95 Jahre alt – für mich ist das wirklich traurig! Aber Angst? Nein, die habe ich nicht!“
Traurig – so erlebte auch Bernd Niesmann, Leiter des ASB Zentrums 60plus in Steele, seine Besucher. „Traurig und enttäuscht, dass alle Angebote auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wurden. Aber jeder hat natürlich Verständnis gehabt!“ Um der drohenden Einsamkeit vorzubeugen, habe man sich in den Wochen des Lockdowns einiges einfallen lassen. „Zuerst wir haben versucht mit regelmäßigen Telefonanrufen in Kontakt zu bleiben. Dann haben wir angefangen Briefe zu schreiben, in denen Kurzgeschichten, Gedichte, Rätselaufgaben und Kontaktdaten von Unterstützungsangeboten enthalten waren. Außerdem haben wir in verschiedenen Stadtteilen in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen Geschenkpakete gepackt und an ältere Menschen verteilt. Und dann sind da noch unsere Balkonkonzerte, die wir organisiert haben. Mit Gitarre oder Kirmesorgel – das kam auch sehr gut an!“
Balkonkonzert mit der Kirmesorgel
Was aus seiner Sicht den Menschen am meisten zu schaffen gemacht hat, war, dass man sich nicht mehr sehen oder den eigenen Hobbys nachgehen konnte. „Vielen fehlte der direkte Kontakt. Auch die Ungewissheit war und ist ein Problem: Wie geht es weiter? Wie lange gelten die Beschränkungen? Und wie geht es danach weiter? Hinzu kommen Sorgen und Ängste, dass man sich anstecken könnte, oder aber Angehörige und Bekannte erkranken!“
Ähnliche Erfahrungen hat auch Gerd Maschun, Seniorenbeauftragter der Bezirksvertretung V, gemacht. Der 70jährige ist bereits seit fünf Jahren für die Belange der Senioren im Einsatz – kennt durch zahlreiche Treffen und Veranstaltungen viele Menschen der „Risikogruppe“. „Ich habe sehr viele Gespräche zu diesem Thema geführt – beinah alle per Telefon. So kann man wenigstens versuchen, gegen die Vereinsamung anzugehen.“ Die meisten Senioren seien traurig! „Beinah alle regelmäßigen Veranstaltungen finden nicht mehr statt – die Stadtteilspaziergänge oder auch regelmäßige Spieletreffs oder Kaffeerunden. Das sind wichtige Treffpunkte – da kommt man vor die Tür und trifft andere Menschen. Das sollte man nicht unterschätzen!“ Besonders in Erinnerung geblieben ist Maschun das Gespräch mit einer 80jährigen Dame aus Karnap. „Regelmäßig ist sie vor Corona mit ihrem Rollator an die frische Luft gegangen, hat ihre Einkäufe erledigt und ist über den Markt spaziert. Jetzt lassen sie ihre Kinder nicht mehr vor die Tür – aus Sorge natürlich, schon klar. Aber die Dame fühlt sich eingesperrt – sie war sehr verzweifelt – hat sich aber nicht nach Draußen getraut. Daran kann man auch zerbrechen!“
"Daran kann man zerbrechen!"
Eine spannende Idee hat Gerd Maschun noch. „Viele haben doch noch Hobbys, die man auch zu Hause ausüben kann – ich denke da an klassische Handarbeiten genauso wie Malen zum Beispiel. Setzt Euch hin – produziert was Schönes! Und wenn wir mit Corona fertig sind, dann machen wir mit all den schönen Dingen eine eigene Ausstellung und treffen uns dazu!“ Und wir berichten dann darüber – VERSPROCHEN!
Autor:Julia Colmsee aus Essen-Süd |
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