„Wir wollen ein Teil der Gesellschaft sein“

Gebetsraum für Männer in der Merkez-Moschee.
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  • Gebetsraum für Männer in der Merkez-Moschee.
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Eyüp Kalyon, zweiter Imam der türkisch-islamischen Ditib-Gemeinde Altendorf, engagiert sich in der muslimischen Jugendarbeit und für den Dialog der Religionen.


Dieser Termin brauchte etwas Geduld. Erst musste der Kontakt zur Gemeinde hergestellt, dann der Arbeitgeber informiert werden – Kalyons dienstlicher Vorgesetzte in Essen ist der Religionsattaché im Türkischen Konsulat, der mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet kooperiert. Geschenkt, geschafft! „Guten Tag, schön, dass Sie da sind“, strahlt der 26-jährige Imam an der Tür der Altendorfer Merkez-Moschee. Der in den 1980er-Jahren selbst umgebaute ehemalige Autoladen an der Helenenstraße ist momentan Sitz türkisch-islamischen Gemeinde, die rund 400 Mitglieder hat.

Wuppertal – Istanbul

Eyüp Kalyon kommt aus Wuppertal, wo er erst die Hauptschule besucht und später das Abitur an der Erich-Fried-Gesamtschule gemacht hat. Studieren wollte er auf jeden Fall. Dass seine Eltern, die in den 1970er-Jahren als einfache „Gastarbeiter“ nach Deutschland gekommen sind, ihn bei diesem Vorhaben unterstützt haben, macht ihn heute noch dankbar. Zusagen für Studienplätze bekam er dann gleich mehrere, sodass er sich entscheiden musste: Wirtschaftsinformatik in Köln, Informations- und Kommunikationstechnik in Dortmund oder Islamische Theologie in Istanbul? Istanbul! Das Studium in der Türkei, verbunden mit der Ausbildung zum Imam, bekam den Zuschlag. „Ich brauchte etwas Exotisches“, erinnert sich Eyüp Kalyon. Zur Motivation habe aber sicher auch beigetragen, dass der Beruf des Imams in der türkischen Community sehr geschätzt werde.

Das internationale Programm, das Muttersprachler wie Kalyon zum Islamstudium in die Türkei holt, gibt es erst seit 2006. Davor kamen türkische Imame grundsätzlich nur für ein paar Jahre nach Deutschland und gingen dann in die Türkei zurück. Ein Imam, der auf Deutsch predigen kann, ist immer noch selten. Das wird sich ändern, hofft Kalyon: „Jeder merkt, dass es ein Riesenvorteil ist, wenn vor Ort jemand ist, der die Landessprache spricht.“ Bedarf gebe es gerade unter den nicht türkischen Muslimen und Jugendlichen, die zu Hause eher wenig Türkisch sprechen.

Zweisprachigkeit pflegen

Eyüp Kalyon verbrachte fünf intensive Ausbildungsjahre in der Türkei, ein ganzes Jahr davon allein Vorbereitungszeit in Arabisch, damit er den Originaltext des Korans verstehen konnte. Nebenbei musste er sich in die Gemeinschaft einfinden und die Feinheiten der türkischen Sprache erarbeiten. „Ich dachte, ich kenne die Türkei aus den Sommerferien, aber das war eine andere Welt“, bemerkt er. So sei das nun mal: „Hier bin ich der Türke, da bin ich der Deutsche.“

Im Nachhinein wertet er seine Ausbildungszeit in der 15-Millionen-Einwohner-Metropole Istanbul als großen Gewinn. Seit zwei Jahren ist er nun als geprüfter Imam in Essen und setzt sich in der Gemeinde auch für Auslandsaufenthalte ein: „Ich sage den Jugendlichen immer: Geht weg! Zweisprachigkeit ist eine Bereicherung fürs Leben. Außerdem habt ihr bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.“ Privat verreisen die Kalyons sowieso gern (am liebsten in Städte im Ausland). Als Nächstes soll es nach Andalusien gehen.

Gesprächsbedarf

Die Arbeit mit jungen Leuten zählt Eyüp Kalyon zu seinen Schwerpunkten. Vor allem am Wochenende trifft er sich mit dem Nachwuchs, spricht mit unterschiedlichen Altersgruppen über gesellschaftliche Teilhabe, Schul- oder Arbeitsprobleme in Bezug auf die Religion, analysiert Vorurteile. „Damit lassen wir keinen Raum für extremistische Gedanken“, erklärt Kalyon. Der Gesprächsbedarf sei groß, zum Teil dauerten die Sitzungen stundenlang: „Letzte Woche in Altenessen haben wir bis 23.30 Uhr diskutiert.“

Mit Jugendlichen unternimmt Kalyon auch gern Ausflüge oder macht Sport mit ihnen. Fußball interessiert in auch in seiner Freizeit. Und Musik: Er spielt selbst Nay, eine lange Rohrflöte, die eine jahrtausendealte Tradition in der türkischen, arabischen und persischen Musik hat.

Altendorf: Situation verbessern

Imam Kalyon ist in der Gemeinde auch für Außenkontakte zuständig, z. B., wenn ein Tag der offenen Tür ansteht. Wie erlebt er die Stadt? Zweigeteilt in sozialer Hinsicht, leider, sagt er, „ein Riesenunterschied zwischen Bredeney und Altendorf!“. Im Niedriglohnviertel Altendorf wurden Probleme spätestens im September 2016 unübersehbar, als an der Baustelle der neuen Merkez-Moschee In der Hagenbeck Schweineköpfe aufgespießt wurden. Er persönlich habe sich durch den ekligen Fund und diverse Hasskommentare im Internet nicht angesprochen gefühlt, sagt Eyüp Kalyon. In der türkischen Community verstärkten solche Vorfälle aber natürlich das Gefühl, diskriminiert zu werden – und zwar mit Billigung der Öffentlichkeit. Der Wunsch der Gemeinde sei einfach: „Wir wollen ein Teil der Gesellschaft sein.“

Die Lösung sieht der Imam darin, mehr Begegnungen zwischen den Kulturen herzustellen. Vielfalt als Chance: „Ich höre hier in Altendorf viele Sprachen, ich habe die Möglichkeit, andere Kulturen zu sehen.“ Ein Gemeinschaftsprojekt wie „Arche Noah“, das den Dialog zwischen Christentum, Judentum und Islam zu Ziel hat, sei ein gelungener Anfang. Da schaute auch mal der Bezirksbürgermeister vorbei. Und die Gemeinde fühlte sich politisch gesehen. „Wenn man miteinander redet“, sagt Eyüp Kalyon, „glaube ich, dass Altendorf schöner wird.“

Autor:

Mareike Ahlborn aus Essen-Süd

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