Premiere im Grillo-Theater: "Der Reisende"
Ein starker Spielzeit-Auftakt
Sehenswerter könnte eine Theater-Inszenierung kaum sein: Mit eine überaus gelungenen Premiere ist das Ensemble des Grillo-Theaters in die neue Spielzeit gestartet, die unter dem Motto "Common Ground" steht, einer gemeinsamen Basis gegen die Polarisierung in der Gesellschaft. "Der Reisende" von Ulrich Alexander Boschwitz in einer Fassung und mit Texten von Hakan Savaş Mican stand zum Auftakt auf dem Programm - und fordert Höchstleistung von den Darstellerinnen und Darstellern.
Der 2018 wiederentdeckte Roman „Der Reisende“ spielt im Deutschland des Jahres 1938. Der Inhalt: Otto Silbermanns Verwandte und Freunde sind verhaftet oder verschwunden. Er selbst steigt von einem Zug in den anderen, reist in Folge der Novemberpogrome quer durchs Land und versucht, irgendwie einen Ausweg zu finden, unterzutauchen oder dieses Land zu verlassen. Gerade noch ein angesehener Kaufmann steht er plötzlich ohne jede Rechte dar.
Regisseur Hakan Savaş Mican lässt in seiner Roman-Bearbeitung eigene, teils autobiografische Betrachtungen auf die literarische Vorlage treffen. Das Ergebnis: Ein Dialog zwischen historischen Situationen und aktuellen Lebenswirklichkeiten. Hakan Savaş Mican, 1978 in Berlin geboren und in der Türkei aufgewachsen, ist Filmemacher, Theaterautor und Regisseur.
Wie wird ein Mensch zum Fremden und zum Feind gemacht? Diese Frage steht im Mittelpunkt der eindrücklichen Schilderung, die eines so gar nicht ist: eine verstaubte Ansammlung von Monologen mit erhobenem Zeigefinger.
In der knapp dreistündigen Inszenierung bleibt der Spannungsbogen über drei Stunden erhalten. Dafür sorgen schon die vier allesamt überzeugenden Schauspielerinnen und Schauspieler, die in ganz unterschiedliche Rollen schlüpfen, allen voran Mathias Znidarec als Otto Silbermann und Erzähler.
Und diesmal sind Lene Dax, Alexey Ekimov und Philipp Noack zusammen mit Ceren Bozkurt und Kai Weiner Teil einer Live-Band, wenn sie nicht gerade ihre Sprechrollen absolvieren. Besonders Lene Dax präsentiert sich neben ihrer schauspielerischen Leistung mit stimmgewaltigem Gesang.
Gelungen sind auch das Bühnenbild von Alissa Kolbusch (Kostüme: Miriam Marto) und die stimmigen Video-Sequenzen von Sebastian Lempe.
Das Ensemble nimmt das Publikum mit auf eine Reise als Lebensgefühl von Menschen mit unterschiedlichen Herkunftsgeschichten - auf der Suche nach Zugehörigkeit und Identität. Sehenswert!
Die nächsten Vorstellungen: 21. und 22. September; 10. und 24. Oktober
Die nächste Premiere: "Hamlet/Ophelia" nach William Shakespeare am 5. Oktober im Grillo-Theater
Autor:Frank Blum aus Essen-Süd |
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