Spitzenkandidaten im LK-Interview: Mona Neubaur
"Bei den anderen ist nur die Rhetorik grün"
In Bayern geboren, seit 1977 in NRW zuhause: Die Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur hat 2003 in Düsseldorf ein Studium der Pädagogik, Psychologie und Soziologie abgeschlossen und leitet seit 2014 den bundesweit größten Grünen-Landesverband. Den bisherigen Umfrageergebnissen zufolge wird sie nach dem Wahlsonntag "Königsmacherin": Ohne die Grünen wird in NRW nichts gehen. Im LK-Interview zeigt Neubaur zentrale grüne Positionen auf - der "Preis", an dem sich künftige Koalitionspartner orientieren müssen.
Der Krieg in der Ukraine ist eines der wichtigsten Themen dieser Zeit. In der Krise plädiert die grüne Außenministerin Annalena Baerbock für die Lieferung von schweren Waffen und kauft der grüne Vize-Kanzler Robert Habeck Öl in Katar ein, einem Land, in dem nach wie vor Menschenrechtsverstöße und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse an der Tagesordnung sind. Ändern die Grünen gerade ihre Prinzipien?
Mona Neubaur: "Das Leid der Menschen in der Ukraine lässt mich nicht kalt und so geht es allen, die ich während meiner Tour treffe. Wir können Putins grausame Kriegsverbrechen nicht einfach nur zur Kenntnis nehmen - insbesondere, dann nicht wenn wir in Verantwortung stehen. Es stimmt: Die neue Realität, die seit dem 24. Februar herrscht, hat vieles grundlegend verändert. Es ist nicht einfach, das zu akzeptieren, aber es ist notwendig. Aber wir Grünen sind deshalb nicht bereit, unsere friedenspolitischen Ideale, nämlich die Verteidigung bzw. Wiederherstellung des Völkerrechts, aufzugeben. Putin muss gestoppt werden.“
"Haltung zeigen, Verantwortung tragen"
Die „neue“ Politik der Grünen löst vor allem bei den für Ihre Partei besonders wichtigen jungen Wählern Proteste aus. Fridays for Future kritisieren die Wende in der Energiepolitik und die Grüne Jugend wendet sich gegen die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Verlieren Sie momentan große Teile Ihrer Zielgruppen?
Mona Neubaur: „Das sehe ich nicht. Wir Grünen werden eine kritische und debattenorientierte Partei bleiben, in der Kritik auch offen ausgesprochen wird und Bedenken nicht einfach ignoriert werden – zuletzt auch beim Länderrat am vergangenen Samstag in Düsseldorf. Ich treffe im Wahlkampf natürlich auch viele Grüne Mitglieder und erlebe aktuell eine Grüne Partei, die sich ihrer politischen Relevanz bewusst ist, die mit der neuen Realität ringt, die aber auch bereit ist, Haltung zu zeigen und Verantwortung zu tragen. Robert Habeck und Annalena Baerbock im Speziellen leben das gerade eindrucksvoll vor - und bekommen zu Recht enorm viel Zuspruch für ihr Handeln.“
1000 zusätzliche Windkraftanlagen
In NRW herrscht mit Blick auf den Kohleausstieg 2030 bislang Konsens. Hat das aus Ihrer Sicht angesichts der derzeitigen politischen Lage Bestand?
Mona Neubaur: „Ganz so viel Konsens herrscht da leider schon jetzt nicht mehr. Häufig ist bei unseren Mitbewerbern nur die Rhetorik grün, nicht der Energieplan für die Zukunft. Die CDU tut nichts, um dieses Ziel zu erreichen. Herr Kutschaty knickt beim Ausstiegsdatum 2030 nun auch ein. Die SPD darf aber nicht die falschen Konsequenzen aus dem russischen Angriffskrieg ziehen. Ohne einen Kohleausstieg idealerweise bis 2030 sind unsere Klimaziele eben nicht erreichbar. Die Antwort liegt aber genauso wenig in der von der FDP erträumten Renaissance der Atomkraft. Wie kann man 26 Jahre nach Tschernobyl und in Zeiten eines Krieges darauf kommen? Denn sicher ist da nur das Risiko. Wir Grüne haben ein Klimaschutzsofortprogramm aufgelegt und wollen den Ausbau der Erneuerbaren massiv vorantreiben, mit mindestens 1000 zusätzlichen Windenergie-Anlagen in fünf Jahren und Solaranlagen auf jedem geeigneten Dach und auch entlang von Autobahnen.“
Was konkret bedeutet das für den Ausbau der erneuerbaren Energien in NRW? Als größtes Bundesland liegen wir zum Beispiel in Sachen Windenergie mit 8,5 Prozent im Bund an vierter Stelle. Die amtierende Landesregierung will den Anteil bis 2030 verdoppeln. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) bezweifelt in seiner jüngsten Studie die Machbarkeit des Vorhabens.
Mona Neubaur: „So lange sich an der Regierungsblockade der Windkraft gegenüber nichts ändert, wird das auch zutreffen. Deshalb muss die pauschale Abstandsregel von 1000 Metern für Windräder weg. Denn die Studie zeigt auch: Die Streichung dieser pauschalen Regel würde sofort ein enormes Flächenpotenzial für die Windkraft freisetzen. Wir wollen Akzeptanz durch frühzeitige Beteiligung im Verfahren erreichen und auch durch die Ermöglichung, an den Erträgen der Windkraft finanziell profitieren zu können. Beispielsweise durch Energiegenossenschaften.“
Flächendeckend regionale Schnellbuslinien
Die Klimaziele wollen Sie auch mithilfe einer Verkehrswende erreichen. Was würden Sie, Stichworte Ausbau Bahnstrecken- und Radwegenetz und ÖPNV, ändern, wenn Sie regieren würden?
Mona Neubaur: „Bus, Bahn und Rad müssen für alle attraktiv, barrierefrei und bezahlbar sein – auch damit wir unser Klimaziel im Verkehrsbereich erreichen. Wir wollen auch bei der Mobilität einen Aufbruch für NRW. Bahnstrecken müssen reaktiviert und ausgebaut werden, bis 2025 wollen wir flächendeckend regionale Schnellbuslinien schaffen. Um unsere Pläne umzusetzen, wollen wir die Pro-Kopf-Investitionen in Bus, Bahn, Schiene und Stationen verdoppeln. Ganz klar gehört auch das Fahrrad in den Mittelpunkt der Mobilität der Zukunft. Unsere Investitionsoffensive werden wir daher auch dazu nutzen, ein Netz aus Radschnellwegen und sicheren Radvorrangrouten zu entwickeln.“
Gleichzeitig ist NRW nach wie vor Stauland Nummer eins. Neben dem Fahrzeugaufkommen ist dafür laut Verkehrsforscher Michael Schreckenberg auch der schlechte Zustand von Autobahnen und Brücken verantwortlich, weshalb es permanent zahlreiche Großbaustellen gibt. Wie wollen Sie dieses Problem lösen?
Mona Neubaur: „Es stimmt, trotz großer Ankündigungen von CDU und FDP im Wahlkampf 2017 hat NRW diesen "Titel“ verteidigt. Und ja, zentrale Teile der Infrastruktur in NRW sind marode. Das zeigt nicht zuletzt die gesperrte Rahmedetal-Brücke an der A45. Wir wollen Erhalt vor Neubau und finden, dass Geld und Personal vielmehr für die Sanierung maroder Straßen sowie Brücken und dem Ausbau von Schienen-, Rad- und Fußwegen eingesetzt werden sollte.“
Mietpreisbremse ausweiten
Ein weiteres sich vielerorts zuspitzendes Problem sind Baukosten- und Mietpreissteigerungen. Die Landesvorsitzende des Wohlfahrtsverbandes Paritätische NRW hat in den letzten Tagen von einem „echten Armutsrisiko“ für viele Menschen gesprochen. Was wollen Sie dagegen unternehmen?
Mona Neubaur: „Ganz klar: Fehlende bezahlbare Wohnungen in vielen Städten und Gemeinden in NRW sind ein riesiges Problem. Wir wollen alle landesrechtlichen Möglichkeiten nutzen, um im bestehenden preiswerten Wohnungsbestand Mietsteigerungen spürbar zu begrenzen und den Schutz der Mieter zu stärken – zum Beispiel durch Ausweitung von Mietpreisbremse und Kappungsgrenze. Unser Ziel ist die Schaffung von deutlich mehr günstigen Wohnungen pro Jahr durch Neubau und Umnutzung. Dazu gehört auch die Förderung von Werkswohnungen, zum Beispiel für Pflegekräfte.“
"Unser Schulsystem ist auf Kante genäht"
In NRW rechnet man bis 2030 mit einem Zuwachs von 320.000 Schülern. Bereits heute fehlen 5.000 Lehrkräfte und bis 2025 wird es laut Expertenschätzung 26.000 weniger Absolventen für den Grundschulbereich geben. Wie wollen Sie gegensteuern?
Mona Neubaur: „Unser Schulsystem ist auf Kante genäht. Damit muss Schluss sein. Wir wollen keine Leer-Stellen auf dem Papier, sondern echte Menschen in den Klassen. Wir wollen mit einer Ausbildungsreform und zusätzlichen Qualifizierungsmöglichkeiten endlich alle Schulformen bedarfsgerecht mit Lehrkräften versorgen. Kurzfristig wollen wir die Schulen mit zusätzlichen Verwaltungskräften entlasten. Damit die Lehrkräfte sich dem Unterricht widmen können, nicht dem Papierkram. Um die Attraktivität des Lehramts zu steigern, ist die gleiche Besoldung für alle Lehrämter unser Ziel.“
"Schulen auf Höhe der Zeit bringen"
Insbesondere Elternverbände und Schüler:innen beklagen „Chaos“ in Sachen Digitalisierung der Schulen, das vor allem während der Lockdowns sichtbar wurde. Was muss aus Ihrer Sicht getan werden?
Mona Neubaur: „Wir müssen unsere Schulen endlich auf die Höhe der Zeit bringen. Neben den Investitionen in gut ausgebildete Lehrkräfte ist daher Geld für die digitale Ausstattung unserer Schulen essentiell. Wer weiß, in welchen Berufen die heutigen Erstklässler später einmal arbeiten? Viele wohl in Berufen, die wir heute noch gar nicht kennen. Das Lernen mit digitalen Medien muss in allen Schulen in NRW funktionieren können und selbstverständlich sein. Damit die Medienkompetenz unserer Schülerinnen und Schüler gefördert werden kann, muss NRW alle mit mobilen Geräten ausstatten – und die Lehrkräfte ebenso.“
Wohnen und Schule sind auch wesentliche Bereiche für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Bereits jetzt sind mehr als 130.000 Menschen aus der Ukraine zu uns gekommen und es werden deutlich mehr erwartet. Was kann und wird NRW für diese Menschen tun, auch über die genannten Bereiche hinaus?
Mona Neubaur: „Erst einmal bin ich stolz auf die überwältigende Hilfsbereitschaft, mit der die Menschen in NRW reagiert haben und sich für Menschen in und aus der Ukraine einsetzen. Aufgabe einer Landesregierung ist es jetzt, die Kommunen bei den Kosten zu unterstützen. Viele Geflüchtete aus der Ukraine werden wohl länger bei uns bleiben als sie es sich selbst wünschen. Wir brauchen daher ausreichend Sprachkurs-, Integrations- und Betreuungsangebote für sie.“
Thema Gesundheit: Ver.di und verschiedene Experten sehen die bedarfsgerechte und wohnortnahe Versorgung von Patienten in NRW gefährdet. Eine wichtige Rolle spielt aus ihrer Sicht dabei die zunehmende Privatisierung von Kliniken. Braucht NRW mehr Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft?
Mona Neubaur: „Alle Patientinnen und Patienten müssen im Notfall in kürzester Zeit ein Krankenhaus erreichen können. Dabei können Krankenhäuser in öffentlicher Hand eine wichtige Rolle spielen, weshalb wir weitere Privatisierungen vermeiden und wenn möglich Krankenhäuser zurück in die öffentliche Hand überführen wollen.“
Impfkampagne: "Versäumnisse aufholen"
Stichwort Corona: Die Zahlen sind weiter hoch und Experten rechnen mit einem erneuten Anstieg nach den Sommerferien. Ist NRW auf eine neue Welle angemessen vorbereitet und würden die bisherigen Maßnahmen reichen, um die Bevölkerung zu schützen?
Mona Neubaur: „So sehr wir es uns auch wünschen, die Pandemie ist noch nicht vorbei. Und niemand weiß, wie sich die Situation um das Corona-Virus weiterentwickelt. Was wir wissen: Impfen schützt! Die Landesregierung hat sich offenbar leider damit abgefunden, dass die Impfkampagne fast völlig zum Erliegen gekommen ist. Diese Versäumnisse müssen jetzt aufgeholt werden. Wenn es darum geht, Schulen zu sicheren Orten zu machen – zum Beispiel durch mehr Unterstützung des Landes beim Einbau von Luftfilteranlagen. Es darf nicht sein, dass Pandemiemanagement von Welle zu Welle stolpert. Wir wollen ein vorausschauendes Vorgehen. Ein Punkt für ein Frühwarnsystem ist zum Beispiel das Abwassermonitoring, das frühzeitig steigende Infektionszahlen erkennt, flächendeckend einzuführen.“
Wenn man sich die jüngsten Wahlumfragen anschaut, ist nach dem 15. Mai eine rot-grüne Koalition ebenso wahrscheinlich wie eine schwarz-grüne. Die Programme der Grünen und der CDU trennen aber Welten, die Übereinstimmung liegt bei lediglich etwa 50 Prozent. Dagegen stimmen Grüne und SPD zu über 90 Prozent überein. Ist Rot-Grün also aus Ihrer Sicht bei entsprechenden Wahlergebnissen „gesetzt“? Und wenn nicht: Welche konkreten Positionen wären für Sie in einer Zusammenarbeit mit der CDU nicht verhandelbar?
Mona Neubaur: „26.000 Grüne Mitglieder in NRW kämpfen genau wie ich aktuell rund um die Uhr für starke Grüne, damit wir unsere Ziele in die Realität umsetzen können. Wir sind bereit Verantwortung für die Menschen in NRW zu übernehmen. Dabei ist entscheidend, dass GRÜNE in einer nächsten Landesregierung stark vertreten sind. Wer grüne Politik will, muss Grün wählen. Wir Demokratinnen und Demokraten werden dann gefragt sein, uns über Parteigrenzen hinweg auf tragfähige Kompromisse zu einigen – um NRW zukunftsfest zu machen.“
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