Burnout: Führungskräfte sind gefordert - Frühwarnindikatoren oft Fehlinterpretiert
Burnout – ein Syndrom, das per Definition (ICD10) keine Krankheit ist aber die Krankheitsstatistik zunehmend nach oben treibt. Was ist das für ein „Zustand“, der Führungskräfte verunsichert, Mitarbeiter beängstigt und Manager rechnen lässt? Woher kommt das Gefühl des Ausbrennens und was kann man dagegen tun?
Betraf es früher vor allem die helfenden Berufe, mehren sich heute die Beispiele prominenter und unbekannter Betroffener aus allen Schichten und Berufen.
Der Komiker Kurt Krömer, die ausgebrannten Sportler Sven Hannawald (Skispringer), Jan Frodeno (Triathlet) und Jan Simak (u.a. Bayer 04 Leverkusen) zählen genauso dazu wie das jüngste Beispiel: der Fußballer Mike Wunderlich. Im Sommer 2010 unterschrieb er beim FSV Frankfurt einen Profivertrag. Eine Karrierekurve steil bergauf mit fünf Toren in 28 Zweitliga-Spielen. Er galt schon als Hoffnungsträger, bis er im April 2011 krankheitsbedingt ausfiel. Körper und Psyche wollten nicht mehr: Burnout-Syndrom.
Keine Einzelfälle
Ludwig L. wollte anders sein als seine Lehrer damals. Spannend sollte sein Unterricht bleiben, mit Bezug zu Tagesnachrichten. Flexibel wollte er mit der Energie seiner Schüler gehen und viel Verständnis für deren Emotionen aufbringen. Das war vor 15 Jahren. Heute lebt er für seinen Oldtimer, wechselt zwischen drei Klausurarten und droht unaufmerksamen Schülern mit schlechten Noten.
Markus T. stand als aufstrebender Berater mit hohem Einfühlungsvermögen für den Typus Wertpapierverkäufer der Zukunft. Er kannte keine Arbeitszeiten, dafür jedes Fachjournal auswendig. Kollegen profitierten von seinem Wissen ebenso wie sein Chef von seinen Erträgen. Heute nutzt er sein Einfühlungsvermögen, um der nächsten unternehmensstrategischen Veränderung frühzeitig gewahr zu werden und bearbeitet Zahlungsaufträge in einer Konzerntochtergesellschaft.
Dirk Z. ist Führungskraft eines 60 Personen großen, überwiegend aus Frauen bestehenden Teams. Als er die Aufgabe übernahm, sollte seine Abteilung der Vorzeigebereich für Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden. Heute kennt er verschiedene Arten von Mobbing, diverse Perspektiven des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes und glaubt, dass Fairness nur ein theoretisches Konstrukt ist. Seine Überstunden führten zur Scheidung und seinen geplanten Vorzeigebereich muss er auflösen, da rechtliche Rahmenveränderungen diesen überflüssig machten.
Gewerkschaften und Krankenkassen warnen
Die Gewerkschaften und Krankenkassen weisen in ihren Jahresberichten immer häufiger auf das Risiko und die gestiegene Bedeutung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz hin.
Im Mai 2009 warnte Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, dass gut 20 Prozent der Polizisten in NRW längere Zeit krank seinen. Viele davon mit Burnout-Syndrom.
Fast jeder zehnte Fehltag ist auf psychische Belastungen zurückzuführen, veröffentlichte das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) im April 2011. Mit 1,8 Millionen Fehltagen hat sich die Zahl der Burnoutausfälle seit 2004 verneunfacht, heißt es im Versorgungsreport 2011 weiter.
Die DAK konnte bereits im Februar in ihrem Gesundheits-Report ähnliche Zahlen berichten. Hier fielen besonders die 15 bis 29 Jahre alten Versicherten auf. Bei jedem zehnten seien Beschwerden ohne organische Ursachen festzustellen.
Burnout - ein Syndrom der heutigen Zeit
Etwas zynisch, aufgrund der „brandaktuellen“ Erlebnisse in Japan, liest sich die Brockhaus-Definition1: „Burn out (engl.) der, -/-s, Kernenergietechnik: Durchbrennen von Reaktorbrennstäben oder Komponenten infolge zu geringer Kühlung (Kühlmittelausfall) oder zu hoher Wärmeerzeugung (unkontrollierte Kernspaltung).“
Die im hiesigen Kontext eher passende, wenngleich keineswegs weniger schmerzliche Erklärung des Begriffs „Burnout“ stammt dagegen schon aus 1974. Der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger beschreibt diesen als einen Zustand von tiefer körperlicher, emotionaler, geistiger und sozialer Erschöpfung mit unterschiedlichen Symptomen, die über einen längeren Zeitraum auftreten. Lang andauernde Überforderungen äußern sich oft mit Aversion, Fluchtgedanken, Zynismus, Negativismus, Gereiztheit und Schuldgefühlen.
Erklärungsversuche
Dieter Höfler, Beirat der Bridge Interim Management GmbH & Co. KG begründet den Anstieg der Burnout-Fälle mit dem in den letzten zwei Jahrzehnten massiv erhöhten der Druck auf Mitarbeiter und Führungskräfte. „Vor dem Hintergrund moderner Kommunikationssysteme wie Mobiltelefon und E-Mail wird dauernde Erreichbarkeit ermöglicht und erwartet. Die Ausrichtung vieler Unternehmen auf die Optimierung der Unternehmensgewinne hat dazu geführt, dass Erholungs- und Regenerationszeiten für Mitarbeiter quasi auf null heruntergefahren wurden. Führungskräfte, speziell der mittleren Ebene, sind dabei in einem besonderen Maße betroffen. Sie müssen die Vorgaben ihrer Vorgesetzten umsetzen […] und […] tragen die Verantwortung für die eigenen Mitarbeiter und sollen sie zu höchster Leistung motivieren. Zwangsläufig führt dieser doppelte Druck zu Überbelastung und Überforderung.“
Mit gestiegenen Anforderungen im Job, einer hohen Erwartung an Qualifikation und Flexibilität aber auch der Unsicherheit durch befristete Arbeitsverträge erklärt Gudrun Ahlers, Expertin für Betriebliches Gesundheitsmanagement der Techniker Krankenkasse (TK) das Thema im Gesundheitsreport 2011. Doch auch die gestiegenen psychosozialen Belastungen am Arbeitsplatz findet man als Ursachenbegründung benannt.
Zwar seien die helfenden und erzieherischen Berufe (Heimleiter, Sozialpädagogen, Krankenpfleger) noch führend bei den Fehltagen, aber Telefonisten sind laut DAK-Studie bereits auf Platz zwei angekommen.
Beim Burnout-Syndrom schaltet das Gedankenkarussell nicht mehr ab. Negativer Stress wird zum Normalzustand und die Folge sind behandlungsbedürftige Symptome.
Gedanken, Gefühle und meistens auch der Körper sind wie gefangen in einer sich gegenseitig nährenden Überlastungsspirale. Die Energiereserven laden sich nicht mehr selbstständig auf und die Leistungsfähigkeit sinkt rapide.
Das Problem, Burnout eindeutig zu diagnostizieren, liegt in der Vielzahl von begleitenden Symptomen. Dr. Kalabic, der sich an der Klinik Teufen in der Schweiz mit dem Thema befasst, wurde mit einer Anzahl von über 170 möglichen, meist körperlichen Symptomen vom Burnout-Zentrum zitiert. Spezifizierbar sei ein Burnout-Syndrom daher eher auf der kombinierten Ebene der Ursachen, wie Arbeitssucht und der Ebene der Symptomatik, wie Schlafstörung.
Burnout-Gefahr an jeder Ecke – Arbeitsbedingungen machen 18,9% aus
Neben den schon beschriebenen „bevorzugt gefährdeten“ Berufsgruppen haben sich einige Persönlichkeitsstrukturen herauskristallisiert, die eine hohe Anfälligkeit für Burnout-Syndrome aufweisen. Die bekanntesten sind vermutlich: Menschen, die sich mehr vornehmen, als sie schaffen können. Menschen mit sehr hohen Leistungsansprüchen. Und Menschen mit einem sehr hohen Wunsch nach Lob und Anerkennung, um den eigenen Selbstwert zu steigern.
Dazu kommt noch eine Reihe von äußeren Einflussfaktoren, die begünstigend wirken. Diese können im privaten und auch beruflichen Umfeld ihre Ursache haben. Unter anderem werden fehlende Verbindlichkeit und Eindeutigkeit der Ziele der eigenen Arbeit, demotivierende Führung und fehlendes soziales Netzwerk angeführt.
Statistisch gesehen beeinflussen mit 18,9% die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsorganisation und jeweils mit 15% der Führungsstil, kommunikative Defizite und Zeitdruck am stärksten eine Burnout-Gefährdung2. Ein Alarmsignal für Führungskräfte und Manager.
Schnelltest
http://www.gezeitenhaus.de/burn-out-test.html (Gezeitenhaus Klinik)
http://www.cconsult.info/selbsttest/burnout-test.html (Prof. Matthias Burisch)
Ausführlicher Test mit fundierter Auswertung
http://www.burnout-institut.eu/Burnout-Test.8.0.html (Prof. Matthias Burisch, Euro 24,50)
Beobachtbare Verhaltensänderungen kommen erst im letzten Drittel
Im modernen Berufsleben werden viele der oben beschriebenen Persönlichkeitsstrukturen durchaus von Vorgesetzten und Kollegen positiv bewertet und so kommt es, dass sich die ersten Burnout-Phasen unbemerkt durchlaufen lassen.
Ein verstärkter Einsatz oder das vernachlässigen eigener Bedürfnisse wirkt willkommen, wenn der nächste Quartalsabschluss ansteht. Und auch das Umdeuten eigener Werte, wenn im Telefonverkauf risikoreiche Anlagen angeboten oder in der Kindertageseinrichtung der Betreuungsschlüssel reduziert werden soll, ist mitunter nicht unerwünscht. Erst mit dem Rückzug der Betroffenen werden Verhaltensveränderungen mit Entfremdungsgefühlen deutlich. Dann ist aber schon die neunte von zwölf Phasen erreicht.
Was nun folgt sind innere Leere, Depression und völlige Erschöpfung. Der einst hochgelobte und gefeierte Mitarbeiter kann nicht mehr. Wie beim Fußballer Wunderlich streiken Körper und Geist.
Ebenfalls im letzten Drittel, nämlich des aktiven Berufslebens, treten Krankheiten wie Rückenschmerzen, Herz-Kreislauf-Beschwerden und psychische Störungen vermehrt auf, so die Expertin Gudrun Ahlers von der Techniker Krankenkasse. Für Unternehmen sei es angesichts des demografischen Wandels und der sinkenden Zahl qualifizierter Fachkräfte daher wichtig, die Gesundheit ihrer Mitarbeiter langfristig zu fördern.
Besser vermeiden – Führungskräfte gefordert
Es ist wichtig, nicht nur die Belastungen im beruflichen Umfeld zu reduzieren, sondern auch die Ressourcen und den Umgang mit Stress bei jedem Einzelnen zu stärken, so Helmut Schröder, Vize-Geschäftsführer des WIdO.
Dass die drohenden Kosten durch schleichende Leistungsreduktion bei Mitarbeitern und vermehrte Langzeitausfälle durch Krankheit für Manager ein Alarmsignal sein müssen, liegt auf der Hand. Die volkswirtschaftlichen Kosten durch Burnout-Syndrome betrugen im Jahr 2009 rund 6,3 Millionen Euro. Laut Schätzungen sind in Deutschland neun Millionen Menschen betroffen.
Auch wenn ein ehemals Burnout-Betroffener erfolgreich wieder im Beruf eingegliedert werden konnte, bleibt doch die Sorge des Rückfallrisikos. Folglich wird der Umgang von Kollegen und Vorgesetzten zunächst „gehemmter“ mit dem wieder Gesundeten stattfinden. Darin liegt jedoch genau die Gefahr, dass sich alte Muster wieder wiederholen.
Eine langfristig erfolgreiche Vorgehensweise kann also nur in der Prävention liegen. Laut einer Langzeit-Studie des Schweizer Instituts sciencetransfer und der Bertelsmann Stiftung (2009) bewirkt bereits eine um 20 Prozent gestiegene Unterstützung eine Reduzierung von Burnout-bedingten Erkrankungen um 10 Prozent.
Diese Unterstützung kann durch Führungskräfte in Form persönlicher Ansprache und rechtzeitiger Arbeitsentlastung erfolgen, aber auch Zuspruch, Trost, Motivation und Zuhören wurden in der Studie als nachweisbare positive Faktoren benannt.
Egal welche „Methode“ jedoch angewendet wird, wichtig wird dabei die Haltung der Führungskraft sein: Nur eine ernst gemeinte Unterstützung und ein wirkliches Interesse am Wohlergehen des Mitarbeiters werden Erfolg versprechen.
Weitere Stichworte dazu sind Wertschätzung, realistische Ziele, transparente Entscheidungen und ein positives Arbeitsklima.
Projektmanager Detlef Hollmann von der Bertelsmann Stiftung sagte im Jahr 2010 anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Netzwerks "Enterprise for Health: "Das sozial unterstützende Verhalten von Vorgesetzten muss zum festen Teil einer modernen Personalpolitik werden. Wer qualifizierte Fachkräfte halten und den wirtschaftlichen Erfolg seines Unternehmens sichern will, wird die Burnout-Raten im Betrieb deutlich senken müssen."
Das erfordert die Neuausrichtung des betrieblichen Personalmanagements vieler Unternehmen in Deutschland.
Die zehn Dimensionen des Burnout (Prof. Matthias Burisch)
1. Emotionale Erschöpfung
Wahrscheinlich die zentrale Komponente von Burnout. Gefühle von Überlastung und Erschöpfung, von „ich kann nicht mehr“.
2. Leistungsunzufriedenheit
Mangel an Zufriedenheit mit und Stolz auf die eigene Arbeit und Leistung. Das kann bedeuten, dass Sie das Gefühl haben, mit immer mehr Energieeinsatz immer weniger zu schaffen. Oder aber, dass Ihre Arbeit – oder was immer Sie tun – ihren Sinn für Sie verloren hat
3. Distanziertheit
Gefühl, dass Sie an Anderen weniger Anteil nehmen als früher, lieber auf Distanz bleiben. Dies kann sich auf Menschen beschränken, mit oder für die Sie arbeiten, oder allgemein gelten.
4. Depressive Reaktion auf emotionale Belastungen
Neigung zu Niedergeschlagenheit als Folge von belastenden Erlebnissen. Gefühl, sogar an kleinen Frustrationen, Enttäuschungen oder Belastungen übermäßig lange zu leiden; Gefühl, dass die Rückkehr zum Normalzustand länger dauert als früher.
5. Hilflosigkeit
Gefühl des Gefangenseins, der Ratlosigkeit, Hilflosigkeit, Mutlosigkeit. Kann in Verzweiflung gipfeln
6. Innere Leere
Gefühl, abgestorben, leer und unlebendig zu sein, nichts mehr zu fühlen. Kein Schmerz, aber auch keine Freude. Das kann bedeuten, dass Sie sich von Ihren Gefühlen mehr oder weniger vollständig abgekoppelt haben.
7. Arbeitsüberdruss
Innerer Widerstand gegen die eigene Arbeit, Unlust, Widerwillen. (Diesen Widerstand zu überwinden kostet Energie.)
8. Unfähigkeit zur Entspannung
Schwierigkeiten beim abschalten von Arbeits- oder anderen Problemen, die einen bis in die Freizeit verfolgen. Gehen meist mit Schlafproblemen einher. Warnsignal erster Güte!
9. Selbstüberforderung
Neigung zu Perfektionismus und strengen Maßstäben für die eigene Leistung, was selbsterzeugten Stress schafft. Sich selbst der eigene ärgste Feind sein, nicht der eigene beste Freund. Ein Denkmuster, das man unter Kontrolle bringen kann und muss.
10. Aggressive Reaktion auf emotionale Belastung
Gereiztheit schon bei unbedeutenden Anlässen. Kann sich nach außen bemerkbar machen, oder aber nur innerlich an Ihnen nagen.
Autor:Michael Piegsa aus Essen-Süd |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.