"Kind des Kohlenpotts": Margarete Schiffer wird Mittwoch 90 Jahre jung

Mit ihren „Sentenzen für jeden neuen Tag“ hat Renata Margarete Schiffer 2005 schon ihr, wie sie es nennt, „Lebensabschiedsgeschenk“ für ihre Verwandten verfasst. Doch zu sagen hat Steeles Schiffer noch so einiges – vor allem, wie man im Alter glücklich bleibt.
Sie wohnt am Rauhölterberg und hat hier einen gigantischen Ausblick über die Stadt. Renata Margarete Schiffer thront quasi über Steele, wenn sie ihren „blauen Salon“ im Obergeschoss mit heimeligem Wintergarten öffnet. Und thronen, dass darf sie, schließlich wird sie am 9. November 90 Jahre alt und hat ein bewegtes Leben hinter sich.
Renata hieß sie nicht immer – und Schiffer auch nicht! 1921 wurde sie in Sprockhövel geboren, wuchs in Bochum auf. Sie arbeitet bei der Bundesbahn und lernt hier ihre große Liebe Willy „Will“ Schiffer kennen. Bevor das junge Paar zusammenziehen kann, kommt der zweite Weltkrieg dazwischen. Harte Jahre für das junge Glück, denn kurz vor Kriegsende hört Margarete Thurm erst einmal ein Jahr nichts mehr von ihrem Will. Gezweifelt an seiner Liebe hat sie aber nie - schlug Angebote anderer junger Männer aus und wusste einfach, dass ihr Will zurückkehren wird. Und das tat er auch - 1951 konnte das Paar endlich heiraten, wohnte zunächst aber noch in Bochum im Elternhaus von Margarete Schiffer. Den „Steeler Jung“ zog es aber bald gen Heimat und nach einem kurzen Zwischenstopp am Bismarckplatz hatte das junge Ehepaar 1955 die Chance, das Haus am Rauhölterberg zu bekommen. „Meine Schwiegereltern wohnten in der Augenerstraße und von Freunden erfuhren wir, dass dieses Haus versteigert werden sollte“, so Schiffer. Einige Klippen waren noch zu umschiffen, bis die Schiffers ihr Traumhaus endlich ihr Eigen nennen konnten. Um-, an- und ausgebaut wurde dann kontinuierlich. Aber nicht nur hier: „Durch meinen Will lernte ich nicht nur die Liebe an sich kennen, sondern auch die Liebe zum Meer“, verrät Margarete Schiffer. 1968 kauften sie ein Grundstück auf der Nordseeinsel Wangerooge und erfüllten sich den „Traum vom kleinen weißen Haus am Meer“. Das ist bis heute ebenfalls zu einem stattlichen Ferienhaus ausgebaut worden und Margarete Schiffer verbringt hier die Hälfte des Jahres. Auf Wangerooge ist sie im Lions-Club aktiv und verrät nicht ohne Stolz: „Ich bin die älteste aktive Lions auf der Welt!“. Und das soll, wenn es nach ihr geht, auch noch lange so bleiben. Sie gibt zu, ein „ausgeprägtes Helfersyndrom“ zu haben und möchte den Menschen, die ihr gut tun, auch Gutes tun. Deshalb denkt sie auch noch lange nicht ans Aufhören, wenn auf der Insel an den Weihnachtstagen die traditionelle Lions-Lotterie startet. „Seit acht Jahren stehe ich in der Bude und verkaufe Eierpunsch“, so Schiffer. „Raten Sie mal, wer da meine beste Kundin ist“, scherzt sie. Da aber auch vor ihr das Alter nicht Halt macht, muss sie sich seit zwei Jahren mit kleineren Wehwehchen rumärgern. „Zum 88. wollte ich eine große Party schmeißen und hatte dann einen Bandscheibenvorfall. Nichts hat geholfen und ich habe mir dann gesagt, ich muss meine Selbstheilungskräfte aktivieren. Seitdem geht’s wieder besser.“ Doch weite Strecken auf der Insel legt sie nun lieber mit ihrem High-Tech-Elektroscooter zurück. „Das ist der Porsche unter den Gehhilfen“, lacht Schiffer. „Leider gab‘s den nicht in hellblau, aber er ist silbrig.“ Hellblau, Silber und Weiß, das sind die Farben der Schiffer. Ob in Steele oder auf Wangerooge - dieser Farbstil herrscht vor. Und auch sie selbst trägt diese Farben am liebsten. „Jede Frau, die kein Typ ist, kann hellblau tragen“, lacht Margarete Schiffer.
Doch zurück zu ihrem Elektroscooter: Mit dem wird sie in diesem Jahr erstmals die Lose unters Volk bringen. „In der Bude stehen kann ich ja nicht mehr. Also brause ich mit meinem Scooter und einem Bauchladen durch die Straßen.“ Mit den Einschränkungen, die sie durch ihr hohes Alter hat, kann sie nun leben. Generell scheint Renata Margarete Schiffer mit sich im Reinen zu sein. „Ja, ich habe mit niemandem mehr eine Rechnung offen“, sagt sie. Mit ihrem Will, der vor zwanzig Jahren starb, war sie besonders eng verbunden, wollte nach seinem Tod selbst nicht mehr leben. „In unserer Ehe ist nie ein böses Wort gesprochen worden. Das lag aber nicht an mir, sondern an meinem Mann. Mit mir kann man schon Krach kriegen“, verrät sie. Aus dem tiefen Loch der Traurigkeit hat sie schließlich ein Mann gerettet. „Ich war damals im Krankenhaus und am Tag meiner Entlassung sah ich an der Kapellentür des Krankenhauses einen Spruch, den ich auch in meinem Buch zitiere ‚Die beste Medizin für den Menschen ist der Mensch‘. In Pfarrer Grassmann, dem Krankenhausseelsorger, fand ich diese Medizin, denn er hörte mir einfach zu.“ Pfarrer Grassmann war es auch, dem Margarete Schiffer versprach: „Ich will wieder leben. Und wenn es soweit ist, will ich Renata sein – die Wiedergeborene!“. Sie hat sich zurückgekämpft und tut weiter Gutes.
An ihrem Geburtstag ist sie nicht in Steele anzutreffen. Wohin es sie zum 90. Wiegenfest zieht, wollte Margarete Schiffer uns nicht verraten. „Wenn ich groß etwas ankündige, passiert bestimmt wieder etwas. Also tauche ich unter.“ Wer weiß, vielleicht ist die selbsternannte seekranke „KuHu“ („Kurz unter Hundertjährige“, Anm. d. Red.) ja doch wieder auf einem Kreuzfahrtschiff und erkundet noch einmal den Nord-Ostsee-Kanal ? Fakt ist, egal wo das Geburtstagskind ist, dort herrscht Gute-Laune-Garantie. Denn: Renata Margarete Schiffer ist niemals miesepetrig, sie strahlt immer und ist einfach dankbar für die vielen glücklichen Momente, die sie erleben durfte.
Die KURIER-Redaktion sagt dem „Kind des Kohlenpotts“ herzlichen Glückwunsch zum 90. Geburtstag und wünscht viel Gesundheit und Zufriedenheit und noch etliche schöne Momente.

Autor:

Mareike Schulz aus Essen-Steele

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