Patienten-G’schichten: „Wie sind Sie denn versichert?“

Aus der Deklaration von Genf, angenommen von der medizinischen Weltvereinigung: [...] "Ich will nicht zulassen, daß Erwägungen über Religion, Nationalität, Rasse, Parteipolitik oder sozialen Stand zwischen meine Pflichten und meine Kranken treten." [...]
  • Aus der Deklaration von Genf, angenommen von der medizinischen Weltvereinigung: [...] "Ich will nicht zulassen, daß Erwägungen über Religion, Nationalität, Rasse, Parteipolitik oder sozialen Stand zwischen meine Pflichten und meine Kranken treten." [...]
  • hochgeladen von Ilia Faye

90er Jahre. Die erste Entbindung steht bevor. Die vorsorgliche Anmeldung in der ausgewählten Klinik ist bereits erledigt – mit allem ‚Pipapo’, wie es der Schwangeren in den monatelangen Vorbereitungskursen immer wieder ans Herz gelegt wurde, damit am Tage der Niederkunft keine bürokratischen Hürden den Weg des neuen Erdenbürgers belasten.

Der errechnete Geburtstermin ist bereits erheblich überschritten, die Wehen lassen auf sich warten. Vorsorglich wird die werdende Mutter schon mal ins Hospital überwiesen. Ein kleines, recht dunkles 3-Bett-Zimmer erwartet die hoffentlich bald Gebärende.
„Wenn Sie fernsehen wollen, müssen Sie pro Stunde 1 Mark in den Automaten werfen.“, heißt es kurz und knapp.

Es riecht intensiv nach Urin, was die Wahl zwischen den zwei zur Auswahl stehenden Mittags-Gerichten nur unerheblich beeinflusst. Mitten in der Nahrungsaufnahme ertönt der Lautsprecher: „Frau Faye in den Kreißsaal!“ Das Ausrufezeichen am Ende dieses Kasernenhof-Befehls ist unüberhörbar – Einspruch ausgeschlossen.

Artig lässt die Patientin die Gabel fallen und begibt sich zur Untersuchung. Der Wehenschreiber bestätigt: noch immer keine Wehe in Sicht. Nach ihrer Rückkehr sind die Reste der durchschnittlichen Mahlzeit bereits abgeräumt.
Hin und wieder taucht mal ein Arzt auf, wirft einen Blick ins Zimmer, einmal mit der Frage: „Und wann haben Sie entbunden?“ Nun, noch gar nicht… – die Ärzte sind offenbar über alles und jede auf dieser Station gut unterrichtet.

Am zweiten Tag die Wiederholung: „Frau Faye in den Kreißsaal!“, etc. etc. – keine Wehen, weiter warten…

Am dritten Tag die zarte Frage der Patientin, warum sie denn den Chefarzt noch nicht gesehen oder gar gesprochen hat. „Wieso Chefarzt? Wie sind Sie denn versichert?“, fragt die ‚Dame’ in Weiß in herrischem Ton.
Nach dem Hinweis, dass doch bereits vor Wochen bei der vorsorglichen Anmeldung sämtliche Daten erfasst worden sind – auch die der Krankenhaus-Zusatzversicherung für privatärztliche Leistungen – fällt der gerade noch so resoluten Fachkraft der Station die Kinnlade herunter. Mit bleichem Gesicht und den Worten: „Das muss ich nachsehen…“ verlässt sie eiligen Schrittes das Krankenzimmer.

Nun geschieht ein wahres Wunder. Ein anderes Zimmer steht zur Verfügung. Ein schönes, helles 2-Bett-Zimmer. Fernsehen ist natürlich kostenlos – und es riecht auch gar nicht nach Urin.
Als Mittagstisch stehen drei verschiedene Gerichte zur Auswahl – unvergleichlich ansprechender als die bisher angebotenen. Der vorherige Kasernenhof-Ton weicht einer ungeahnten Höflichkeit. Das Wort ‚Bitte’ wird wiederentdeckt: „Ach, Frau Faye, wenn Sie mit dem Essen fertig sind, dann möchten Sie doch bitte mal in den Kreißsaal kommen…“.

Und der Chefarzt? Nun, der hat selbstverständlich Zeit für seine Patientin...

Autor:

Ilia Faye aus Essen-Ruhr

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