"Kraft-volles" Interview mit der Ministerpräsidentin
Das war knapp. Beinahe hätten wir mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft „Interview-Jubiläum“ feiern können. Doch spät-abends am Maifeiertag waren wir die 51., die sie seit dem Landtagswahlkampfauftakt treffen durften. Für die Lokalkompass-User stellte sich die SPD-Spitzenkandidatin unseren Fragen.
Viele Ruhrgebietsstädte mit Pleite-Haushalt wie Essen hoffen inzwischen auf eine Finanzspritze vom Land. Wer soll das (wie) bezahlen?
Die Landesregierung hat den finanziell notleidenden Städten und Gemeinden in NRW schon direkt nach Amtsantritt 2010 geholfen und wird das auch weiterhin machen. Für uns gilt: Stadt und Land – Hand in Hand. Jedes Jahr erhalten die Kommunen 300 Millionen Euro zusätzlich im Rahmen des Gemeindefinanzierungsgesetzes. Darüber hinaus erhalten die Städte und Gemeinden mit besonderer Haushaltsnotlage durch den „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ in den nächsten zehn Jahren rund 5,8 Milliarden Euro zur Haushaltssanierung. Das schafft den nötigen finanziellen Spielraum, um wichtige Investitionen tätigen zu können. Essen wird übrigens voraussichtlich knapp 41 Mio. Euro zusätzlich vom Land erhalten, wenn wir unser Konzept nach der Wahl weiterführen und die zweite Stufe im Stärkungsspakt zünden können.
Das Revier gibt keine Gelder mehr für den Soli-Ost: Wieder mal nur ein Wahlkampfthema?
Der Solidarpakt ist bis 2019 festgeschrieben. Der Bund muss aber schon vorher bedürftige Städte in NRW unterstützen: Jetzt ist der Westen dran! Deshalb fordern wir, dass bis 2019 die Infrastrukturmittel des Bundes, also die Gelder für Straßen, Schienen, Bahnhöfe oder Forschungseinrichtungen, nach Bedürftigkeit und nicht nach Himmelsrichtung verteilt werden.
Sie haben in Ihrer Legislaturperiode die Idee der Sekundarschule umgesetzt. Wie wollen Sie das Ganztagsangebot in NRW weiter nach vorne bringen?
Der Bedarf an Ganztagsplätzen wächst kontinuierlich. Wir werden die Ganztagsplätze in den kommenden Jahren kontinuierlich ausbauen. Dazu brauchen Kommunen und Land auch die finanzielle Unterstützung des Bundes. Hierzu streben wir eine Grundgesetzänderung an. Bis 2015 sollten alle Kinder und Jugendlichen ein Ganztagsangebot in der Nähe erreichen können. Langfristig setzen wir uns für ein Recht auf Ganztag ein.
Was wird aus dem Rhein-Ruhr-Express? Welche Verbesserung z.B. für die Berufspendler ist mit der SPD in NRW in Sicht?
Die Planungen für den Rhein-Ruhr-Express zwischen Dortmund und Köln laufen. Im Investitionsplan des Bundes bis 2015 sind 184 Millionen Euro vorgesehen, um das Projekt weiter voran zu treiben. Wir hoffen, dass der Bund die weiteren Mittel nun schnellstmöglich freigibt. Und auch die Bahn muss sicherstellen, dass bei ihr die notwendigen Investitionsgelder bereitgestellt werden.
Unser Interview führen wir auf „Zeche Carl“, eine Einrichtung, die gerade erst wieder in enormen finanziellen Problemen steckte. Nur einen Steinwurf weiter steht Essens umjubeltes und gefördertes UNESCO-Weltkulturerbe. Können Sie Kritiker verstehen, die „Zollverein“ -auch mit Blick auf Landesmittel - als Fass ohne Boden einstufen?
Die Förderung der Zeche Zollverein war und ist weiterhin wichtig. Dieses Wahrzeichen besitzt für die Stadt, für die Region, das Land und die gesamte Republik Signalwirkung. Das Weltkulturerbe zieht Besucher aus aller Welt an, ist ein perfekter Werbeträger und sorgt für neue Investoren und Arbeitsplätze.
Bürgerentscheide wie zuletzt gegen Ex-OB Sauerland oder für eine Mülheimer Hauptschule sorgten für Aufsehen. Sind die Hürden für diese Bürgerbeteiligung zu hoch?
Uns war es wichtig, die Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern an Entscheidungen in den Städten und Gemeinden zu erleichtern. Deshalb haben wir die für den Erfolg eines Bürgerentscheids maßgeblichen Quoren gesenkt. Wir wollen also mehr Bürgerbeteiligung möglich machen und so aus Betroffenen Beteiligte machen.
Sie sind NRWs erste „Landesmutter“. Haben es Frauen auf der politischen Karriereleiter schwerer?
Wenn Sie mich so bezeichnen, ehrt mich das, denn den Titel „Landesmutter“ können einem nur die Bürgerinnen und Bürger verleihen. Ich glaube nicht, dass Frauen es heute schwerer haben als Männer. Es ist aber auch nicht leichter. Als Frau wird man in der Politik aber immer noch anders beurteilt als ein Mann. Frauen dürfen emotionaler sein und auch mal mehr Gefühle zeigen. Andererseits gilt man als Frau schnell als zickig, wenn man sich bei einem Thema besonders kämpferisch und zielorientiert zeigt. Ich bin fest davon überzeugt, dass es auf eine gute Mischung ankommt. Deshalb habe ich das erste Kabinett bundesweit zusammengestellt, das mit gleich vielen Frauen und Männern besetzt ist. Ich glaube, dass diese Vielfalt sehr gut für das Erreichen gemeinsamer Ziele ist und Entscheidungen besser macht. Das werden zukünftig auch immer mehr Unternehmen erkennen: Frauen sind heutzutage super ausgebildet und bereichern jedes Team. Allerdings glaube ich, dass auch diese Frauengeneration in vielen Unternehmen nur bis zu einer gewissen Stufe die Karriereleiter erklimmen könnte. Deshalb brauchen wir eine gesetzliche Frauenquote, um Frauen eine gleichberechtigte Chance auf Führungspositionen zu eröffnen. Denn sonst stoßen Frauen auch weiterhin an ein „Glasdach“, wenn es um die Besetzung von Top-Jobs geht.
Über 45 Mio. Euro Neuwahl-Kosten kommen jetzt nie mehr in maroden Schulen, auf defekten Spielplätzen oder in schimmeligen Schwimmbädern an, ...
... doch das muss uns Demokratie wert sein. Im Übrigen liegen die Kosten bei rund 15 Millionen Euro. Doch es hat nicht an uns gelegen, dass es zu Neuwahlen gekommen ist. FDP und Linke haben sich bei den Beratungen für den Haushalt 2012 verzockt, weil sie sich gegenseitig darauf verlassen haben, dass der andere schon zustimmt.
Wenn Hannelore Kraft nicht Ministerpräsidentin werden sollte, trifft man sie ...
... natürlich weiterhin mitten in NRW wieder.
Autor:Detlef Leweux aus Essen-Steele |
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