Einer geht noch . . .
LSG NRW Urteil erlaubt 100 Prozent Sanktion gegen einen Querulanten

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Der 7. Senat des LSG NRW unter Vorsitz von Richter Dr. Martin Kühl, (vorher Vizepräsident des Sozialgerichts Aachen,) und den Richter Dr. Markos Uyanik, Richterin Jutta Redenbach-Grund und Richter Alexander Machon hat mit Beschluss L 7 AS 987/19 B ER am 17.07.2019 die Beschwerde eines Antragsstellers gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 11.06.2019 zurückgewiesen.

In einer eigenen Presseerklärung des LSG NRW vom 03.09.2019 heißt es:
ALG II: 100 %-Sanktion trotz BVerfG-Verfahren
Solange beim Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der Sanktionsregelungen zur Klärung ansteht, scheidet auch eine vorläufige Leistungsgewährung nach § 41a Abs. 7 SGB II aus.
„Essen. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) in seinem unanfechtbaren Beschluss vom 17.07.2019 entschieden (Az. L 7 AS 987/19).
Das Jobcenter (Antragsgegner) erlegte dem Antragsteller die Verpflichtung auf, sich monatlich fünfmal um eine Arbeitsstelle zu bewerben, seine Eigenbemühungen zu dokumentieren und jeweils zum 3. des Folgemonats nachzuweisen. Er erfüllte diese Verpflichtung nicht. Grundsätzlich sei er der Auffassung, sich nicht um eine Arbeitsstelle bemühen zu müssen, da er das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland ablehne. Der Antragsgegner minderte daraufhin seinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für drei Monate um 100 % und hob die vorangegangene Bewilligung insoweit auf. Der Antragsteller legte Widerspruch ein und beantragte zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung desselben.
Die gegen den ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts Aachen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos. Das LSG hat festgestellt, dass nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides gesprochen habe.“

Minderwertiges Recht beugt höherwertiges Recht

„Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).“

Richter Dr. Kühl, Richtern Dr. Uyanik, Richterin Redenbach-Grund und Richter Machon haben Ihre Worte im Urteilstext wohl gewählt. Und obwohl eine Entscheidung über ein 100%-Sanktion im Einstweiligen Rechtsschutz deutlich mehr Sorgfalt erfordert, machten die Richter wohl eher kurzen Prozess.

Möglicherweise wird das Bundesverfassungsgericht die 100%-Sanktionen als verfassungswidrig und Menschenverachtend ausurteilen. Falls nicht wird es doch wohl die Geschichte tun.

Erinnerung an eine düstere Zeit

Einer geht noch. Noch ist der Sanktionsparagraf nicht durch das Bundesverfassungsgericht geächtet worden. Noch dürfen sie sanktionieren . . .
Zwar kann es wohl auch dem Landessozialgericht NRW nicht entgangen sein, dass der Sanktionsparagraf in der jetzigen Form keinen dauerhaften Bestand haben wird, aber einer geht noch.

Auch die Hinrichtung der Geschwister Scholl und Christian Probst von der Weißen Rose am 22.02.1943 wurde mit (damals geltendem) Recht begründet.

In dem Artikel „NS-Urteile - Die Dornen der "Weißen Rose"“ beschäftigte sich Dietrich Strothmann mit einem fehlerhaften Schlußtext zu dem Film von Regisseur Michael Verhoeven "Die weiße Rose". Darin wird richtiggestellt, dass nicht die deutsche Justiz nach dem Zusammenbruch, sondern erst die Besatzungsbehörden die Unrechtsurteile aufgehoben hatten.
„In den Jahren 1946 und 1947 haben die zuständigen Besatzungsbehörden per Gesetz "nationalsozialistische Unrechtsurteile" aufgehoben. Die Bestimmungen sind, nach Gründung der Bundesrepublik, Bundesgesetz geworden.“

Tatsache ist aber gleichfalls, daß Michael Verhoeven mit seinem falschen Satz etwas Zutreffendes zum Ausdruck brachte: Das fortwirkende Unbehagen über die jahrzehntelange laxe Auseinandersetzung mit damals schuldig gewordenen Richtern und Staatsanwälten, jenen "Mördern im Talar".
NS-Urteile - Die Dornen der "Weißen Rose"

"Mörder im Talar"

Ein wiederkehrendes Problem der Rechtsprechung scheint die Rechtsbeugung von höherwertigem Recht durch untergeordnetes, minderwertiges Recht zu sein.

Als Co-Autor war Dr. Martin Kühl an einer Aufarbeitung zum NS-Recht beteiligt: Sozialgerichtsbarkeit und NS-Vergangenheit. Karrierewege, Konflikte, Rechtsprechung am Beispiel Nordrhein-Westfalens, hg. Vom Justizministerium des Landes NRW

Vor diesem Hintergrund muss die Frage erlaubt sein, wie der Vorgriff auf die ausstehende Sanktions-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu bewerten ist.

Diskussionsforen zum Urteil

In mehreren Foren wird das Urteil diskutiert.

Todesstrafe durch die Hintertüre einführen. Mit Hartz IV kein Problem mehr.

ALG II-Sanktion trotz laufendem BVerfG-Verfahren möglich

Das kann weg!? Vollsanktionierte Hartz IV-Empfänger, ein Bestätigungsstempel vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen für 100-Prozent-Sanktionen und das Warten auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts
11. September 2019 von Stefan Sell

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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