Der Schriftsteller Erik Reger Im September 2013 ist hundertzwanzigster Geburtstag – und niemand erinnert sich ?
Warum fällt beim Stichwort Ruhrgebietsliteratur kaum jemandem der Name Erik Reger ein? Es gab und gibt im Ruhrgebiet mehr als Ruhrgebietskrimis und die Literatur der Arbeitswelt. In seiner rund 330 Seiten umfassenden Literaturgeschichte des Ruhrgebiets hat der Essener Literaturwissenschaftler Dirk Hallenberger dem Autor Erik Reger immerhin runde 10 Seiten gewidmet. Der streitbare Geist Reger stand zwischen 1927 und 1933 im Brennpunkt vieler literarischer Auseinandersetzungen, die weit über das Ruhrgebiet hinausgingen. Wahrscheinlich muss schon jetzt die Werbetrommel gerührt werden, wenn zum Hundertzwanzigsten Geburtstag des umtriebigen Publizisten eine Veranstaltungsreihe sein vielfältiges Werk für die Essener Öffentlichkeit wachküssen soll.
Trotz aller literarischen Qualität bleibt hier natürlich ein Problem: Erik Reger hat in den meisten seiner damaligen journalistischen Beiträge, wie auch in den dicken Romanen kaum ein gutes Wort für die geistige Lage des Bürgertums im Ruhrgebiet gefunden. Auch die vermeintlichen Erfolge der hiesigen Arbeiterbewegung in den zwanziger Jahren, gleich ob sozialdemokratisch oder kommunistisch gefärbt, wurden von Reger mit etlichen sarkastischen Bemerkungen und Artikeln begleitet. Revolutionspathos war von Reger nicht zu erwarten. Eher beschrieb er doch, wie gerade Krupp oder andere Ruhrgebietskonzerne den jeweiligen Betriebsräten und Arbeiterparteien in ihren Strategien doch immer eine Nasenlänge voraus waren.
Ehrungen im Nachbarland
Vielleicht ist deshalb bis heute im Ruhrgebiet weder eine Schule, eine Straße oder eine Gasse nach ihm benannt. Stattdessen wird in seinem rheinland-pfälzischen Geburtsort Bendorf seit 1999 im Zwei-Jahresrythmus ein Erik-Reger Literaturpreis verliehen. Unter anderem konnten sich bereits so berühmte Autoren wie Ralf Rothmann, Uwe Timm oder Peter Rühmkorf über diesen mit 10000 € dotierten Literaturpreis freuen. Ausgezeichnet werden hier jeweils literarisch, wie journalistisch hervorragende Auseinandersetzungen mit der Arbeits- , Industrie- und Wirtschaftswelt.
In Berlin wurde vor einigen Jahren Regers Roman „Union der festen Hand“ in ein Theaterstück umgesetzt. Im Rahmen der vielen Kunstaktionen auf unserem Weltkulturerbe Zollverein gelangte es dann glücklicherweise auch für einige Aufführungen nach Stoppenberg und Katernberg.
Öffentliche Ignoranz zum Hundertsten
1893 geboren,scheint Erik Reger heute im Ruhrgebiet fast völlig vergessen. Der 1954 verstorbene Reger lebte über 15 Jahre in Essen. Zu seinem hundertsten Geburtstag am 8.September 1993 wurde er zumindest vom "Berliner Tagesspiegel" gewürdigt, deren Gründer und erster Chefredakteur nach dem 2. Weltkrieg er bis zu seinem Tod war. Die Essener Tageszeitung WAZ erinnerte sich an den bedeutenden Publizisten erst Tage nach dem Jubiläumsdatum, bei der NRZ war gänzlich Funkstille. Eine Initiative der damaligen Grün-Alternativen Ratsfraktion GAL führte Jahre später dazu, dass zumindest an Erik Regers ehemaligem Wohnhaus an der Rellinghauser Str. 201 - unweit des Bahnhofs Essen-Süd - eine kleine Erinnerungstafel angebracht werden konnte.
Erfinder des Industrieromans
Literarisch erhoben über andere Ruhrgebietsschriftsteller, die mit harmlosem Lokalkolorit, Kumpel Anton Ruhrpottglossen, Krimis oder flammender Arbeiter-Revolutionsromantik Auflage machten, hatten ihn zwei weit über 600 Seiten schwere Romane, die 1931 und 1932 im Rowohlt-Verlag erschienen sind.
Der Autor Reger erhielt 1931 für seinen Roman "Union der festen Hand" den begehrten Kleistpreis, den er damals mit Ödön von Horvath teilen durfte. In der Gegenwart finden seine industriekritischen Romane, Essays und dramaturgischen Debatten außerhalb kleiner Unizirkel weder in Essen noch sonstwo im Ruhrgebiet besondere Anerkennung.
An den Romanen im Stil der sogenannten Neuen Sachlichkeit kann es eigentlich nicht liegen. Zeitgenössische Rezensenten wie Siegfried Kracauer gaben nach der Veröffentlichung zustimmende Buchbesprechungen zu Papier. Literarische Qualitätsvergleiche dieser "Union der festen Hand" zu Alfed Döblins "Berlin Alexanderplatz" sind zulässig und wurden nach der Erstveröffentlichung auch betrieben.
Erik Reger hatte in seinem Roman das Zusammenspiel von Ruhrgebietsindustriellen und der von ihr in leichter Distanz gehätschelten, noch kleinen NAZI-Partei in den zwanziger Jahren ausgeleuchtet. Aber auch an den richtungslosen Gewerkschaften, der konservativ-staatstragenden SPD und den nur oberflächlich so revolutionären Industriearbeitern ließ er wenig gute Haare. Die fatale Rolle einer "freien Presse", die mehr Entwicklungen verschleiert, als aufdeckt, stellt Reger in seinem Erstlingsroman ebenso scharf bloß.
Natürlich wurde der Roman 1933 nach der NS-Machtergreifung verboten. Eine erste Nachkriegsneuauflage erschien bereits 1946 - allerdings im Ost-Berliner Aufbau Verlag. 1978 entstand dann eine Fernsehbearbeitung für das ZDF. Immerhin gab es 2007 im Essener Klartext-Verlag eine Neuauflage zumindest der „Union der festen Hand“.
Lebensweg Erik Regers, bürgerlich Hermann Dannenberger
1893 in Bendorf/Rheinland als Hermann Dannenberger geboren, Abitur 1912, nach Kunst, Germanistik und Geschichtsstudium 1914 in die kaiserliche Armee eingezogen, 1917-19 englische Kriegsgefangenschaft. Über 8 Jahre - von 1919 bis 1927 ist Erik Reger, noch unter seinem bürgerlichen Namen Hermann Dannenberger in der Presseabteilung des Krupp-Konzerns beschäftigt. Ab 1927 wird er als freier Publizist und Schriftsteller tätig, nach der NS-"Gleichschaltung" der Medien flieht er von 34 bis 35 ins Schweizer Exil.
1935 sieht Reger die Chance einer gefahrlosen Rückkehr nach Deutschland, um dort bis 1938 im Pressebüro des Arzneimittelkonzerns Böhringer in Mannheim tätig zu sein. In diesen Jahren produziert Erik Reger aber eine Anzahl eher unpolitischer Romanen, paktiert jedoch nicht mit den braunen Machthabern. Schließlich erreicht er eine Anstellung als Romanlektor beim Deutschen Verlag in Berlin.
Als ein politisch unbelasteter kritischer Intellektueller wird er unter den wachsamen der Augen der Westalliierten nach Kriegsende 1945 Gründer des Berliner Tagesspiegel und bleibt bis zu seinem plötzlichen Tod am 10. Mai 1954 dessen Chefredakteur.
„Das Wachsame Hähnchen“ - ein satirischer Großstadtroman
Nach gleichen Darstellungsprinzipien wie im ersten Roman "Union der festen Hand" schildert Reger 1932 mit gewachsenem Sarkasmus die Welt der gutbürgerlichen Kneipiers, Bauspekulanten, lokalen Glücksritter und militaristischen Träumer.
Ein gewinnorientierter Spießbürgerverein und honorabler Stammtisch von Gewerbetreibenden, der so mehr Einfluss auf die Stadtpolitik erreichen will, gibt sich als kommunale Wählergemeinschaft den Namen "Wachsames Hähnchen" das den Titel für den ganzen Roman abgibt.
Eigentlich verkörpert dieser Gockel die Legende, nach der ein wachsamer Hahn durch sein Geschrei die Stadt vor Überfall und Feuersbrunst gerettet habe.
Der über 500 Druckseiten dicke, beim renommierten Rowohlt-Verlag erschienene "Hähnchenroman", enthielt als aktuelles Buch jede Menge politischen Sprengstoff und ätzenden Hohn für den herrschenden kommunalen Filz. Die Liste der Bauskandale, fehlgeschlagener Messe- oder Autowerksansiedlungen wirkt auch 80 Jahre danach recht gegenwärtig. Damals allerdings hatte kommunal noch nicht die SPD auch keine CDU, sondern das katholische Zentrum das Sagen in Essen.
Sicher gelten Sätze weiterhin, die Reger zu einer Neuauflage seiner Bücher 1950 schrieb:
"Die Städte sind in Deutschland mit ganz wenigen Ausnahmen dahin; nicht jedoch ihre Atmosphäre. Was in diesem Roman geschildert wurde, ist in den Vorgängen, in den Charakteren, in den geistigen und moralischen Elementen insoweit ferne Vergangenheit geworden, als es den Untergang der Weimarer Republik erklärt. Aber die Einflüsse, die Gesinnungen sind so beherrschend geblieben, dass der hier dafür geprägte Ausdruck ein noch ebenso gültiges Maß darstellt, wie das Zifferblatt einer Uhr die Zeit zu allen Zeiten gültig misst"
Konkurrenzkampf der Metropolen
Der zeitgeschichtliche Schlüsselroman schildert den Konkurrenzkampf dreier Städte an Rhein und Ruhr um Wohlstand und nationale Anerkennung. Reger zeigt die Einflusssphären spießiger Bürgervereine und die politischen Intrigen einer Kommunalpolitik um den jeweiligen Platz an der Sonne die eigene Stadt.
In diesem „Schlüsselroman“, dessen spöttische Verballhornungen allerdings leicht zu entziffern sind geht es im „Krieg“ zwischen den wichtigsten Städten des Rheinlands heftig zur Sache:
Da gibt es im Norden Wahnstadt mit seinem Oberbürgermeister Schwandt, in dem unschwer Essen und der damalige Oberbürgermeister Franz Bracht zu erkennen sind. Das viel größere in Kohldorf und dessen Oberbürgermeister Hundacker, die mit leichten Änderungen als Köln und Konrad Adenauer zu erkennen sind, kämpft an der Südfront um den Metropolenplatz an der Sonne. Auch mittendrin in Eitelfeld, dem Düsseldorf als Vorbild gedient haben muß, wird beispielhaft vorgeführt, zu welchem umtriebigen Leerlauf Stadtpolitik fähig sein kann. In einzelnen Abschnitten bekommt auch Bochum sein Fett weg.
Gestalten wie Theodor Reckmann, als flotter Zeitungsschreiber. Zeitweiliger Romanschreiber und nationaler Sprücheklopfer vorgeführt, findet mensch in der Wirklichkeit unter dem Nachnamen Reismann-Grone vor. Dort merkt man sein fatales Wirken als Herausgeber der "Rheinisch-Westfälischen Zeitung" und anderer lokaler Gazetten - und wenig später schon- 1933 als erster Nazi-Oberbürgermeister Essens und Seniorvorzeigefigur der Nazis.
Romane mit Gebrauchsanweisung
In Regers "Gebrauchsanweisung" zum ersten Roman "Union der Festen Hand" heißt es:
1. Man lasse sich nicht dadurch täuschen, dass dieses Buch auf dem Titelblatt als Roman bezeichnet wird.
2. Man beachte, dass in diesem Buche nicht die Wirklichkeit von Personen oder Begebenheiten wiedergegeben, sondern die Wirklichkeit einer Sache und eines geistigen Zustandes dargestellt wird.
3. Wenn man in den Reden einzelner Personen Stellen findet, die besonders unwahrscheinlich klingen, so hat man es mit tatsächlichen Äußerungen führender Geister der Nation zu tun
Bewusst vergessen?
Aber es ist merkwürdig, in dem Buch "Essener Köpfe", dem halbamtlichen "Who is who" der Möchte-Gern-Metropole, werden die Person Erik Reger, seine Romane und Aufsätze nicht erwähnt. ( Im Gegensatz etwa zu Christoph Wieprecht, der als kruppscher Arbeiterdichter tiefgläubige Gedichte an Adolf Hitler gerichtet hatte.)
- Auch in Wolf Schneiders "Essen - Abenteuer einer Stadt" fehlen irgendwelche Hinweise auf den anerkannten Publizisten Reger - was besonders merkwürdig stimmt, denn die Titelseite der 1991 herausgebrachten Neuauflage wird durch ein goldenes - frech die Flügel schlagendes Wachsames Hähnchen geziert. Erst 1996 werden in der Großstadtchronologie „Vom Kaiserbesuch zum Euro-Gipfel“ tatsächlich auch anderthalb Buchzeilen für Erik Reger geopfert. 2002, in der umfänglichen Buchausgabe „Essen – Geschichte einer Stadt“ tauchen Reger und sein Wirken dann ebenso knapp auf
Eine Neuauflage des "Hähnchens", 1984 in der kleinen Hamburger Edition Nautilus erschienen, wird vielleicht gerade noch in einigen vergessenen Buchhandlungswinkeln verramscht.
Meine Empfehlung also, Erik Reger lesen - soweit überhaupt noch käuflich, und nicht etwa mit dem Komponisten Max Reger verwechseln, dem vor Jahren wirklich Festwochen in Essen gewidmet wurden. Seien wir gespannt, ob etwa die Uni Duisburg-Essen oder die Volkshochschule der kommende 120. Geburtstag von Erik Reger im Septemer 2013 zum Anlass nehmen, hier öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen zu organisieren.
Reger-Roman-Lesungen für 2013!
Gerade für unsere fusionierte Duisburg-Essener-Uni könnte Erik Reger ein weiteres verbindendes Element im Germanistikbereich werden. Die im Jahresabstand erschienenen Werke „Union der festen Hand“; „Das Wachsame Hähnchen“; und „Schiffer im Strom“, bilden zwar nicht nach den Themen, aber in ihrer äußeren Form nach, samt Gebrauchsanweisung zur Leseweise, eine Art gesellschaftlicher Romantrilogie. Der letzte 1933 noch in den Wirren der nationalsozialistischen Machtergreifung und vor der endgültigen Gleichschaltung des Buchhandels erschienene Roman „Schiffer im Strom“ schildert mit Ausgangspunkt Duisburger Hafen den Existenzkampf und die Lebensträume von Binnenschiffern mitten in der Wirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre.
Für eine ehrende öffentliche Namensgebung
Obwohl sich in letzter Zeit innerhalb Essens viele strittige Debatten über angemessene bzw. nach untragbaren Personen benannte Straßennamen entzündet haben, wäre Erik Reger sicher ein ehrenvoller Namensgeber einer neuen Straße oder einer noch namenlosen Schule. Im neuen Altendorfer Baufeld nahe der Thyssen-Krupp-Zentrale und dem bisherigen Realmarkt wäre ein guter Ort dafür gegeben. Dabei käme es natürlich auf die Mehrheitsbildung in der Bezirksvertretung I an. Immerhin hatte Erik Reger in den zwanziger Jahren viele Stunden in den Büroräumen der leider vor über dreissig Jahren abgerissenen alten Krupp-Hauptverwaltung gearbeitet, bevor als selbstständiger Autor seine publizistische Tätigkeit weiterführte.
Bei diesem Autor sollte es möglich sein, mit einem breiten parteiübergreifenden Konsens einen kleinen Baustein gegen das Vergessen seines spannenden Werks zu setzen.
Zum 120. Geburtstag Erik Regers am 8. September 2013 wäre das doch ein klasse Geschenk derjenigen Stadt, die in den zwanziger und frühen dreissiger Jahren die wesentlichen Motive der beiden Romane „Union der festen Hand“ und „Das wachsame Hähnchen“ geboten hatte.
Walter Wandtke
Autor:Walter Wandtke aus Essen-Nord |
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