Aufruf zu einer neuen Friedenskarawane am 11. und 12. Mai 2012 ! - 11. Mai 1952: Vor den Toren der Gruga stirbt Philipp Müller, durch Polizeischüsse tödlich getroffen

Flugblatt mit scharfer Kritik an Bundesinnenminister Robert Lehr nach den brutalen Polizeieinsätzen im Mai 1952
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Der erste politische Tote der BRD hieß nicht Benno Ohnesorg. Der Student Benno Ohnesorg, der 1967 während der Proteste gegen den pompösen Staatsbesuch des iranischen Gewaltherrschers Schah Reza Pahlevi vom Westberliner Polizeiobermeister Karl-Heinz Kurras erschossen wurde, ist bis heute vielen Deutschen ein Begriff.
Währenddessen sind der erschossene Philipp Müller und die Schwerverletzten des sogenannten „Blutsonntags von Essen“ sechzig Jahre danach weitgehend vergessen.

Gesamtdeutsche Aufmerksamkeit erzielt der später in Essen als evangelischer Pfarrer tätige Arnold Haumann allerdings am 11. Mai 1952 als offizieller Demonstrationsleiter der „Friedenskarawane gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands“ in Essen. Eigentlich haben die „ Aktionsgruppen gegen Aufrüstung“ mit dem Darmstädter evangelischen Studentenpfarrer Herbert Mochalski diese Großveranstaltung kurzfristig seit dem 1. Mai geplant. Trotzdem wird öffentlich die Parole verbreitet, die geplante Kundgebung sei von Kommunisten gesteuert. Ohne sich weiter mit den Essener Behörden abzustimmen, erlässt Heinemanns Nachfolger im Bundesinnenministerium, Robert Lehr, am Freitag-abend für die am Sonntag geplante Demonstration ein Verbot. Die NRW-Landesregierung verbreitet im Radio die Nachricht, Eltern sollten ihre Kinder nicht zu dieser „kommuni-stischen Kundgebung“ gehen lassen. Viele der späteren etwa 30000 Teilnehmer der Friedenskarawane, zu denen u.a. die Freie Deutsche Jugend - FDJ, aber auch die Naturfreunde-Jugend, die Falken, evangelische, wie katholische Jugendliche gehören, befinden sich wegen langer Anreisewege aber schon vor dem Verbot in der Stadt.

Rechte Provokateure von Polizei geschützt?

Zusätzlich heikel wird die Situation, weil einige hundert Mitglieder der neonazistischen „Deutschen Jugend des Ostens“ und des erzkonservativen „Bund deutscher Jugend“ ebenfalls in die Stadt gereist sind, und an mehreren Stellen die Jugendlichen der Frie-denskarawane in Schlägereien verwickeln. Wie Arnold Haumann in seinem Buch „Gott mit uns?“ beschreibt, greifen die Trupps der Bereitschaftspolizei hier zwar mit ihren Gummi-knüppeln ein, schützen im Zweifelsfall aber eher die angreifenden rechten Jugend-gruppen. Gegen 11.30 vor dem Haus der Technik erlebt Arnold Haumann, wie einige Polizisten besonders wüst und unkontrolliert auf die Jugendlichen einschlagen. Als er den Namen des Bereitschaftspolizisten erfahren will, wird der Pfarrer selbst Opfer des Schlag-stocks, stürzt hin, wird besinnungslos und kommt erst nach 15 Minuten wieder zu sich.
Damit die Anfahrt zur Friedenskarawane nicht völlig unnütz wird, gibt Arnold Haumann die Parole aus: Wenn Demonstrieren verboten ist, dann sollen die Menschen doch zumindest den am Vortag nach den Kriegszerstörungen erstmals wieder geöffneten Grugapark besuchen.

Scharfe Munition für die Polizei

Die Polizei, hauptsächlich Bereitschaftseinheiten aus anderen Städten, postiert sich eben-falls vor den Toren des Parks. Da die Menschenmenge sich nicht schnell genug auflöst, schießt die Polizei nach angeblichen Steinwürfen mit scharfer Munition auf die Menschen-menge. Einer der angereisten Wiederbewaffnungsgegner aus München, Philipp Müller, bleibt nach Schüssen in den Rücken tödlich getroffen zurück. Mehrere schwer verletzte Demonstranten finden sich für längere Zeit in Essener Krankenhäusern wieder.
Essener Tageszeitungen drucken nach den tragischen Ereignissen Sätze wie: „Schon Tage zuvor sind Kommunisten in die Stadt eingesickert“ und beschreiben, wie Jugendliche mit angeblich stieren Blicken auf dem Polizeihof sitzen.
Ein halbes Jahr später verhängen Landgerichtsurteile, deren Beweismittel sich auf den offiziellen Polizeibericht beschränken, gegen 11 Teilnehmer der „Friedenskarawane“ mehr-monatige Haftstrafen. Insgesamt erlässt die Justiz über 70 Haftbefehle gegen Teilnehmer der Friedenskarawane. Die wenigen Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte, die mit ihren Waffen die später nicht mehr genau bezifferbaren 30 bis 80 Schüsse auf die Demon-stranten abgefeuert hatten, werden schließlich im April 1953 eingestellt.
Eigentlich ist die SPD ebenfalls gegen die westdeutsche Wiederbewaffnung, die eine Wie-dervereinigung Deutschlands auf lange Zeit unmöglich machen wird. So kann nach den Vorfällen an der Gruga zumindest ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ein-gerichtet werden. Als Wochen später im NRW-Landtag das Polizeiverhalten aufgeklärt werden soll, kommt es zu keinen die Einsatzleitung belastenden Ergebnissen. Immerhin wird nach der tödlichen Friedenskarawane beschlossen, künftig für ähnliche Kundgebung-en Wasserwerfer anzuschaffen.

Kriminalisierung der Volksbewegung gegen die Wiederbewaffnung

Gegen den Willen großer Teile der Bevölkerung wurde vor 60 Jahren durch Bundeskanzler Konrad Adenauer mit dem sogenannten „Generalvertrag“ die Wiederbewaffnung Westdeutschlands durchgesetzt. Für die fünfziger Jahre gibt es viele Belege für die bewusste Kriminalisierung der breiten Volksbewegung gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands durch den Adenauer-Staat.
Solche Einschränkungen grundgesetzlich verbriefter Bürgerfreiheiten in Westdeutschland gaben im Juni 1953 dem damaligen stalinistischen DDR-Staatsapparat wohl auch vordergründige Alibis für die gewalttätige Unterdrückung der eigenen Opposition.
Trotz erheblicher Widerstände wurden aber bereits wenige Jahre später in beiden deutschen Staaten wieder Armeen aufgestellt. Auch für die seit mehr 20 Jahren gesamt-deutsche Bundeswehr kann die Beurteilung unserer militärische Rolle in der Weltpolitik gar nicht kritisch genug sein. Ob Deutschlands Freiheit tatsächlich am Hindukusch in Afghanistan, im Kosovo oder am Horn von Afrika vor der somalischen Küste verteidigt werden kann, bleibt überaus zweifelhaft.

Jugendlicher Demonstrant vor Essener Gruga von Polizei erschossen!

Es ist traurige Tatsache, mit Philipp Müller ist am 11. Mai 1952 in unserer Heimatstadt Essen das erste Opfer einer politischen Demonstration in der Geschichte der BRD durch Polizeischüsse zu beklagen.
Es hatte eine gewaltfreie Kundgebung für Frieden, für die Einheit Deutschlands und gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands werden sollen. Über sechzig Jahre nach diesem blutigen Ende der "Friedenskarawane" sind die Verantwortlichen unserer Stadt hoffentlich dazu in der Lage, solchen autoritären Erscheinungen des "kalten Krieges" in Auge zu sehen.
Wer moralisch glaubhaft den Überwachungsstaat der aufgelösten DDR oder heute den brutalen Waffeneinsatz gegen Demonstranten in Syrien kritisieren will, darf auch dort nicht blind sein, wo bundesdeutsche Staatsorgane Richtlinien des Grundgesetzes übergangen haben.
Anfang der fünfziger Jahre wollten die meisten Deutschen kein Militär mehr erleben. Gerade für die Menschen im Ruhrgebiet unübersehbar waren die Verwüstungen der deutschen Angriffskriege von 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945 unübersehbar. Mit welchen staatlichen und publizistischen Mitteln die Wiederbewaffnung und 1956 sogar die allgemeine Wehrpflicht trotzdem durchgesetzt werden konnte, bleibt noch ein Forschungsfeld der aktuelleren Geschichte.
Deshalb dürfen wir die vorwiegend jugendlichen Demonstranten, die sich am 11. Mai 1952 in unserer Stadt zur Kundgebung gegen die deutsche Wiederbewaffnung versammelt hatten, nicht vergessen. Nur 7 Jahre nach Ende des von Deutschland angezettelten 2. Weltkriegs wollten sich diese Menschen gegen die Aufstellung neuer Soldatentruppen wehren. Die Teilnehmer der Friedenskarawane wurde damals jedoch als Staatsfeinde verunglimpft, auf die keine Rücksicht zu nehmen ist.
Beweisen wir doch mit dem Gedenken an Philipp Müller, dass zumindest die Stadt Essen aus rechtsstaatlichen, wie politischen Fehlern vergangener Jahrzehnte gelernt hat.

Gedenktafel für Philipp Müller und die Friedenskarawane!

Für das Gedenken an den erschossenen Friedensdemonstranten Phillipp Müller gibt es viele Möglichkeiten. Die Brücke an der Rüttenscheider Str. kann nach ihm benannt werden. Ebenso angemessen ist sicher eine Gedenktafel zum blutigen Ende der Friedenskarawane, die folgenden Text enthalten könnte:

Philipp Müller
- geboren am 5. April 1931 in München, gestorben am 11. Mai 1952 in Essen.

Am 11. Mai 1952 starb an der Rüttenscheider Brücke der 21-jährige Philipp Müller nach Rückenschüssen durch Polizeikugeln. Als einer von über 30000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen einer Friedenskarawane gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland war er nach Essen gekommen, um gegen die Unterzeichnung des "Generalvertrages" zu protestieren.

Mit evangelischer Studentengemeinde, der Naturfreunde Jugend, den Falken, wie auch Mitglieder den Freien Deutschen Jugend, waren weltanschaulich unterschiedliche Gruppen und Einzelpersonen an dieser Kundgebung vor den Toren der Gruga beteiligt.

Unter der Losung "Friedensvertrag statt Generalvertrag" war zur Demonstration gegen die Aufstellung einer neuen deutschen Armee aufgerufen worden.

Auf Weisung des Düsseldorfer Innenministeriums wurde die „Friedenskarawane“ genannte Veranstaltung einen Tag vor dem geplanten Termin wegen angeblicher Verkehrsprobleme verboten.

Die nach Essen beorderte Bereitschaftspolizei schoss daraufhin mit scharfer Munition in Demonstrantengruppen, die sich trotzdem vor der Gruga bildeten. Ein Toter - Philipp Müller - und mehrere Schwerverletzte blieben zurück.

Die Rechtmäßigkeit der tödlichen Polizeischüsse vom 11. Mai 1952 wurde nie aufgeklärt.“

Die OrganisatorInnen für eine Friedenskarawane 2012 wollen nicht nur das Gedenken an den erschossenen Philipp Müller wachhalten, sondern ebenso an den politischen Kampf gegen die Wiederbewaffnung zu erinnern:

Deutschland – drittgrößter Waffenexporteur der Welt

Ein halbes Jahrhundert später ist die Bundeswehr eine fest verankerte Säule deutscher Politik. Der Rüstungsetat der Bundesrepublik beträgt 2012 31,7 Mrd. € und ist damit der zweitgrößte Posten bei den Ausgaben der Bundesregierung.
Natürlich hat erzielt die deutsche Wirtschaft auch kräftige Einnahmen durch Waffen und anderes Kriegsgerät: ThyssenKrupp, EADS, Heckler & Koch und KraussMaffei verkauften 2011 Rüstungsgüter für 2,1 Milliarden € ins Ausland - 50 % mehr als 2010. Deutschland ist zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt aufgestiegen und heizt damit weltweit Krisen und Kriege an.
Die Bundeswehr hat Büros in den Arbeitsagenturen und JobCentern, wo sie Erwerbslose als künftige Berufssoldaten für mögliche Kriegsabenteuer in aller Welt anwirbt.
Längst ist es Alltag geworden, dass die Bundeswehr sich nicht nur auf Jugend- und Jobmessen, sondern auch in den Klassenzimmern als bombensicherer Arbeitgeber mit Zukunft zur Schau stellt. Was die Offiziere bei ihren Vorträgen lieber nicht erwähnen ist Tod, Zerstörung und Trauma als Berufsbeschreibung.
Die Jugendkarawane von 1952 wollte ein entmilitarisiertes Deutschland und damit die Lehren aus zwei Weltkriegen ziehen, deshalb:

Nie wieder Krieg - dieses Anliegen Philipp Müllers ist heute hochaktuell.

Kommt zur Gedenkdemonstration für Philipp Müller am 12.5.2012

Kommt zu Kranzniederlegung und Konzert am 11.5.2012

Flugblatt mit scharfer Kritik an Bundesinnenminister Robert Lehr nach den brutalen Polizeieinsätzen im Mai 1952
Das Begräbnis von Philipp Müller wird zur großen Anklage gegen die innen- und Militärpolitik der ersten Adenauer-Regierung.
Autor:

Walter Wandtke aus Essen-Nord

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