Morgens 8 Uhr beim Discounter
7 Uhr 40: Ich setze meine Kinder vor der Schule ab. Heut gibt’s beim Discounter um die Ecke wieder mal ein Sonderangebot, das mich interessiert. Nach Hause fahren lohnt nicht mehr, ich starte direkt durch.
7 Uhr 45: Erst mal das Auto parken. Ist ja noch Zeit. Der Discounter öffnet erst um acht. Ein Blick hinüber zum Eingang des Ladens: Oh! Da stehen schon fünf oder sechs Kunden und warten. Na sicher haben die auch grad ihre Kinder abgesetzt – oder warum sind die so früh schon da? Ich stelle mich ordentlich hinten an.
7 Uhr 50: Inzwischen hat sich eine richtig Traube vorm Eingang gebildet. Mindestens 15 Leute. Hab ich was verpasst? Gibt’s heut was umsonst? Ich blättre nochmals die Werbung mit den heutigen Angeboten. Nein. Zu verschenken ist hier heute nichts.
7 Uhr 55: Die Zahl der Wartenden hat sich locker verdoppelt. Vielleicht sind es auch bereits 40 oder 45 Kunden, die alle gespannt auf die noch verschlossene Glastür blicken. Alles steht in den Startlöchern, scharrt ungeduldig mit den Füßen. Alle versuchen, möglichst uninteressiert auszusehen, dann aber doch der ein oder andere nervöse Blick auf die Uhr…
Mir fallen andere Tage ein, an denen ich auch schon hier stand. Da war der Tag, an dem ein verspätetes Pärchen sein Töchterchen nach vorn an die Front stieß. Frei nach dem Motto: unser Kind wird ja wohl niemand zur Seite stoßen, da können wir von ganz hinten das Feld aufziehen. Und wie diese Leute dann schimpften – wie die Rohrspatzen – weil ich ihr Töchterchen dezent zur Seite schob, nachdem ich fast drüber gefallen wäre, als die Tür sich öffnete und von hinten alle hineindrängten.
Bei anderer Gelegenheit die vornehm gekleidete ‚Dame’, die von ganz hinten plötzlich und unvermittelt einen ersten Platz vor der noch verschlossenen Glastür erstürmte, um dort intensiv die Öffnungszeiten zu studieren. Natürlich völlig desinteressiert an irgendwelchen Sonderposten. Solange jedenfalls, bis die Tür entriegelt wurde. In dem Moment waren die Öffnungszeiten völlig uninteressant und nach einem Spurt warf sich die nun gar nicht mehr vornehme ‚Dame’ regelrecht über einen der angebotenen Tiefkühlschränke, während ihr Mann aus hinterster Reihe mit dem Einkaufswagen nachrückte.
Ein weiteres Erlebnis war die Oma, die mir, weil ich nach Türöffnung einen der vorderen Plätze bei der Ware hatte, ihren Stockschirm in den Rücken stieß, oder die junge Frau, die in Badeschläppchen durch den Laden rannte und in ihrer grenzenlosen Gier fast einen Spagat hinlegte, oder diese Schnepfe damals, die mir Ware aus den Händen riss.
Und was ich da schon an Schimpfworten gehört habe…
8 Uhr: Die Türen öffnen sich. Ich war ja bei den Ersten heute, bin ziemlich vorn. Da liegt der heiß begehrte Sonderposten: Winterschuhe: etwa acht Paar, höchstens zehn. Bisschen wenig für so viele Kunden.
Was jetzt folgt erinnert mich fast schon zwanghaft an Reinhard Mey: „zunächst regiert noch die Hinterlist, doch bald schon brutale Gewalt…“.
Keine zwei Minuten später ist das Fach mit den Schuhen leer.
Morgens 8 Uhr beim Discounter. Immer wieder ein Erlebnis. Heute verlasse ich das Schlachtfeld mit einem Lächeln. Das eine Paar Schuhe, das ich für mein Kind brauchte, habe ich ergattert. Ohne schubsen oder vordrängeln. Ohne ein hilfloses Kind in die Arena zu stoßen – und ohne die Hilfe eines Stockschirms. Gut, dass ich so früh da war.
Vielleicht gehe ich nächstes mal wieder hin. Nicht um zu kaufen, nur als Zuschauer. Das ist besser als Kino – und bedeutend billiger. Ist ja schließlich ein Discounter :-).
Autor:Ilia Faye aus Essen-Ruhr |
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