Spielend die Welt begreifen
Wer rastet, der rostet - diese Sportlerweisheit gilt nicht nur für die älteren Semester, sondern auch oder sogar in besonderem Maße schon für die ganz Kleinen. Wer jetzt an Workout für Babys denkt, liegt allerdings haarscharf neben der Sache.
„Was wir bieten, ist eine spezielle, an den Bedürfnissen des Kindes orientierte Bewegungsanregung und kein Babyturnen“, erläutert Ursel Weingärtner. Seit 25 Jahren ist die Essenerin als Kursleiterin bei der DJK Heisingen in diesem Bereich tätig und weiß um den Zusammenhang zwischen Bewegung und Entwicklung. „Motorik fördert Wahrnehmung und umgekehrt. Das ist ein Wechselspiel und nötig, um die Umwelt im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen.“
Man könnte auch etwas lapidar sagen: ohne Input kein Output. Denn die Sinne entwickeln sich im Austausch zwischen Individuum und Umwelt, sind anfangs noch nicht miteinander koordiniert - etwa Sehen und Greifen. Eben hier setzt der Kurs an: Die jüngste Teilnehmerin, Maja, ist drei Monate alt und mitten in ihrer sensomotorischen Entwicklung. Eine Übung, die schon die Kleinste im Heisinger Kurs fördert, ist das Singspiel: Die Kinder sitzen auf Mamis Schoß, während Kursleiterin Ursel Weingärtner und die Mütter ein Lied anstimmen und die Kleinen sanft im Rhythmus mitschwingen. So beginnt hier jede Kursstunde und die „älteren“ Teilnehmer, etwa Moritz (zehn Monate) und Lennard (ein Jahr) wissen schon, was das bedeutet. Sie bewegen ihre Ärmchen nach der Anregung der Mutter, haben Spaß an der Stimulation.
„Das hat auch viel mit Ritualen zu tun“, erläutert Weingärtner und Lennards Mutter ergänzt: „Solche Rituale sind ganz wichtig. Die Kinder wissen nach einer Weile, was als nächstes kommt. Größere Kinder lernen z.B. bei Parcoursspielen zu warten, bevor man selbst rutschen darf, weil erst ein anderes Kind vorher dran ist.“
„Die Sozialkompetenz wird dadurch gefördert, die Kontaktaufnahme von einem Kind zum anderen und auch der Umgang mit anderen Kindern, die Konfliktfähigkeit“, so Ursel Weingärtner. Besonders Mütter von Einzelkindern seien dankbar für ein solches Angebot. Aber auch den Erwachsenen selbst nützt die Interaktion: So sei ein ganz wichtiger Aspekt bei solchen Kursen, dass auch die Eltern miteinander in Kontakt kommen, Erfahrungen austauschen und junge Eltern eine Art von Orientierung bekommen - „Wie läuft es denn bei Euch, ist mein Kind normal entwickelt?“. „Wenn die Eltern es wünschen, bieten wir auch spezielle Themenabende an, z.B. über Ernährung oder Impfungen“, erzählt die Kursleiterin.
Die nächste Übung ist ein Fingerspiel. Auch hier geht es um das spielerische Lernen, in der Interaktion mit der Bezugsperson Wahrnehmungen miteinander zu koordinieren. Zusammen mit den Singspielen seien die Fingerspiele auch ganz wichtig für die Sprachentwicklung, so Weingärtner. Die Verbalisierungen schaffen eine Sprachatmosphäre, während sich das Gehör des Babys sukzessive verfeinert, es nach den Quellen von Klängen sucht, die bestimmte Merkmale der Muttersprache aufweisen.
„Kuckuckspiele sind eine weitere wichtige Übung. Leider scheinen diese bei vielen Eltern in Vergessenheit geraten zu sein“, berichtet die Kursleiterin. „Zuerst sind die Eltern da, schauen ihr Kind an, verstecken sich dann kurz, um dann wieder zum Kind zu schauen.“ Die Psychologie spricht von der Entwicklung von zunächst Objektpermanenz und später Objektkonstanz und meint die seelisch-geistige Leistung, dass ein Objekt (hier die Bezugsperson Mutter oder Vater) auch während vorübergehender Abwesenheit als existent wahrgenommen wird - quasi die Überwindung des „Aus den Augen, aus dem Sinn“-Schemas.
„Das hat auch viel mit der Entwicklung von Urvertrauen zu tun“, erklärt Ursel Weingärtner. Jenem Gefühl, die Bezugspersonen verlässlich sorgend und liebend um sich zu wähnen; eine Voraussetzung für die Entwicklung von Selbstwertgefühl und Vertrauen sich selbst und anderen gegenüber und für die spätere Liebesfähigkeit.
Die Interaktion im Kurs zeige aber auch genauso den Erwachsenen auf, dass sie nicht ständig um ihr Kind herumspringen müssen, damit es sich normal entwickelt. Im Gegenteil: Die kurzfristige Abwesenheit der Bezugsperson gehört grundlegend mit zum Lernprozess von Objektpermanenz und -konstanz. Ursel Weingärtner: „Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis für eher unsichere Eltern, die ihre Kinder nicht einmal alleine lassen können.“ Hier im Kurs können erste Schritte gemacht werden, das Kind einmal in der Obhut von anderen zu lassen. „Es gab da z.B. einmal eine Mutter, die hatte richtig Herzklopfen, weil sie ihr Baby kurz bei uns lassen musste, um auf die Toilette zu gehen. Als sie zurückkam merkte sie dann, dass alles in Ordnung war.“
Mit nach Hause nehmen können die Eltern hier eine ganze Menge: „Es geht hier ja um altersgerechte Bewegungsanregungen und das ist auch so gemeint, dass die Eltern die Übungen zuhause fortsetzen“, so Weingärtner. Etwa das Formenspiel, das Lennard mit seinen fast 13 Monaten schon ganz gut hinbekommt: In eine große Papprolle lässt er kleinere Papprollen verschwinden. Die große Rolle ist auch unten offen und irgendwann purzeln alle kleinen Rollen auf den Boden des Gymnastikraums, als Lennard die Form nach oben bewegt. „Das ist immer ein schöner Aha-Effekt bei den Kindern“, berichtet Ursel Weingärtner aus Erfahrung mit diesem „Spiel-Klassiker“. Und auch schon die Kleinsten sähen, so die Kursleiterin, da rollt was weg.
Die Zutaten für diese Wahrnehmungsübung stammen aus dem Hauhalt: verschieden große Rollen, die Ursel Weingärtner mit buntem Papier beklebt hat. „Es muss nicht immer teures Spielzeug sein, aus Alltagsdingen lassen sich tolle Sachen machen.“
Eine Art von Allroundkurs für Babys und Eltern ist dieses Angebot, nicht weniger. Wo Körper, Geist und Seele des Kindes gefordert und gefördert werden. Bei den größeren Kursteilnehmern wie Lennard, der bereits laufen kann und vergnügt den bunten Bällen hinterher läuft und krabbelt, geht das Ganze dann auch tatsächlich in Richtung Sport. „Klar werden hier auch die Körperfunktionen geschult, die Kinder werden beispielsweise sicherer im Laufen“, bestätigt Ursel Weingärtner. Etwas traurig merkt sie an: „Wissen Sie, in Zeiten, wo Mütter ihre Kinder überall mit dem Auto hinfahren, kommt die Bewegung leider oft zu kurz. „Schade, dass ausgerechnet Eltern, die ihre Kinder „eher so nebenbei“ bei sich hätten, den Weg in solche Kurse meist nicht fänden.
Das Bewegungsangebot für Eltern mit Kindern ab drei Monaten bei der DJK Heisingen läuft noch bis zum 19. Juli (Kurs immer dienstags von 16 bis 17 Uhr) bzw. 22. Juli (freitags von 11 bis 12 Uhr). Ein fortlaufender Einstieg ist möglich.
Geschwisterkinder können mitgebracht werden. Kursort ist der Gymnastikraum im Sport- und Gesundheitszentrum der DJK Heisingen, Heisinger Straße 393. Im Herbst beginnt ein neuer Kurs.
Infos unter Tel.: 0201/46 10 70 oder www.djk.heisingen.de
Autor:Melanie Stan aus Essen-Ruhr |
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