Ein Leben im Rollstuhl: "Täglicher Kampf"
Ihr Name ist Klemme - Carmen Klemme. In selbiger sitzt sie aber nicht. Dafür aber im Rollstuhl. Wer die starke Frau erlebt, muss von ihr fasziniert sein. Denn „mein Alltag ist Kampf pur“, sagt sie selbst. Dass sie eine echte Kämpfernatur ist, beweist ihre Geschichte.
Carmen Klemme ist eine starke Frau, die sich ins Leben zurückgekämpft hat. Zwar ist heute ein Hightech-Rollstuhl ihr täglicher Begleiter, doch die 47-Jährige ist froh, überhaupt noch morgens die Augen aufschlagen zu können. „Ich bin froh, dass einfach Wetter ist“, lacht sie. „Egal ob Regen oder Sonne.“ Mit der gleichen Leichtigkeit kann Carmen Klemme heute von ihrem schweren Motorradunfall erzählen, der sie beinahe das Leben gekostet hätte. „Der 23. November 2002 war ein schöner Herbsttag. Die Sonne lachte und meine bessere Hälfte und ich wollten den wohl letzten schönen Tag des Jahres für eine kleine Spritztour nutzen“, erinnert sie sich. „Wir hatten zum Motorradfahren stets unsere Schutzkleidung an und haben da bei der Anschaffung auch nicht auf den Preis geachtet. Die Sicherheit ging für uns immer vor. Doch man kann noch so langsam fahren, gegen die Fehler anderer ist man nicht gefeit.“ Und solch ein Fehler riss Carmen Klemme an diesem Samstagnachmittag aus dem Alltag. „Mein Leben war um kurz nach 15 Uhr vorbei“, so Klemme heute. Ein junger Autofahrer hatte das Paar übersehen und seitlich gerammt. „Ich war eben nicht so gut im Fliegen und bin mit dem Rücken voll auf dem Wagen gelandet“, sagt die Freisenbrucherin. Dann geht alles ganz schnell. Vor Ort muss die damals 39-Jährige reanimiert werden, liegt dann sechs Wochen im Koma. „Als ich die Augen nach sechs Wochen Koma aufgeschlagen habe, ist der Arzt fast umgekippt. Die haben keinen Cent mehr für mein Leben gegeben“, kommentiert sie schmunzelnd.
Carmen Klemme – eine Frau, die ihr Schicksal akzeptiert hat und ihm sogar Positives abgewinnen kann: „Ich bin mittlerweile froh, dass ich diese Erfahrungen machen kann.“ Und dass, obwohl die Prognose zunächst alles andere als rosig war. Als sie aus dem Koma aufwachte, konnte Carmen Klemme nichts bewegen. Vom Hals an gelähmt lautete die Diagnose. „Ich war wirklich verzweifelt. Ich konnte mich ja noch nicht einmal selbst umbringen.“ Wenn Carmen Klemme heute an die wohl schwärzesten Stunden ihres Lebens zurückdenkt, berichtet sie davon auch mit klarer Stimme und macht diese Erlebnisse zu humorvollen Etappen ihres Lebens. „Als mein Bruder mir im Krankenhaus sagte, dass er damit leben könne, dass ich mich nicht mehr bewegen kann, aber ein Problem damit hat, dass ich nicht mehr mit ihm rumfrotzeln kann, da war mein Kampfgeist geweckt“, lacht Klemme. Und nicht nur für den Bruder wollte sich Carmen Klemme ins Leben zurückkämpfen. „Da waren auch noch mein Kind und mein Lebensgefährte, der den Unfall auch überlebt hat“, sagt sie. „Für meine Familie wollte ich stark sein und sie nicht alleine lassen.“ Wie stark sie von da an war, ist selbst für die Ärzte heute noch ein nicht erklärbares Phänomen. „Eigentlich bin ich querschnittsgelähmnt und kann mich überhaupt nicht bewegen. Ich bin ein Pflegefall, der nur im Bett liegen kann“, zitiert Carmen Klemme die Mediziner. Doch weit gefehlt – im Rollstuhl sitzt eine Frau, deren einziges Handicap das Laufen ist. „Die Beine wollen noch nicht. Aber ich arbeite daran“, lacht Carmen Klemme. Wie sie es geschafft hat, sich wieder so bewegen zu können? Mit purer Willenskraft und 24-Stunden-Training!
„Ich bin ganz die Alte. Habe meinen Job zurück und lebe mein Leben.“ Doch so leicht sich das auch anhört, so leicht ist es in der Praxis oft nicht. „Dass viele denken, Rollstuhlfahrer sitzen mit dem Kopf im Rollstuhl, das regt mich auf! Die meisten sitzen im Rollstuhl, weil sie körperlich eingeschränkt sind – mehr nicht. Wir sind doch nicht doof!“ Vor allem am Stadtteilleben will die gebürtige Steelenserin teilnehmen. Das gehe aber oft nicht, so Klemme. Ein Beispiel sei die Krayennale gewesen, die sie „sehr interessiert hat“. Zwar habe das Rathaus in Kray nun einen Aufzug, doch das Überqueren der Straße sei ein Problem, denn nicht überall seien die Bordsteine abgesenkt. „Auch wenn Straßenbereiche abgesperrt werden, ist das oft ein Problem für mich. Die Barken werden dann mit den schweren Füßen meist nicht parallel zur Bordsteinkante gestellt, sondern waagerecht. Da komme ich aber mit dem Rollstuhl nicht mehr durch und auch mit dem Kinderwagen oder Rollator hat man da Probleme. Das sind Kleinigkeiten, auf die niemand achtet. Ich würde mir einfach wünschen, dass die Leute anfangen mitzudenken.“ Als Klemme vor einiger Zeit spontan am VHS-Kurs zur Steeler Geschichte teilnehmen wollte, war es wieder da: Das Problem mit der Barrirefreiheit. Im Kulturforum angekommen, teilte man ihr nämlich mit, dass sie sich als Rollstuhlfahrerin hätte anmelden müssen. „Der Kurs fand im Obergeschoss statt. Einen Aufzug gibt’s hier nicht. Als Rollstuhlfahrer darf man also nicht spontan sein. Essen ist eine barrierefreie Stadt? Dann sollte man bei solchen öffentlichen Veranstaltungen doch auch einen barrierefreien Zugang ermöglichen, oder?“
Diese Frage gab sie auch an Harald Vogelsang vom Steeler Archiv weiter, der zwar nicht vor Ort Abhilfe schaffen konnte, aber versprach, sich darum zu kümmern. „Eine Woche hörte ich nichts und dachte schon, da kommt auch nichts mehr. Aber am zweiten Kursabend konnte ich dann teilnehmen, weil man den Kursraum gewechselt hat. Jetzt gibt’s Steeler Geschichte im Erdgeschoss. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie glücklich ich war.“ Die Freude hielt an, denn am vergangenen Dienstag kam Carmen Klemme fröhlich ins KuFo und nahm zum ersten Mal am Kurs teil. Doch schon wieder hatte die freundliche Freisenbrucherin Unglaubliches zu berichten: „Ich würde ja gerne mal eine Kreuzfahrt machen, ne?“ fragt sie keck. „Aber was meinen Sie, was ich jetzt erfahren habe? Es gibt kein einziges Schiff mit einem Pflegebett. Soll ich die ganze Reise im Rollstuhl sitzen?“ Das wird sie sicher nicht müssen, denn Carmen Klemme kämpft – und zwar täglich. „Mein Alltag ist Kampf“, gibt sie deshalb abschließend zu. „Aber ich mag ihn. Dadurch, dass ich den Mund aufmache, lernen die Leute mit Behinderungen umzugehen.“
Autor:Mareike Schulz aus Essen-Steele |
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