"Istanbul": Ein musikalischer Abend im Grillo
Heimspiel in Katernberg

- Entführen ins Istanbul der letzten 50 Jahre: Alican Yücesoy (Ismet), Roland Riebeling (Klaus), Silvia Weiskopf (Luise) und Lene Dax (Yasmin).
- Foto: Fatih Kurçeren
- hochgeladen von Frank Blum
"Istanbul - Ein musikalischer Abend" feierte vor ausverkauftem Haus Premiere im Grillo-Theater und hat dennoch bereits eine bewegte Geschichte: Bereits 2014 ging die Uraufführung des ungewöhnlichen Projektes, das rundum gelungen einen Perspektivwechsel wagt, in Bremen über die Bühne. Über 70.000 Menschen sollten es in den Folgejahren in verschiedenen Theatern erleben dürfen. Doch in Essen, genauer in Katernberg, hat es seine Wurzeln und erlebt nun ein Heimspiel.
Das musik-theatrale Stück stammt von Selen Kara, Torsten Kindermann und Akın Emanuel Şipal und enthält 15 Songs der türkischen Pop-Ikone Sezen Aksu. Es wurde bereits u. a. im Schauspielhaus Bochum, am Nationaltheater Mannheim, Theater Osnabrück, Theater Bonn, Theater Lübeck, an den Schauspielbühnen Stuttgart und bei den Ruhrfestspielen inszeniert.
Die simple Idee, wie es auch im Programmheft beschrieben wird: "Angenommen das Wirtschaftswunder der 1950er Jahre hätte nicht in Deutschland stattgefunden, sondern in der Türkei. Angenommen die Deutschen wären in die Fremde aufgebrochen, hätten ihre Familien zurückgelassen, um als deutsche Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter die Türkei wieder aufzubauen und die wirtschaftliche Not in der Heimat zu lindern. Nicht Essen wäre die Stadt gewesen, die die Neuankömmlinge willkommen hieß, sondern Istanbul."
Für Autorin Selen Kara hat das Stück eine besondere Bedeutung: Seit der Spielzeit 2023/2024 ist sie gemeinsam mit Christina Zintl Intendantin des Schauspiel Essen: "Meine Großeltern kamen als Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter in den frühen 60ern aus der Türkei nach Essen-Katernberg. Und das Grillo-Theater war das erste Theater, das ich als Schülerin besuchen und erleben durfte."
Und so nimmt der Perspektivwechsel das Publikum, das teils an Tischen auf und vor der Bühne Platz nehmen darf und buchstäblich Teil des Geschehens wird, mit auf eine Reise in das Istanbul der letzten 50 Jahre. Erzählt wird die Lebensgeschichte des Essener Gastarbeiters Klaus Gruber in der fremden Metropole Istanbul, Sprache und Religion sind ihm fremd, Frau Luise und Tochter Jasmin sowie seinen geliebten Fußballverein Rot-Weiss Essen muss er zurücklassen. Immerhin: Frau und Tochter folgen ihm bald und die Familie wird heimisch. Irgendwie. Und bleibt dennoch fremd und fernab der Heimat.
Der Perspektivwechsel - so einfach und genial wie er ist - ermöglicht es perfekt, sich in die anderen Rollen hinein zu versetzen und nebenbei ein wenig türkische Kultur - oder auch deutsche Besonderheiten - kennen zu lernen. Gelungen: Die Liedtexte werden zweisprachig eingeblendet und die Gestaltung der Bühne bietet dem Ensemble reichlich Möglichkeiten, ihre Rollen mit Leben zu füllen.
Eindrucksvoll performen Lene Dax, Roland Riebeling, Silvia Weiskopf, Sümeyra Yılmaz, Alican Yücesoy sowie die Musikerinnen und Musiker Ceren Bozkurt, Torsten Kindermann, Koray Berat Sari und Jan Sebastian Weichsel.
Roland Riebeling in der Hauptrolle des Klaus kam Ihnen irgendwie bekannt vor? Stimmt: Das war doch " Jütte", der den Kölner "Tatort"-Kommissaren Ballauf und Schenk mit ganz besonderem Charme zur Seite steht.
Nebenbei ist der vielbeschäftigte Schauspieler auch Dozent für Schauspiel an verschiedenen Schauspielschulen und Professor für Schauspiel am Institut für Musik der Hochschule Osnabrück. In Essen ist er für den erkrankten Stefan Diekmann eingesprungen.
Auch für Roland Riebeling ist es ein Heimspiel: 1978 wurde er in Essen als Sohn eines Kfz-Mechanikers und einer Friseurin geboren, besuchte das Gymnasium an der Wolfskuhle in Essen-Steele und machte dort sein Abitur. Und das Stück "Istanbul" hat er als Regisseur bereits an mehreren Bühnen inszeniert und gehörte selbst von 2002 bis 2007 zum Ensemble des Grillo-Theaters.
Fazit: Die Premiere war ein sehenswerter Spielzeit-Höhepunkt im Grillo-Theater und wurde - bei allen nachdenklich stimmenden Passagen - zum großen Kulturfest mit viel Musik.
Die nächsten Vorstellungen: 27., 31. Dezember; 8., 18., 19. Januar.
Die nächste Premiere des Schauspiel Essen: Uraufführung "Alles wie es sein soll" von Dawn King mit dem Stadt-Ensemble Plus des Schauspiel Essen am 8. Februar
Info:
Begleitend zur Inszenierung ist im Foyer des Grillo-Theaters die Ausstellung "Vergangenheit neu denken" zu sehen. Für die Ausstellung hatte das Schauspiel Essen dazu aufgerufen, persönliche Fotos und Briefe aus der Zeit mit dem Theater zu teilen. Diese zeigen die Lebenswelten der ersten Generation von Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten sowie ihrer Familien. Sie erzählen vom Ankommen in Deutschland, vom Familiennachzug, von Besuchen in der alten Heimat und vom Miteinander.
Autor:Frank Blum aus Essen-Süd |
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