David McAllister über die Gegenwart und Zukunft Europas - CDU lud EU-Parlamentarier nach Burgaltendorf
Von Henrik Stan
„Die CDU hat doch gute Leute!“ Gastgeber Manfred Kuhmichel war nach dem Referat von David McAllister überzeugt, dass das Europaparlament nicht die letzte Station seiner politischen Laufbahn sein dürfte. Der Bezirksbürgermeister der Ruhrhalbinsel erinnerte fast beschwörend an die Gäste der jüngsten Empfänge in Burgaltendorf: „Vor drei Jahren war Herbert Reul hier, inzwischen ist er Innenminister in NRW. Vor zwei Jahren kam Armin Laschet, jetzt bekanntermaßen unser Ministerpräsident. Und im vorigen Jahr hat uns Julia Klöckner besucht, die im neuen Kabinett Merkel für Landwirtschaft und Ernährung zuständig ist.“
McAllister schaut eine Spur verlegen, als Kuhmichel feststellt: „Du bist ein deutsch-europäischer Hoffnungsträger. Auch was Ämter angeht.“ Kuhmichel duzt, denn nach etlichen Telefongesprächen sein man inzwischen „per you“.
Beim Neujahrsempfang der besonders späten Art, eigentlich war McAllisters Auftritt für den Januar geplant, was man wegen Sturmwarnungen absagen musste, erlebte das geladene Publikum in der voll besetzten Schalterhalle der Geno Bank Essen ein Plädoyer für ein Europa ohne Binnengrenzen, eine reformierte EU und den Ausgleich mit den USA. Besonders der dritte Punkt liegt dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen am Herzen. Er sei „Transatlantiker durch und durch“, daran könnten auch die irritierenden Volten des „amerikanischen Philosophen“ nichts ändern Der Name Trump kommt ihm nicht über die Lippen. Überhaupt: Das ganze Gejammere über einen drohenden Handelskrieg hätte man sich sparen können. „Die, die sich am vehementesten gegen TTIP gewehrt haben, schreien jetzt am lautesten.“ Zwangszölle auf Stahl und Aluminium werden die USA erst einmal nicht erheben. Aber wer mag schon voraussehen, was dem Präsidenten als Nächstes einfällt?
Kernige Formulierungen zu Europa
McAllister sparte nicht mit kernigen Formulierungen zur europäischen Gegenwart und Zukunft. „Wir wollen ein europäisches Deutschland, kein deutsches Europa“, so der 47-Jährige. Und: „Frankreich und Deutschland müssen voranschreiten, dürfen aber nicht rücksichtslos vorgehen.“ Ausgenommen von dieser Rücksicht sind allerdings jene politischen Kräfte, mit denen sich die Parlamentarier in Brüssel und Straßburg schon etwas länger herumplagen als jene in Düsseldorf und Berlin. Matthias Hauer und Fabian Schrumpf, die den Essener Süden in Bund und Land vertreten, dürften die Ohren gespitzt haben, als der distinguierte Gentleman am Rednerpult gegen Extremisten und Populisten austeilte. „Das sind Typen zum Weglaufen: Griechische Morgenröte, UKIP, Fides und so weiter. 25 Prozent aller EU-Abgeordneten fallen durch Sabotage auf.“ Hätte sich Marine Le Pen bei den französischen Präsidentschaftswahlen durchgesetzt, wäre McAllister jetzt mit Abwicklungsarbeiten beschäftigt. Mit Emmanuel Macron und seinen Thesen zur Entwicklung der EU, vor allem aber mit dem klaren Bekenntnis der Bundesregierung sei viel gewonnen. „Eigentlich könnte ich ihnen die Europa-Präambel der Regierungserklärung vorlesen und dann meine Klappe halten.“ Seine Formel: Französische Visionen und deutscher Pragmatismus. Der Sohn eines Schotten und einer Deutschen spart nicht mit Lob für die Kanzlerin, stellt sie sogar in eine direkte Linie mit Adenauer und Kohl. Auch was der neue Finanzminister Olaf Scholz angesichts der finanziellen Mehrbelastung nach dem Brexit zu Protokoll gab, ist ganz nach McAllisters Geschmack. „Wenn Deutschland mehr Geld investiert, muss ein europäischer Mehrwert herausspringen.“
Demokratischer, bürgernäher und transparenter
Was diesen Mehrwert ausmacht, kann McAllister in wenigen Schlagworten zusammenfassen. Europa müsse demokratischer, bürgernäher und transparenter werden, das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit hervorheben, in großen Fragen Ehrgeiz an den Tag legen, im Kleinen bescheidener werden. Sprich: Nicht nach unregulierten Kinkerlitzchen fahnden und Verordnungsfluten ausgießen. „Als ich in der Staatskanzlei in Hannover saß, habe ich mich auch oft gewundert, was Brüssel da schon wieder von uns wollte.“
McAllister blickt zurück auf „europäische Schicksalsjahre“: 2016 stimmte eine knappe Mehrheit der Briten für den Austritt, 2017 drohte bei den Wahlen in Frankreich und den Niederlanden ein Rechtsruck, 2018, so seine Einschätzung, müsse genutzt werden, um die weitere Erosion einer 60-jährigen Erfolgsgeschichte aufzuhalten. Eigentlich habe der Europa-Wahlkampf schon begonnen. Wie auf nationaler Ebene nutzen Populisten und Anti-Demokraten mit einigem Erfolg Migrationsbewegungen für politische Ideologien aus der Mottenkiste. Der EU-Parlamentarier, seit 2017 Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, stellt klar: „Die Flüchtlingskrise hat viel zu tun mit dem Leiden an unseren Außengrenzen, in der Ukraine und in Syrien. Der Zuzug aus Afrika hat tiefergreifende Ursachen.“ Im Sinne der Humanität und des europäischen Gedankens gehe es um die Bekämpfung der Fluchtursachen. Als geeignetes Mittel plädiert McAllister für einen Marshallplan für, oder besser mit den Menschen auf dem Kontinent. Zudem müsse Grenzschutz endlich als gesamteuropäische Verantwortung erkannt werden. Wenn Polen und Ungarn keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssten sie sich zum Beispiel auf diesem Gebiet stärker engagieren.
„Diese Frage darf nicht ungelöst bleiben. In diese Flanke stoßen Rechtspopulisten und -radikale immer weiter herein.“ Was auf dem Spiel steht, illustriert diese Anekdote. McAllister, mit Ehefrau und beiden Töchtern, fährt auf der A40 Richtung Brüssel. Der Vater erzählt, dass man jetzt in die Niederlande kommt. „Hier musste man früher seinen Ausweis zeigen.“ Der Nachwuchs auf der Rückbank scheint unbeeindruckt, fragt etliche Kilometer weiter westlich aber doch nach: „Papa, erklär‘ doch noch mal was eine Grenzkontrolle ist.“
Fundiert, souverän, bisweilen auch fulminant war McAllisters kaum 45-minütiges Referat, das immer wieder von spontanem Applaus unterbrochen wurde. Der Gast, obwohl eigentlich nur auf der Durchreise von Brüssel ins heimische Bad Bederkasa, neben Burgaltendorf der schönste Ort Deutschlands, ließ es sich nicht nehmen, langjährigen CDU-Mitgliedern Ehrennadeln ans Revers zu stecken.
Plan für die EU:
1. Binnenmarkt stärken, nach Studien- jetzt auch Schulabschlüsse und den digitalen Arbeitsmarkt vereinheitlichen
2. Impulse für den Arbeitsmarkt: Deindustrialisierung ist ein Irrweg
3. Kampf gegen Steuervermeidung großer Konzerne. „Wer in Europa Gewinne macht, hat hier verdammt noch mal auch Steuern zu zahlen“.
4. Handelspolitik: Freihandelsabkommen mit Japan, Staaten Mittel- und Südamerikas
5. Energie-Union mit Akzent auf Klimaschutz: konsequente Fortentwicklung der Montan-Union
6. Währungsunion: Probleme im Bankensektor endlich ausräumen
7. Migration: Fluchtursachen in den Heimatländern bekämpfen
8. Mehr Gemeinsamkeit in Sicherheits- und Verteidigungspolitik
9. EU muss intelligenter, transparenter, wettbewerbsfähiger werden
Autor:Lokalkompass Essen Ruhr aus Essen-Ruhr |
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