190 Jahre Schiedsamt in Deutschland
Essen. In wenigen Wochen feiert der Bund Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen (BDS) e.V. den bereits 190 Jahre andauernden Dienst am Bürger .
Erstmals wurde 1827 in Sachsen das Schiedsmannsamt als Möglichkeit der vorgerichtlichen Streitbeilegung eingeführt. Im Jahre 1879 wurde schließlich die „Preußische Schiedsmannsordnung“ im gesamten Königreich Preußen eingeführt. Seitdem gibt es auch in Essen die Möglichkeit, und in bestimmten Fällen auch der zwingende Versuch, der vorgerichtlichen Streitbeilegung.
Die Bezirksvereinigung Essen im BDS nimmt dieses Ereignis zum Anlass, auf die Geschichte des Essener Schiedsamtswesens einen Rückblick zu halten.
Kaiserreich
Mit der Einführung der Schiedsmannsordnung in Essen wurden 1879 die ersten 8 Schiedsamtsbezirke geschaffen und die ersten ehrenamtlich tätigen Schiedsmänner gewählt. Die Schiedsmänner waren allesamt angesehene Kaufleute als Vertreter des Essener Bürgertums und zum Teil Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung. Die Amtszeit betrug drei Jahre. Noch vor der Jahrhundertwende wird zum ersten und einzigen Mal in der gesamten Essener Schiedsamtsgeschichte ein Bürger jüdischen Glaubens zum Stellvertreter gewählt.
Mit dem Zuzug von Neubürgern und der Eingliederung benachbarter Städte, Gemeinden und Bauernschaften wuchs nicht nur das Essener Stadtgebiet und die Einwohnerzahl, sondern auch die Zahl der Schiedsamtsbezirke auf 27. Zum Schiedsmann wurden nun auch häufiger Lehrer, Wirte und Großbauern gewählt, offenbar weil diese die Einwohner ihrer Bezirke gut kannten.
Der 1. Weltkrieg forderte den Tod eines Schiedsmannes auf den Schlachtfeldern Europas.
Weimarer Republik
Das Essener Schiedsamtswesen hatte die Wirren des Krieges und den Niedergang des Kaisertums überdauert und setzte seine Tätigkeit fort. Neue Dienstsiegel und Amtsschilder wurden eingeführt. Auch während der Besetzung des Ruhrgebiets durch französische Truppen versahen die ehrenamtlichen Streitschlichter ihre Tätigkeit.
Eine anhaltende Flut von Klagebegehren verschiedenster Art veranlasste die preußische Regierung in den 1920’er Jahren die Zuständigkeitsbereiche der Schiedsmänner auszuweiten und im Jahre 1926 schließlich auch Frauen zum Amts des Schiedsmanns zuzulassen. Bis zur Wahl der ersten Schiedsfrau in Essen sollten jedoch noch fünf Jahrzehnte vergehen.
NS-Diktatur
Bereits wenige Monate nach der Machtergreifung hatte die NS-Stadtverordnetenversammlung nahezu alle demokratisch gewählten Schiedsmänner des Amtes enthoben und durch gleichgesinnte Personen ersetzt. Fast alle der 44 Essener Schiedsmänner und deren Stellvertreter waren Mitglieder der NSDAP oder einer ihrer Gruppierungen. Durch diese Begebenheit gelangten nun auch Arbeiter, Bergleute und zunehmend Rentner in das Ehrenamt. Zwar wurden diese nicht mehr gewählt, aber alle drei Jahre neu ernannt. Diese Praxis änderte sich 1941. Die Schiedsmänner wurden nun auf unbestimmte Zeit ernannt. Gegen Parteimitglieder durften keine Schlichtungsverfahren mehr geführt werden. Hier behielt sich die NSDAP vor, selber zu schlichten. Die Luftangriffe auf die Stadt Essen forderten auch unter den Schiedsmännern Opfer. Trotz, oder gerade wegen, der Kriegsbedingten Entbehrungen stieg die Zahl der Schlichtungsverfahren der Essener Schiedsmänner.
Neuanfang
Nach kurzer Pause führte auch die englische Besatzungsmacht das Schiedsamtswesen in Essen fort. Schon 1946 wurden die ersten Schiedsmänner ernannt. Zum Teil wurden Schiedsmänner wieder in ihre Ämter berufen, welche schon vor der NS-Herrschaft als Schiedsmann tätig waren.
1951 gründete sich die Schiedsmannsvereinigung Essen, welche die Interessenvertretung der 44 Schiedsmänner und 44 Stellvertreter seitdem wahrnimmt. Immerhin gab es ab 1952 mit zwei Frauen auch Schiedsmannsstellvertreter, zum aktiven Einsatz sind sie jedoch nicht gekommen. Der Neuanfang war schwierig und lief nicht ohne „Schönheitsfehler“ ab. So wurde auch ein Lehrer zum Schiedsmann gewählt, welcher als eifriger Denunziant einen Pfarrer während der NS-Zeit bespitzelt und angezeigt hatte. Nach 15 Jahren Dienstzeit als Schiedsmann wurde er für seine Verdienste mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
1987 wurde in Essen die erste Frau zum Schiedsmann gewählt. Auf ihr hartnäckiges Betreiben hin wurde eigens für sie ein besonderes Amtsschild mit der Aufschrift „Schiedsfrau“ angefertigt.
In den 1990’er Jahren wurde die Zahl der Schiedsamtsbezirke von 44 auf heute 18 reduziert. Aktuell setzen sich die Mitglieder der Bezirksvereinigung Essen (so nennt sich die Schiedsmannsvereinigung heute) aus allen erdenklichen Berufs- und Altersgruppen zusammen, darunter drei Frauen. Die Bezeichnung der ehrenamtlich tätigen lautet inzwischen Schiedsperson und die Amtsschilder führen die Bezeichnung „Schiedsamt“.
Seit Einführung des Schiedsamtes in Essen waren über 800 Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt als Schiedsperson ehrenamtlich aktiv für den Dienst am Bürger.
Weitere Informationen über das Essener Schiedsamt und seiner Geschichte unter Bezirksvereinigung Essen Historisches und bei Facebook: „BDS e.V. Bezirksvereinigung Essen“.
Autor:Stefan Hagemann aus Essen-Ruhr |
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