Essener Haushalt 2012: Hilfloses Krisenmanagement
In der Ratssitzung am 23. November ging es um den Haushalt 2012. Sowohl die SPD als auch das sogenannte „Viererbündnis“ aus CDU, FDP, GRÜNEN und EBB boten auf dieser Ratssitzung das Bild eines hilflosen Krisenmanagements, was auch dem Reporter der WAZ auffiel. So begann er seinen Artikel über die Ratssitzung so:
„Der Vertreter der linken Splittergruppe AUF verglich die Entscheidung für den Ausbau der Messe Essen … sinngemäß mit dem Kauf eines Autos. Nur wisse man nicht, ob der Wagen fährt. Am Ende startete der Rat zwar den Motor, eine Hand bleibt aber sicherheitshalber an der Handbremse.“
Damit sich die Essener Bürger selbst ein Bild über die Positionen der sogenannten „Splittergruppe“ machen können, dokumentiere ich hier Auszüge aus der Haushaltsrede von Dietrich Keil, Ratsherr von „Essen steht AUF“, sowie aus der Antragsbegründung zur kräftigen Erhöhung des Gewerbesteuer-Hebesatzes.
Bis gestern Abend lagen über 50 Änderungsanträge zum Haushaltsentwurf vor, ein Rekord. Die allermeisten wenden sich gegen die massiven Kürzungen und Streichungen im Haushaltsplan, weil sie auf Kosten der Leistungen v.a. in sozialen Bereichen gehen.
Gegen diesen Abbau in der Daseinsvorsorge hat die Stadt nur wenige Möglichkeiten, eigenständig ihre Einnahmen zu erhöhen. Eine davon ist die Gewerbesteuer, und ich schlage deshalb vor, den Hebesatz spürbar zu erhöhen, um die Wirtschaft mehr einzubeziehen, die Folgen der Verschuldung Essens zu bekämpfen (Begründung weiter unten). Bisher werden nur die Bürger belastet. So stehen heute neben den Einschränkungen dieses Haushaltsplans satte Gebührenerhöhungen zur Entscheidung - gerade so, als hätten sie zehn Prozent oder mehr auf dem Gehaltskonto. Doch die Einkommen aus Arbeit sind seit Jahren rückläufig.
Zum Scheitern verurteilt
Ich nehme diese Masse von Anträgen auch als Kritik am Haushaltsplan und als Anzeichen dafür, dass diese Art Haushaltspolitik zum Scheitern verurteilt ist angesichts der stets wachsenden Schulden der Stadt. Deshalb werde ich insgesamt dem Haushalt nicht zustimmen, weil die Anträge nichts daran ändern, dass er eine Umverteilung von unten nach oben organisiert.
Ein weiteres Anzeichen für das Scheitern ist: Da schließen sich über zwanzig NRW-Städte zu einem Aktionsbündnis oder besser Notgemeinschaft „Raus aus der Schuldenfalle!“ zusammen. Ziemlich einmalig in der Kommunalpolitik. Letzte Woche ziehen Ihre Chefs und Kämmerer nach Düsseldorf und klagen zu Recht mehr Unterstützung des Landes ein. Dieses Krisenmanagement ist keine gestaltende Politik kommunaler Selbstverwaltung, sondern erzwungene Reaktion auf den Druck der Schuldenkrise, wie wir es in Europa auch von Berlin, Paris und Brüssel kennen.
Vor einigen Wochen kamen 25 NRW-Kämmerer zusammen, weil die Finanzkrise jetzt die Rathäuser erreicht hat, wie die WAZ titelte. Mehr oder weniger offen gibt es inzwischen Ratings für Kommunen und erste Kreditsperren von Banken. Bisher galt als sicher, dass Städte im Haftungsverbund mit dem Land nicht insolvent werden können. Jetzt wittern die Banken Gefahr und machen Druck. So wie im Euroraum auf Griechenland oder Italien. Das ist ein Dammbruch.
Warum kommen Essen, oder Duisburg oder Hagen nicht raus aus dieser Schuldenfalle, die trotz jahrelanger Konsolidierung immer größer wird? Weil sich an der Unterfinanzierung der übertragenen Aufgaben von Bund und Land im Wesen nichts ändert, auch wenn das jetzt zu Recht in die Diskussion kommt. So stiegen mit Hartz IV, dem Aufbau Ost oder dem U3-Ausbau die Belastungen enorm. Dadurch wurde und wird die Verschuldung der Kommunen politisch organisiert. Und gleichzeitig werden von der Bundes- und Landesregierung die Kommunen wegen ihrer wachsenden Schulden zum Sparen gezwungen! In diesem Zangengriff bluten die Kommunen immer weiter aus.
Essens Substanz wird aufgezehrt
Die Folgen sind verheerend für die Menschen dieser Stadt. Wenn fast die ganze Substanz der Deckung der Schulden dient, wenn die Investitionen in diese Substanz, in Infrastruktur und Gebäude weit geringer sind als die Banken an Zinsen erhalten, dann halte ich ein „Weiter so“ in der Haushaltspolitik für nicht verantwortbar.
Dazu fällt mir das Wort von Albert Einstein ein: „Mit derselben Denkweise, die zum Problem geführt hat, kann man es nicht lösen“. Das ist z.B. die Denkweise, mit 500 oder 1000 weniger Stellen in der Verwaltung käme man der Schuldenkrise bei. Damit vergeht man sich in Wirklichkeit an der Essener Jugend, der diese Arbeitsplätze fehlen, vergrößert die Arbeitslosigkeit bei Überbelastung der verbleibenden Beschäftigten, verringert die Lebensqualität in der Stadt, aber auch das Steueraufkommen.
Entgegen dieser Kurzsichtigkeit ist aber meist schon eine Denkweise tabu, die nicht hinnimmt, dass alles „Sparen“ durch Einschränkungen und Kürzen von Leistungen für Zinsen an die Banken draufgeht, eine Denkweise, die sich vorstellen kann, was man mit den Zinssummen von jährlich 100 Mio aufwärts alles in die Lebensqualität dieser Stadt investieren könnte.
Beschönigende Zahlenakrobatik
Nun reicht der Kämmerer Zahlen nach, die für 2011 bessere Einnahmen vor allem aus Steueraufkommen sowie niedrigere Zinsen belegen als angesetzt. Dazu muss erlaubt sein zu fragen, ob diese Ansätze des Haushaltsplans nicht von vornherein so geplant sind, dass am Ende ein bestimmter Erfolg herauskommt. Denn die Abweichungen sind auffallend. Davon abgesehen ist es eine hochspekulative Denkweise, angesichts der offenkundigen weltweiten Finanzkrise mit der Gefahr einer erneuten Wirtschaftskrise diese „Erfolge“ einfach hochzurechnen bis 2015.
Eine andere Denkweise wäre, weiter zu denken als das gewohnte System erlaubt und einen Schnitt zu machen. Einen Schuldenschnitt wie er in Europa längst diskutiert wird. Also z.B. Teile der Schulden abzuschreiben für die Gläubigerbanken der Stadt, und die Zinszahlungen auszusetzen und entsprechend zu verringern. D.h. das Problem zu lösen auf eine neue Art, die die Banken als Nutznießer der Verschuldung dazu heranzieht und nicht nur die Bürger belastet. Früher oder später werden die Menschen auch dafür auf die Straße gehen.
Das ist keine Utopie oder linke Spinnerei. Wenn die Frage einer Insolvenz, im Euroraum eines Staatsbankrotts steht, dann zeigt sich, dass die Banken auch mit Bruchteilen ihrer sonst ja unantastbaren Forderungen vorliebnehmen. Und diese Frage steht. Ein staatlicher Schutzschirm ist überfällig für Kommunen in Not statt für Banken, die sich verzockt haben. Das geht nicht von jetzt auf gleich. Aber ich schlage vor, mit dem Haushaltsbeschluss heute die Landesregierung aufzufordern, sich für gesetzliche Regelungen einzusetzen, die diesen notwendigen Schnitt einleiten.
Weiter ist vom Land zu fordern, die Stadt zu entlasten durch eine Einbeziehung in den „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ statt dem diskriminierenden Ausschluss davon, nur weil hier schon schmerzende Sparbemühungen unternommen wurden. Umgekehrt ist es nicht zumutbar, den Empfängern von Mitteln aus diesem Projekt Sparforderungen aufzuerlegen, die ihre prekäre Lage nur verschlimmern. Der Rat sollte die Landesregierung auch auffordern, sich im Bund für ein Gemeindefinanzierungsgesetz einzusetzen, das nicht die Kassenlage des Bundes, sondern den realen Bedarf vor Ort als Leitlinie hat.
Gewerbesteuer deutlich erhöhen
Aus der Begründung des Antrags von Essen steht AUF zur Erhöhung des Gewerbesteuer-Hebesatzes von 480 auf 520 Punkte (der Rat beließ es bei der bisherigen Höhe):
Der Anteil der Kommunen am Gesamtsteueraufkommen der BRD sinkt kontinuierlich auf jetzt weniger als 13 Prozent (Dänemark: 40%). Das ist eine der Quellen der kommunalen Finanzkrise wie in Essen. Die von der Kommune entscheidbare Höhe der Gewerbesteuer unterliegt dabei oft einer freiwilligen Selbstbeschränkung, die der prekären Finanzlage widerspricht.
Für rd. 1 Mrd. wurden lt. EWG in den letzten fünf Jahren Immobilienentscheidungen von Unternehmen in Essen getroffen. Der Einfluss der Gewerbesteuer auf Unternehmensentscheidungen ist weit geringer als von interessierter Seite oft beschworen wird. Die Gewerbesteuer macht zusammen mit der Körperschaftssteuer im Durchschnitt weniger als 30 Prozent des Gewinns von Kapitalgesellschaften aus.
An allen Ausgaben eines Unternehmens hat die Gewerbesteuer im Schnitt nur einen Anteil von 3 Prozent – wenig im Verhältnis zu den Leistungen der Stadt für „ihre“ Betriebe. Kleine Gewerbebetriebe wie Einzelunternehmen und Personengesellschaften sind nur wenig betroffen, da die Gewerbesteuer in der Regel ganz oder zum großen Teil auf die Einkommensteuer angerechnet wird.
Untersuchungen zeigen, dass bei Standortentscheidungen das Kriterium der lokalen Gewerbesteuerhöhe erst etwa an achter bis zehnter Stelle steht. Viel wichtiger dafür sind Faktoren wie Marktnähe, Potential der Arbeitskräfte, Infrastruktur, Logistik, Zulieferstruktur und die sog. weichen Faktoren.
Es gibt deshalb keinen wesentlichen Grund, sich bei der für Betriebe nur nachrangig wichtigen Gewerbesteuer zurückzuhalten und in negative Konkurrenz zu anderen Städten zu treten. Ein Anstieg der Gewerbesteuer hilft dagegen der Stadt mit bis zu 10 Mio Mehreinnahmen pro 10 Prozentpunkte, und ist von der Wirtschaft zu verkraften. Ein Anstieg um 40 Prozentpunkte setzt Essen zwar mit an die Spitze der Hebesätze bundesweit, setzt aber auch ein Zeichen, denn Essen steht auch in der Verschuldung an der Spitze.
Der Beitrag der Wirtschaft zur finanziellen Situation Essens ist spürbar zu erhöhen, um Spielraum für die Daseinsvorsorge der Bürger zurückzugewinnen.
Autor:Bodo Urbat (Essen steht AUF) aus Essen-Nord |
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