Das Ende der Borbecker Nachrichten und die Abschiedszeremonie der Bürgerschaft
Redaktionsschlußdebatte in der Borbecker Bahnhofshalle
Nach fast 70 Jahren sehr lebendigen Zeitungslebens für Borbeck und all die Essener Stadtteile, die nach alter Tradition Borbeck als ihr Zentrum betrachten, ist am 31. August die allerletzte Ausgabe der "Borbecker Nachrichten erschienen.
In Zukunft haben Borbeck Kurier und die Stadtteilseiten von WAZ/NRZ ein Monopol, wenn es um die Berichterstattung für den größen Teil des Essner Nord-Westens geht. Die "Borbecker Nachrichten" hatten sich als Wochenzeitung zum Preis 1,40€ nicht nur um den Stadtbezirk IV gekümmert. Sie war ja auch deutlich älter als die heutige Einteilung Essens in 9 Stadtbezirke. Auf dem Kopf der Borbecker Nachrichten war ihr klassisches Einzugsgebiet exakt vermerkt: Borbeck, Dellwig, Frintrop, Gerschede, Schönebeck, Bedingrade, Bochold, Bergeborbeck, Vogelheim und Altendorf.
Zeitungstod ohne erkennbare Rettungsversuche
Das alles brachte am 28. August eine stattliche Menge an Borbecker Bürger*innen dazu, sich in der alten, aber mit Stadtteilmotiven perfekt renovierten Wartehalle des Borbecker Bahnhofs zu einem Zeitungsabschied zu treffen. Da ging es dann nicht nur um die Würdigung der journalistischen Arbeit überall die Jahrzehnte, sondern auch um eine kritische Würdigung der aktuellen Firmenpolitik des heutigen Besitzers "Funke-Mediengruppe. Nicht nur die jetzt scheidende Redaktionsleiterin der "Borbecker", Suzanne Hölter und ihr Redaktionsteam waren vor Ort, die natürlich den Beifall der versammelten Bürgerschaft erhielten. Vertreter Borbecker Kulturvereine, diverser Sportvereine, grüne, schwarze, rote Bezirksvertreter*innen, Ratsherren und Ratsfrauen, der Bezirksbürgermeister, mit Ausnahme des rechten Rands kam mit rund 180 Personen das ganze Borbecker Spektrum noch einmal zu diesem Zeitungsabschied zusammen.
Tatsächlich waren sogar Thomas Kloß und Frank Hager aus der Geschäftsführungsetage der Funke-Mediengruppe hier herunter nach Borbeck gefahren. Sie folgen ( eher überraschend) einer Einladung des "Borbecker Bürger- und Verkehrsvereins" und stellten sich tatsächlich den rundum kritischen ( aber beleidigungsfreien ) Fragen der dort versammelten knapp Bürger*innen. In einem der Artikel in der Abschiedausgabe der "Borbecker" ist der Verlauf dieser Debatte gut nachzulesen.
Mitten in den Sommerferien
- Verkündigung des Borbecker Nachrichten Endes
Natürlich verteidigten der beiden Herren der Funke-Gruppe die Entscheidung ihrer Firma. Der Glaube daran, dass die Funke-Mediengruppe wirklich ernsthafte Versuche unternommen hätte, um diese kleine Wochenzeitung ein Überleben zu ermöglichen, hielt sich beim Publikum in der Borbecker Bahnhofshalle trotzdem in engen Grenzen.
Wieso gab es keine Kampagnen für neue Abokunden als die Verkaufszahlen erneut schlechter wurden, keine Warnhinweise in Richtung Bürgerschaft, die wahrscheinlich versucht hätte, auch örtliche Gewerbe- und Handwerksbetriebe oder durchaus noch im Borbecker Raum arbeitende Großbetriebe wie Deichmann zu motivieren, Anzeigen für die Traditionszeitung zu schalten? Leider existierte im Gegensatz zu früheren Jahren auch keine eigene Webseite der Borbecker Nachrichten mehr, die als Teaser oder Lockmittel zum kauf der ganzen Zeitung hätte genutzt werden können.
Das alles passierte leider nicht, stattdessen wurde die Entscheidung zum Zeitungsaus mitten in den Sommerferien verkündet, wohl um die Zeitungsabwicklung möglichst geräuschlos vollziehen zu können.
Nachfolgerin für journalistische Arbeit der Borbecker entwickeln
Niemand unter den knapp etwa 180 versammelten Bürger*innen bezweifelte, dass eine Zeitung, die längerfristig wie von der Geschäftsleitung dargestellt, jährlich 6-stellig in den roten Zahlen steckt, irgendwann am Ende ist. Diese Geschäftsabwicklung aber ohne Vorwarnung und Möglichkeiten zu bürgerschaftlichen Rettungsaktivitäten durchzuziehen, ist nicht der beste Geschäftsstil.
Wenn jetzt also mit den Borbecker Nachrichten für die Funke-Mediengruppe ein 6-stelliger Kostenfaktor beseitigt wurde, wäre es zumindest eine schöne Geste, ein künftiges Archiv der Zeitungsbestände der Borbecker und weiterer Materialien dort mit einer deutlichen Funke-Spende zu starten. Auch die frühere CDU-Ratsfrau und jetzt vor allem in Borbecker Kulturvereinen aktive Suzanne Asche hatte ein besondere Bitte an die Herren Kloß und Hager. es sollte Gespräche geben, ob nicht z.B. eine profesionell betreute Internetwebseite das publizistisch-journalistische Erbe der Borbecker Nachrichten antreten könnte. So etwas im Frieden mit der Funke-Gruppe, statt im Konflikt zu starten, würde sicherlich vieles erleichtern.
Essener Zeitungslandschaft nach 1945 - ein Überflug
Am 8. April 1949 war die erste Ausgabe dieser besonderen Wochenzeitung mit strikt lokalem Profil erschienen. Gründer Wilhelm Wimmer und vor allem dessen Sohn Walter Wimmer hatten diese Zeitung über die Jahrzehnte zu einer informativen wie identitätsstiftenden Institution für "Groß-Borbeck" werden lassen. Während einstmals stolze Tageszeitungstitel wie "Essener Allgemeine Zeitung" oder das "Essener Tageblatt" untergingen, wuchsen die Borbecker Nachrichten sogar noch.
Trotz allen Zeitungssterbens links und rechts, trotz aller vorhergehenden Fusionen des Ruhrgebietsjournalismus, bei denen nur noch Abteilungen des WAZ und heutigen Funke-Medienkonzerns übrig blieben, konnten sich die Borbecker Nachrichten noch bis zum Jahr 2000 als eigenständiges Zeitungsunternehmen halten. Bevor auch sie nach einem Firmenverkauf unter dem Dach der damaligen "WAZ-Zeitungsgruppe" eingereiht wurde, konnte die "Borbecker" noch eine Verkaufsauflage von über 14000 Wochenexemplaren vorweisen. Aber schon damals hatten die Gratisstadtteilzeitungen der heute zur Funke-Mediengruppe gehörenden "WVW - Westdeutsche Verlags- und Werbegesellschaft mbH" z.B. mit dem "Borbeck-Kurier" eine starke Vorortkonkurenz bedeutet.
Aktuell ist die gesamte Essener Medienlandschaft recht monopolistisch von der Funke-Gruppe bestimmt - zu ihr gehören insbesondere die beiden Lokalzeitungen WAZ und NRZ, die Gratisanzeigenblätter des Stadtspiegels - also z.B. Borbeck Kurier, Nord-, Süd-, Westanzeiger; die noch noch verbliebenen Werdener Nachrichten als Wochenkaufzeitung , die Mehrheit am Lokalfunk Radio Essen und z.B. der Klartextverlag.
Zwar gibt es eine lokale Gratismonatszeitschrift "Informer", die sich z.T. journalistische Rückendeckung durch Kooperation mit dem "Focus" holt, aber für die alltägliche lokale und auch Ruhrgebietsnachrichten und Recherche-Arbeit ist neben der Funke Gruppe eigentlich nichts mehr übrig geblieben. Die WDR-Studios in Essen und dem Ruhrgebiet machen laut Aufgabenspektrum ja vor allem regionale und ausdrücklich keine lokale Medienarbeit.
Ob vor allem ehrenamtliche Journalistik auf oft wenig bekannten Webseiten hier Lückenfüller oder gar Erneuerer sein kann, ist leider zweifelhaft.
Walter Wandtke
Autor:Walter Wandtke aus Essen-Nord |
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