Der Mann um den man sich reißt (stups NRZ 7.Nov.1949)
Zwischen C. & A. und Rathaus hat er sein „Standquartier“. Nur wenige Quadratmeter. Mit einem roten Schirm überdacht. Hier ballen sich die Menschenmassen zusammen, wenn Josef sein Stentororgan erschallen läßt. Er kennt die Psyche des Käufers, weiß, wo er die Stimme heben oder senken muß. Kennt genau, wie ein guter routinierter Schauspieler, die Stelle wo ein zum Schmunzel reizendes Extempores angebracht ist und – hat Erfolg. Der Absatz ist reißend.
Nach dem Krieg entdeckte Herr Schäfer sein großes Talent als Neuheitenverkäufer. „Ich vertreibe nur erstklassige Neuheiten“, sagte er uns, „es liegt mir nicht, dem Publikum Kitsch oder minderwertiges Zeug anzudrehen.“ Augenblicklich vertreibt er eine moderne Solinger Rasierklinge mit neuartigem Apparat. Eine Revolution auf dem Gebiet des Bartschrappens.
„Sehnse, meine Damen und Herren“, so lautet eine Redewendung Josefs, „wenn Sie diesen Apparat benutzen, dann haben Sie das Gefühl, als würden die Haare mit einem weichen Tuch abgewischt.“ Und dann setzt er die Theorie in die Praxis um, ergreift sich aus der Menge einen unrasierten Mann und macht dessen Gesicht, ohne es einzuseifen, aalglatt. Um die unverwüstliche Güte des Gegenstandes noch, mehr ins rechte Licht zu rücken, fährt er mit der Klinge wie mit einem Hobel über raues Holz, und siehe da: sie schneidet genauso scharf, als sei nichts geschehen.
Vor etlichen Wochen hat er Gürtel verkauft. Es war ein ungewöhnlicher Erfolg geworden. Die einheimische Geschäftswelt wurde aufmerksam. Macht Josef verlockende Angebote: 600, 700, 800 DM im Monat, dazu Umsatzprovision. Josef aber lehnte ab. Er liebt die Freiheit und will sein eigener Herr bleiben. Vor allem bereitet es ihm innere Genugtuung, den deutschen Erfindern den Weg zu ebnen. Und so ist Herr Schäfer zwar kein stiller, aber dafür ein umso tatkräftigerer Pionier, wenn es gilt der deutschen Wertarbeit wieder zu ihrem alten Ruf zu verhelfen.
(Josef, war mein Vater)
Autor:Ursula Hickmann aus Essen-Süd |
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