Buchbesprechung: Furchtlos verkaufen
Verkaufen wäre so einfach und schön, wären wir nicht auf dem Stand des Steinzeitmenschen vor gut 10.000 Jahren stehen geblieben. Nein, es geht jetzt nicht um eine Generalentschuldigung für fruchtlose Verkaufsaktivitäten, sondern um den Versuch, sich den Ängsten zu stellen, die mit dem Verkaufen einhergehen. Und diese sind, so Martin Christian Morgenstern, promovierter Verhaltensforscher und Evolutionspsychologe zunächst einmal völlig normal.
Begeben wir uns in die Vergangenheit, ist eine undefinierte Angst oder besser sensible Aufmerksamkeit überlebenswichtig. Konnten damals einfache Verletzungen, Schlangenbisse oder dergleichen aufgrund fehlender medizinischer Versorgungseinrichtungen schnell zum Tode führen, war es ratsam, entsprechenden Gefährdungssituationen aus dem Weg zu gehen.
Ebenso verhielt es sich mit unbekannten Begegnungen, war doch auf den ersten Blick nicht erkennbar, ob das Gegenüber einem wohl gesonnen war. Wie gut, dass es die Sicherheit gebenden Gemeinschaften gab. Diese Sozialgefüge galt es jedoch auf keinen Fall zu riskieren, denn ein Ausschluss bedeutete den sicheren Tod.
Mittlerweile hat sich die Welt und das Miteinander zwar wesentlich verändert, dennoch ist der Grundaufbau des menschlichen Gehirns im Wesentlichen gleich geblieben.
Erste Eindrücke bewerten den Umgang mit fremden Menschen, so trauen wir einem souverän auftretenden Monteur, der schnell Fehlerursachen erkennt und benennt eher zu, diese auch zu beheben, als seinem Kollegen, der zunächst unsicher daher kommt.
Auch hier führt Morgenstern wieder steinzeitliche Prägungen an, immerhin gab es laut Schätzungen damals weltweit etwa so viele Menschen, wie heute in Berlin leben. Da war es nahe liegend, schnelle Entscheidungen im Kontakt mit Fremden treffen zu müssen. Die Gelegenheiten dazu waren zu selten, um dabei ein Risiko einzugehen. Der Wohlgesonnene wäre durch Zurückhaltung verloren und somit auch der Zugang zu gegebenenfalls neuen Ressourcen. Zu viel Offenheit dem Feinde gegenüber brächte ein schnelles Ende des eigene Lebens.
Auf diesen Grundthemen baut die gesamte Idee des furchtlosen Verkaufens von Morgenstern auf. Schlussendlich geht es um die Vermeidung des Ausschlusses aus der Gemeinschaft, denn davor haben wir alle nach seiner Meinung historisch begründet Angst. Natürlich lassen sich die heutigen Verhaltensphänomene und Kommunikationshürden auch mit Erkenntnissen aus der Neuzeit erklären.
Es gleicht einem Ritt durch die Psychologie der Klassiker, Schulz von Thun, Watzlawick, Ekman, Watson, Schuler, um nur einige zu nennen. Doch genau hier liegen die Tücken im Umgang miteinander, das beschreibt auch Morgenstern. Körpersprache, Mikroausdrücke, Stimmmodulation und von klein auf eintrainiertes Verhalten prägen und interpretieren unsere bewussten und unbewussten Mitteilungen.
Der Bezug zur Angst im Vertrieb wird durch die Differenzierung zur Furcht, da diese als deutlich konkreter als die Angst beschrieben wird, hergestellt. Nach Morgenstern dürfte bei ungeübten Verkäufern eine undifferenzierte Angst vorherrschen, wohingegen bestimmte Misserfolge bei erfahrenen Kollegen zu zielbezogener Furcht führen kann. Die Neuzeit berge zwar keine Gefahren mehr für Leib, Leben und sozialem Ausschluss, dennoch verhielten sich viele Verkäufer oftmals so, als seien diese noch existent.
Die Perspektive, des (gefühlten) verkaufen Müssens und daraus subjektiv ableitbare soziale und auch existenzielle Gefährdungsgefühle wird dabei leider nur kurz gestriffen.
Die Aufforderung, seine Ängste anzunehmen, zu akzeptieren und dann damit zu arbeiten, ist leicht geschrieben, der Weg zum Erfolg jedoch mitunter ein sehr weiter. Genau das wird mit einer Vielzahl an Übungsangeboten gewürdigt. Und ab dieser Stelle beginnt Morgenstern sein Versprechen des Klappentextes: "Ein Buch für alle Verkäufer, denen Schulungen, Motivationsbücher und Psychotricks den erhofften Effekt schuldig geblieben sind", einzulösen.
Willkommen ist dabei der Exkurs zu den eigenen vorgeschobenen "Argumenten", die unser Unterbewusstsein absolut logisch dem Bewusstsein zur Verfügung stellt und ein Verkäufer somit fast keine Chance hat, seine Verkaufsaktivitäten zu starten - gefühlt, versteht sich.
Mit diesem Unterbewusstsein gilt es nun emotional in Kontakt zu treten, im Idealfall sogar gezielt Situationen zu schaffen, um es zu provozieren. Morgenstern liefert auch dazu eine Reihe praktischer Übungen, die inhaltlich sehr geeignet erscheinen, in der Aufmachung leider etwas wie ein Seitenexpander wirken. Dabei wären gut zehn Seiten weniger bestimmt nicht negativ aufzufassen.
Eine der Kernaussagen, die jeder Verkäufer sehr deutlich wahrnehmen sollte, ist die These, dass erfolgreiche Verkäufer ihre Produkte und Aufgabe lieben müssen. Diese These bietet viel Raum, um sich mit persönlichen Wertegerüsten, Überzeugungen und schlussendlich auch Veränderungsbereitschaften zu beschäftigen. Bleibt zu hoffen, dass in einer überarbeiteten Auflage zum Beispiel die Grundformen der Angst von Riemann Einzug in das von Morgenstern behandelte Spektrum finden.
In der aktuellen Ausgabe springt dieser zu mehreren jedoch auch sehr wertvollen Übungsaufgaben, die dem Leser helfen, die Mehrwerte seiner beruflichen Aufgabe zu definieren oder die Kundenmotivation, eben dieses Produkt zu erwerben, zu verstehen. Schließlich sollte sich ein Verkäufer durch mentales Training stärken und dadurch auch sein Unterbewusstsein mit positiven Imaginationen versorgen. Auch hierzu liefert Morgenstern Einblicke in die bekanntesten Entspannungstechniken wie Ansätzen des autogenem Training oder der progressiven Muskelentspannung.
Regelmäßig verdeutlichen kurze Geschichten einzelne Reiz-Denk-Reaktions-Mechanismen und erklären so Zusammenhänge zwischen unterbewusst empfundenen Emotionen und im Bewusstsein erlebbare Handlungsweisen. In Anlehnung an Watzlawicks "Versuch, einen Hammer zu leihen", beschreibt Morgenstern zum Beispiel den Versuch, Salz zu "borgen" und die mit einer potentiellen Ablehnung verbundenen Empfindungsebenen.
Die Ankündigung, keine Vertriebstechniken zu propagieren, da diese in einer Vielzahl vorhanden seinen, je nach Verkäufer sehr unterschiedlich bewertet würden und es schließlich zu jeder Verkaufsphase eigene Spezialisten gäbe, dürfte beim professionellen Leser schnell Zustimmung finden. Leider relativiert der Autor dies bereits wenige Seiten später.
Es werden zwar nur kurze Einblicke gegeben, konkret die einschlägigen Fachautoren und Trainerkollegen empfohlen und, was besonders positiv zu erwähnen ist, eine sehr kunden- und wertorientierte Verkaufsphilosophie vertreten, dennoch wirkt es etwas widersprüchlich.
Ohne diese Ankündigung wären diese Beschreibungen dagegen fast ein Pflichtbestandteil in einem Verkäuferhandbuch. Vor allem, weil sich Morgenstern traut, Musterdialoge aufzuschreiben. Bezogen auf das Wertpapiergespräch zwar im aktuellen Kontext der Vorgaben zur Beratung in Finanzinstrumenten durch das Wertpapierhandelsgesetz bei weitem nicht ausreichend, im Kern der Struktur zum Gesprächseinstieg jedoch absolut umsetzbar. Ebenso die weiteren konkreten Beispiele.
Zum Ende des Buches wird wieder der Bogen zur Angst im Vertrieb hergestellt. Wovor fürchten sich Vertriebler bei der Akquise am Telefon und was können sie tun, um souveräner damit umzugehen? Nach einer aufschlussreichen Einführung zu diesem Teil, folgen sechs Tipps, die jedoch auch jedem klassischen Telefontraining zu entnehmen sind.
Morgenstern bietet verteilt über 173 Seiten Einblicke in die klassischen psychologischen Erkenntnisse menschlichen Verhaltens. Dabei gelingt es ihm, den theoretischen Teil kurz und dennoch verständlich darzustellen. Der Steinzeitmensch ist zwar für fast alles verantwortlich, was aber weniger verurteilend, sondern viel mehr bei der perspektivischen Lösungsfindung erklärend hilfreich sein soll.
Der Struktur und Beispiel liebende Leser findet eine Menge Hilfestellungen und Übungsaufgaben, die dieses Buch zu einem Arbeitsbuch machen können.
Im Schlusswort schreibt Morgenstern, wenn auch etwas indirekt den vielleicht wesentlichsten Hinweis: In seinem Buch geht es vor allem um den Aufbau von Selbstbewusstsein. Der Weg dahin wird jedoch durch das Gefahr vermeidende Unterbewusstsein massiv gesteuert, ja zum Teil sogar sabotiert.
Ob die Wortnähe zwischen "furchtlos" und "fruchtlos" bewusst gewählt wurde, ergibt sich aus dem Buch nicht, ist aber in jedem Fall ein doppelter Hingucker.
Martin Christian Morgenstern
Furchtlos verkaufen - Hemmungen aus und Überzeugungspower an!
www.businessvillage.de
ISBN: 978-3-86980-168-1
1. Auflage 2012
192 Seiten
19,80 Euro
Autor:Michael Piegsa aus Essen-Süd |
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