Deutsch nicht (mehr) gefragt? Werbung in der Fußgängerzone in Essen-Steele

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Liebe Leser,
gehen Sie gerne zum „Friseur“?

Wenn ja, dann gehören Sie wahrscheinlich zu der eher konservativen Gruppe der Steelenser und Freisenbrucher.

Denn in Steele und Freisenbruch geht man heute zum „Haarstudio“ oder zur „haircompany“, wo man sich einen attraktiven „starschnitt“ verpassen lassen will. Die „Haar Oase“ verspricht Wohlgefühl, und das „Haar Paradies“ suggeriert höchste Wonnen. Wer meint, dass sein Haar eine Generalüberholung braucht, dem kann in der „haarwerkstatt“ geholfen werden. Und wer nach neuen Herausforderungen sucht, der ist wahrscheinlich in der „Hair-Conversion“ richtig.
Deutsch : Englisch = 5 : 2. Bisher nur zwei englische Wörter unter sieben Werbebegriffen.

Schauen wir uns doch einmal weiter in der Fußgängerzone in Steele um.

Vermissen Sie den Sommerschlussverkauf? Kein Problem! Wo „Sale“, „Super Sale“ oder „Final Sale“ steht, können Sie wahrscheinlich gut und günstig einkaufen. Sie haben nicht genügend Geld dabei? Auch kein Problem, es gibt ja „SB-Banking“.
„Gratis-Cash“? Gratis = kostenlos. Cash = Bargeld.
Ein kostenloser Geldsegen?

Jetzt haben Sie wieder genügend Geld. Dann auf zu „Come in“. Hier erwartet Sie Mode, ebenso wie bei „fashion“, „women’s fashion“, „New Looks“, „Lady-Strick“ und „Die Neue Collection“. Die kreative Kombination von Deutsch und Englisch bei den letzten beiden Namen ist Ihnen bestimmt aufgefallen. Auch bei „First&Second-Hand“ und „Second Hand&More“ finden Sie vielleicht etwas für Ihren ausgefallenen Geschmack.

Interessieren Sie sich jetzt schon für die kommende Herbstmode, dann sollten Sie den „Season Preview“ nicht verpassen.

Sie bekommen am Wochenende überraschenden Besuch von wichtigen Gästen und haben nichts Passendes im Haus? Rufen Sie doch einfach den „Party-Service“ an.

Ja, liebe Leser, wir Deutschen lieben die englische Sprache. Deshalb erfinden wir auch gerne Wörter, die englisch klingen, die es in der Originalsprache aber gar nicht gibt.

Berühmte Beispiele: „Handy“ und „Oldtimer": Alte Autos heißen im englischsprachigen Raum classic car oder vintage car, alte Männer hingegen old-timer. Noch verrückter: „Public Viewing“ – sehr populär beim „Rudelgucken“ bei der Fußballweltmeisterschaft 2014 - , was in der englischen Sprache aber hauptsächlich für die Leichenschau verwendet wird.
"Engländer und Amerikaner lachen sich kaputt über den deutschen Drang zum Englischen." zürnt der Vizevorsitzende des „Vereins Deutsche Sprache“, Gerd Schrammen. (Spiegel-online, 28.Juli 2004)

Warum zur „Gamescom“ nach Köln fahren, da ist es doch sowieso zu voll? Auch in Steele können wir „Games&Fun“ haben. Ob „Life is a game“ immer zutrifft, darf allerdings bezweifelt werden.

Werbung muss wirken, sonst taugt sie nichts. Da sind sich alle Werbeprofis einig. Dass Firmen mit englischen Begriffen Aufmerksamkeit erregen wollen, liegt auf der Hand.
Wieweit sich die Werbewirksamkeit und der Umsatz damit steigern lassen, ist umstritten.

„Anglizismen in der Werbung sind deutschen Konsumenten nicht nur oft unverständlich, sondern lassen sie auch kalt. Das hat die Dortmunder Statistikerin Isabel Kick in ihrer Diplomarbeit herausgefunden. Ihren Ergebnissen zufolge sollten Marketingprofis häufiger auf ihre gute alte Muttersprache zurückgreifen, statt das Publikum mit englischen Slogans zu piesacken.“ (Spiegel-online, 28.Juli 2004)

Ob der absurde Werbespruch „For you. Vor Ort.“ zum Niedergang von Schlecker beigetragen hat? Wer weiß das schon. Schlecker ist Geschichte.

Nennen wir noch einige Beispiele aus der Fußgängerzone in Steele:

„Beauty Lounge“, „Beauty Nails (für Damen und Herren)“, „Body Forme. Style your legs“, „Time Collection“, „Mehr Speed – mehr Internet“, “Provence Feeling”, “Schuh-Service”.
Nach den Sommerferien wollen Schüler gerne “Cool to School” gehen, denn die angesagte Mode trägt zur Anerkennung bei den Klassenkameraden bei.
Bevor Sie sich für „Skin Memories“ entscheiden, bedenken Sie bitte, dass die Haut Erinnerungen ernst nimmt und sie nicht gerne löschen lässt.

Liebe Leser, Sie alle wissen, dass sich viele englische Begriffe so sehr in die deutsche Sprache „eingeschlichen“ haben, dass wir es kaum noch wahrnehmen und dass viele englische Wörter inzwischen als unverzichtbar angesehen werden müssen, z.B. in der EDV.

Und wir etwas Älteren und etwas Konservativeren nehmen leicht resigniert zur Kenntnis, dass es für die junge Generation heute schon selbstverständlich ist zu sagen:
„Ich habe das Programm geupdated (oder „upgedatet“?) und habe die Musik gedownloadet (oder „downgeloadet“?).

Autor:

Manfred Jug aus Essen-Steele

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