Bürgerversammlung in der Friedenskirche in Essen-Steele am 13.Februar 2020
„Steeler Jungs“ sind Thema einer Bürgerversammlung in Essen-Steele
„Wir wollen über das friedliche Zusammenleben im Stadtteil und den Umgang mit den ‚Steeler Jungs‘ reden. Dazu werden wir mit Fachleuten auf dem Podium und den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen“, heißt es in der Einladung zur Bürgerversammlung in der Friedenskirche in Essen-Königssteele.
Eingeladen hatten mehrere Organisationen und Vereine und auch die evangelischen und katholischen Kirchengemeinden. Entsprechend groß war das Interesse. Die Friedenskirche war bis auf den letzten Platz besetzt.
Auf dem Podium diskutierten miteinander:
Pastor Dr. Andreas Geßmann, St. Laurentius in Essen-Steele, Irene Wollenberg, Sprecherin „Steele bleibt bunt“, Christian Kromberg, Ordnungsdezernent Stadt Essen, Vivanne Dörne, Projekt Quartiersdemokraten, Dortmund, und Leon Finger, Vorstand Initiativkreis City Steele. Moderiert wurde die Veranstaltung von Event- und PR-Berater Uwe Loch.
Pfarrerin Hanna Mausehund begrüßte die vielen Besucher und erläuterte zusammen mit Moderator Uwe Loch Sinn und Zweck der Veranstaltung. Oberbürgermeister Thomas Kufen sprach ein Grußwort und wünschte der Veranstaltung gutes Gelingen.
Seit 2018 machen die „Steeler Jungs“ Spaziergänge durch Steele, anfangs donnerstags, jetzt dienstags. Diese von ihnen als „friedlich“ bezeichneten Spaziergänge werden von vielen Bürgern eher als bedrohlich empfunden, zumal ihnen nicht klar ist, wofür genau die „Steeler Jungs“ stehen. Daher vermeiden sie es, an den entsprechenden Tagen die Steeler Innenstadt zu besuchen. Das hat auch zu Beunruhigungen unter den Geschäftsleuten geführt. Als Gegenreaktion haben sich mehrere Gruppen gebildet, wie „Steele bleibt bunt“, „Essen stellt sich quer“ und die sehr umstrittene „Antifa“, die ebenfalls demonstrieren. Das hat zu offenen Auseinandersetzungen der gegensätzlichen Gruppen geführt und manchmal zu riesigen Polizeiaufgeboten.
Die Veranstaltung sollte dazu beitragen, die damit verbundenen Probleme zu klären und zu bewältigen.
Leon Finger als unmittelbar Betroffener betont, es ginge nicht nur um die „Steeler Jungs“. Er fordert mehr „Sicherheit vor Ort“ und beklagt die Reduzierung der Anzahl der Streifenwagen und Doppelstreifen im Essener Osten. Als Folge davon sei die Anzahl der Einbrüche gestiegen. Andererseits würden durch die Demonstrationen und die damit verbundenen riesigen Polizeiaufgebote die Ängste der Bürger noch verstärkt. „Die Werbegemeinschaft Steele ist kein politischer Verein“, sagt Finger, „wir vertreten die Interessen der Kaufleute, die Umsatzeinbußen verkraften müssen. Wir wollen keine Demonstrationen aus dem rechten Lager, aber auch nicht aus dem linken Lager.“ Finger plädiert ähnlich wie Pfarrer Geßmann für Friedensgebete, wie die ökumenischen Friedensgebete auf dem Steeler Grendplatz. „Dabei brauchen wir keine Polizei“.
„Wir müssen positive Botschaften schaffen“, sagt Dezernent Kromberg und weist darauf hin, dass die Kriminalitätsrate in Essen gesunken, die Aufklärungsquote gestiegen ist. „Es besteht kein Grund, die Sicherheit selbst in die Hand zu nehmen. In Bezug auf das Phänomen ‚Steeler Jungs‘ erkennen wir ganz klar Rechtsradikalität, eine deutliche Übereinstimmung mit faschistoiden und rechtsradikalen Tendenzen. Die Demonstrationen haben bundesweit Aufmerksamkeit erregt. Sie spielen den ‚Steeler Jungs‘ in die Karten. Es gibt gute Ansätze, die damit verbundenen Probleme zu lösen. Aber wir müssen noch viel mehr tun. Es geht um einen gemeinsamen Weg, wie wir uns gegen rechts und links abgrenzen und wieder in Frieden leben können. Das ist eine Aufgabe, die wir nur gemeinschaftlich schaffen können. Steele ist ein Stadtteil, der tolerant und offen ist. Vielfalt und Demokratie wird hier gelebt und nicht Extremismus. Wir können von Dortmund-Dorstfeld lernen, wo laut Vivanne Dörne die Situation ähnlich ist. Aber Dortmund hat mehr Erfahrung im Umgang mit diesem Problem. Wir schauen uns Konzepte von anderen Städten an, z.B. von Berlin und München. Das, was gut ist, übernehmen wir.“
Irene Wollenberg sagt, es sei dringend notwendig, dass die Gesellschaft genau wahrnimmt, was am rechten Rand passiert. „Wir möchten einen Stadtteil der Vielfalt, wir wollen auch die Sorgen der Bürger beachten. Aber wir möchten nicht, dass Migranten beschimpft werden. Unser Anliegen ist ‚Bitte schaut nicht weg‘. Das ist auch im Sinne der Geschäftsleute. Die Spaziergänge der ‚Steeler Jungs‘ brauchen wir nicht.“
„Das Publikum ist eingeladen, sich an der Diskussion zu beteiligen“, hieß es in der Einladung. Dazu bekamen die Zuhörer nach der Podiumsdiskussion Gelegenheit, obwohl sich wegen der begrenzten Zeit nur wenige äußern konnten.
War die Podiumsdiskussion bis auf einen Zwischenruf aus der Gruppe der zahlreich erschienenen „Steeler Jungs“ bisher friedlich verlaufen, wurde es nun zeitweise sehr laut, weil die „Steeler Jungs“ sich vehement gegen die auch von Zuhörern erhobenen Vorwürfe gegen sie wehrten, so dass Moderator Loch, der mit seinem Mikrophon durch die Gänge eilte, Schwierigkeiten hatte, sich Gehör zu verschaffen. Aber auch die Gegenseite war nicht leise. Auch die „Steeler Jungs“ bekamen Gelegenheit, sich zu äußern. Sie beklagten, dass der Dialog mit ihnen nicht gesucht würde und dass die Gegendemonstrationen von „Steele bleibt bunt“, „Essen stellt sich quer“ und „Antifa“ Unruhe in den Stadtteil gebracht hätten. „Von links wird nur gehetzt. Aber ich bin nicht rechtsradikal und distanziere mich vom extremen Rechtsradikalismus“, sagt eine Frau. „Die Antifa ist eine Gruppe von Terroristen und Gewaltbereiten“, sagt ein Mann. Schon vor der Veranstaltung wurde ein Flugblatt der „Steeler Jungs“ in Briefkästen in Steele gesteckt, auf dem es heißt „Auf gute Freunde, tolle Nachbarschaft und ruhigere Wochentage … Schluss mit falschen Beschuldigungen, Lügengeschichten, linker Hetze, riesigen Polizeiaufgeboten …“
Noch einmal kommt Irene Wollenberg zu Wort und zählt auf, was die „Steeler Jungs“ ihrer Meinung nach alles falsch gemacht haben bis hin zu Bedrohungen. Offen rassistisch seien die „Steeler Jungs“ sagt eine Besucherin und erfährt in einem Zwischenruf prompt Widerspruch: „Wir sind keine Rassisten“.
Dass die „Steeler Jungs“ von sich behaupten, sie seien friedlich, wird nicht nur, wie oben erläutert, von Dezernent Kromberg in Abrede gestellt. Es ist immer problematisch, zu verallgemeinern, aber es bleibt zu vermerken, dass es sowohl im „rechten Lager“ als auch im „linken Lager“ extreme Strömungen gibt, die die sowieso schon angeheizte Stimmung weiter anheizen, sodass der Staat, wie oben gesagt, sich einige Male genötigt sah, riesige Polizeiaufgebote bereitzustellen.
„Wir sollten mehr miteinander reden statt übereinander“, sagt eine Zuhörerin. Das ist an diesem Abend etwas zu kurz gekommen, wie man es schon an der Liste der Podiumsteilnehmer sieht.
Zum Schluss äußert eine Zuhörerin, interessanterweise eine Essener Politikerin, dass sie sich über einen persönlichen Dialog freuen würde.
Es bleibt die Frage, ob es dafür nicht schon zu spät ist. Die Situation scheint verfahren, scheint sich verselbstständigt zu haben.
Editiert am 18.02.2020 17.30 Uhr
Autor:Manfred Jug aus Essen-Steele |
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