Im Ahrtal: Die wildeste Tochter des Rheins
Über 89 km schlängelt sich die Ahr von Blankenheim bis Sinzig zu ihrer Mündung in den Rhein. In der malerischen Flusslandschaft des Ahrtals entdecken Urlauber ganz unterschiedliche Ortschaften, von zerklüfteten Felsen geprägte Natur und ein Rotweinanbaugebiet, dessen Steillagen ein eindrucksvolles Panorama bieten. Schon die Römer nutzten die Vorzüge der Region, die auf eine reiche Geschichte zurückblickt. Weinfeste machen das Ahrtal im Herbst zu einem Ziel für Weinliebhaber. Das ganze Jahr über sind Wanderer, Radfahrer und Erholungsuchende gern gesehene Gäste und können bei den unterschiedlichsten Führungen in die Welt des Weingenusses einsteigen. Die Römer pflanzten die ersten Reben vor über 1.200 Jahren im Ahrtal. Heute ist es das bekannteste deutsche Rotweingebiet. Seine 43 Einzellagen tragen klangvolle Namen wie Burggarten, Kräuterberg oder Gärkammer.
Einen ersten Einstieg in das Thema Wein bietet der Ahrweiler Winzerverein. Um die regelmäßig angebotenen „Weinproben für Jedermann“ kümmert sich der 87-jährige Karl König. Er führt seine Gäste zunächst durch den Weinkeller, in dem der Wein das ganze Jahr bei konstanten Temperaturen lagert. Sehenswert sind die zum Teil historischen und reich verzierten Jubiläumsweinfässer. Wer mag kann von Weinprüfer Karl König erfahren, wie die Weinfässer über die Jahre gepflegt werden und in welchen Schritten aus der sonnengereiften Traube ein guter Tropfen wird. Einige Weine aus dem Keller des Ahrweiler Winzervereins können die Gäste anschließend gemeinsam verkosten. Karl König schenkt gerne nach und fragt sich als die Stimmung immer lebhafter wird, ob „der Wein schon Wirkung gezeigt hat.“ Doch das kann den rüstigen Weinkenner nicht aus der Ruhe bringen. Mit einem Korkenzieher klopft er resolut gegen eine Flasche und gewinnt so die Aufmerksamkeit zurück. Dann erzählt er weiter wie „Kaiser Karl die Rebe hergebracht hat“ und unterhält sein Publikum mit Anekdoten und Witzen. Weinproben gehören im Ahrtal bei vielen Angeboten für Touristen dazu. Auch bei der Panoramawanderung „Vom Schiefer geprägt, vom Winter gepflegt“ rund um Dernau und der Wanderung „Unterwegs im Senftenburger Ländchen“ wird das ein oder andere Glas geleert.
Die Orte an den Ufern der Ahr sind sehr unterschiedlich. Malerisch ist zum Beispiel der von einer alten Stadtmauer umschlossene Ortskern von Ahrweiler. Durch diesen führt Helmut Schulz seit mittlerweile 23 Jahren im Kostüm des Nachtwächters. Als sein Vorgänger in Rente ging, ergriff der einstige Mitarbeiter des städtischen Bauamts die Gelegenheit, Besuchern seine Stadt zu zeigen. Ausgestattet mit Wächterhorn, Hellebarde und Lampe begrüßt Schulz seine Gäste am Treffpunkt an der Tourist-Info. Bei der zweistündigen Tour durch die Stadt erfahren die Besucher, dass Ahrweiler erstmals im Jahr 893 in den Dokumenten der Abteil Prüm erwähnt wurde. Bis heute legen die Einwohner großen Wert auf die Einteilung der Stadt in vier Huten genannte Viertel. Jedes hatte einst eine eigene Backstube und bis heute wird in jedem ein eigenes Martinsfeuer entzündet. Erhalten geblieben sind weite Teile der einst 1.800 Meter langen Stadtmauer. Nur durch Obertor, Ahrtor, Niedertor und Adenbachtor konnte man früher in die Stadt gelangen. Wie es damals ausgesehen haben mag, kann man in der Nähe des Ahrtors nachvollziehen. Dort wurde ein Stück der historischen Wehrgänge wiederaufgebaut. Die Fachwerkhäuser rund um die Fußgängerzone wirken älter, sind aber erst rund 70 Jahre alt. Bis zu einem großen Stadtumbau wurde das Städtchen von einer Bundestraße quer durch den Ort durchzogen. Erst mit dem Bau einer Umgehungsstraße konnte der Durchgangsverkehr verbannt werden. Damit wurden die Voraussetzungen geschaffen für das gemütliche Flair der Stadt. „Jetzt kommt mal her“, drängt da schon der Stadtführer. Er ist mit seiner Gruppe auf dem Weg zu zwei halboffenen Wehrtürmen. Später kommen wir an der Laurentius-Kirche aus dem 13. Jahrhundert vorbei und erfahren in der Nähe der alten Synagoge an einem Fachwerkhaus mit roten Balken, dass diese Farbgebung einst mit Ochsenblut erreicht wurde. Unerwähnt bleiben im Schatten der Straßenbäume wachsende Sonnenblumen. Weitere Impulse erhofft sich nicht nur der Nachtwächter durch die für 2022 geplante Landesgartenschau.
Während Ahrweiler mit seinem beschaulichen Charme punktet, hat Bad Neuenahr sich dank seiner Quellen einen Namen gemacht. Die begründeten einst einen regen Kurbetrieb und bis heute das Image der Stadt als Gesundheitsstandort. In der Nähe des SETA-Hotels am Flussufer liegen gleich neben der Spielbank die Ahr-Thermen. Das Schwimmbad mit Innen- und Außenbecken und acht Saunen ist dank seinem Mineralwasser aus 359 Meter Tiefe das ganz Jahr über interessant zur Entspannung. Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden eindrucksvolle Gebäude wie das Kurhaus. Der Kurpark wird zu bestimmten Zeiten als Eventlocation genutzt. Im Oktober zum Beispiel findet schon seit einigen Jahren die „Klangwelle“ statt. Pünktlich zum Einbruch der Dunkelheit beginnt dort ein Event für die ganze Familie. Im Jahr 2017 stand es unter dem Motto „Hymnen der Musikgeschichte“. Wasser, Feuer, Licht und Laser verwandeln den Kurpark bei diesem Ereignis an acht Veranstaltungstagen in eine spektakuläre Show. Rock & Pop, Karnevalsmusik, Flower Power-Klänge und schließlich klassische Musik wurden gespielt und musiksynchron mit Licht und Feuer untermalt. Als Projektionsfläche für die Musikvideos diente dabei ein Vorhang aus Wasser. Auch zum Jahresende ist wieder ein Ereignis in Bad Neuenahr geplant.
Wer an einem ganz normalen Tag durch Ahrtal wandert, glaubt nicht wie wild dieser Nebenfluss des Rheins werden kann. Grund für die Zerstörungskraft des Flusses ist das starke Gefälle zwischen Quelle und Mündung. Während zum Beispiel die Mosel pro Kilometer einen Höhenunterschied von 90 cm bewältigt, geht es für die Ahr pro Kilometer 495 cm hinab. Wenn durch viel Regen oder Schneeschmelze Wassermassen die steilen Hänge hinabstürzen, kann der Pegel des Flusses schnell um bis zu vier Meter steigen. Bei einer Wanderung durch die Weinberge erfahre ich eine Menge über den Ahrwein. „Mit jedem Höhenmeter steigt die Frostgefahr“, bleibt in Erinnerung. Erst durch die milden Winter der letzten Jahre konnten die Winzer sich wieder in einst verlassene Gebiete wagen und zusätzliche Weinstöcke anbauen. Die Arbeit in den Steillagen des Ahrtals ist bis heute harte Arbeit. Nicht umsonst lautet das Motto einer Winzergenossenschaft „600 Herzen, 1200 Hände, eine Leidenschaft“. Trotz aller Leidenschaft ist Ahrwein nicht günstig. Das erklärt sich schnell, wenn man erfährt, dass Winzer pro Hektar in der Ebene 250 Stunden, in einer Steillage wie an der Ahr jedoch 1.300 Stunden Zeit einplanen müssen. Zugleich sorgt die mühevolle Handarbeit für besonders gut Qualität: „Man erkennt schlechte Trauben, wenn man die Rebe in der Hand liegen hat.“ Die meisten Winzer in der Region haben sich zu Genossenschaften zusammengeschlossen, die die Trauben gemeinsam verarbeiten – und oft auch eine Probierstube betreiben, in der man den Wein vor dem Kauf kosten kann. „Man muss keinen Wein im Sack kaufen“, höre ich einen Weinkenner erklären.
Auch in der örtlichen Gastronomie wird Wein aus der Region angeboten. Zur Zeit der Weinfeste gibt es neben dem für die Region typischen Rotwein roten und weißen Sauser. Dieser Federrote bzw. -weiße besteht aus nicht ganz gegorenem Most und schmeckt zu einer Vielzahl von Gerichten. Kosten kann man ihn zum Beispiel im Vinetum im Ahrweiler Vorort Walporzheim. Das gleich unterhalb der Weinberge gelegene Restaurant überzeugt durch seine stilvolle Einrichtung und die gute Küche. Fleisch- und Fischgerichte sind schmackhaft und liebevoll dekoriert. Auch mit dem Wein kennt man sich aus und reicht zu jedem Gericht einen passenden Tropfen. In der Ortschaft Dernau liegt die Vinothek der Dagernova. Über dem Weingeschäft kann man im Restaurant Culinarium mit Panoramablick auf den Ort einkehren. Das modern eingerichtete Restaurant ist mit dem Ort über eine Brücke verbunden. Empfehlenswert ist unter anderem der Grillteller – und auch die Weinkarte. Direkt vor dem Restaurant beginnt die Panoramawanderung „Vom Schiefer geprägt, vom Winter gepflegt“. Bei dieser erfahren die Gäste von Georg Josten viel über den Weinbau und können sich in den Weinbergen alles selbst anschauen. So erfahre ich, was es mit der in der Region üblichen Pfahlerziehung auf sich hat. Bei dieser bindet der Winzer den Weinstock an einem Pfahl fest und kann deshalb bei seinen Arbeiten um die einzelnen Weinstöcke herumlaufen. Auch wird berichtet, dass die Trauben möglichst nah am Boden wachsen sollen, um von der vom Boden rückstrahlenden Wärme zu profitieren. Das vielseitige Wissen verbindet sich mit den Eindrücken aus dem Weinberg und dem schönen Ausblick ins Ahrtal. Lohnend ist auch eine Wanderung im Nachbarort Mayschoß. „Unterwegs im Saffenburger Ländchen“ ist das Motto der Wanderung zur Ruine der ältesten Burg an der Mittelahr. Und auch in Altenahr gibt es ein interessantes Angebot. Bei der Weinbergwanderung „Wanderspaß & Weingenuss“ führt Thomas Winges durch die Weinlagen Altenahrer Übigberg und Altenahrer Eck. Oben in den Weinbergen wird dann ein guter Tropfen verkostet. Wenn die Zeit es erlaubt, wird dieser von Weinkönigin Tina Marie mit ihren Prinzessinnen Jana und Lara überreicht.
Dann geht es über den Burgberg der Burg Are wieder zurück ins Tal. Wer mag, kann die Gruppe beim Abstieg verlassen und sich Zeit für eine Besichtigung der Burganlage nehmen.
Wer sich für jüngere Geschichte interessiert, kann sich in Neuenahr die Dokumentationsstätte Regierungsbunker anschauen. In zwei alten Eisenbahntunneln entstand dort zur Zeit des kalten Krieges eine riesige Bunkeranlage, in der 3.000 Politiker und Behördenmitarbeiter im Falle eines Atomkrieges hätten 30 Tage überleben sollen. Heute ist nur noch ein kleiner Teil des mehrere Kilometer langen Tunnelsystems erhalten. Bei einer 1,5-stündigen Führung sehe ich die atombombensicheren Tore und erfahre, wie man das einst geheimste Bauwerk der Bundesrepublik Deutschland gegen die Kriegsfolgen gesichert hatte. Mit dem Ende des kalten Krieges wurde der Bunker zurückgebaut und ist heute nur noch eine Touristenattraktion. Der Weg vom Museumseingang zurück nach Ahrweiler führt über einen der vielen romantischen Weinbergwege. Es gibt eine Menge zu entdecken in den Weinbergen des Ahrtals.
Autor:Christian Kolb aus Essen-Steele |
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